Junge Comedy-Szene Wie eine Münchner Bühne die Comedy-Szene aufmischt
In Bayern gibt es kaum Bühnen, wo junge Talente den Traum vom professionellen Witzerzähler einfach mal ausprobieren können. Ein paar Münchner Comedians wollen das ändern und haben die "Ja und Weiter"-Open-Mic-Bühne gegründet.
Von: Christian Alt
Stand: 15.06.2018
| Archiv
Es ist heiß hier im Keller. Wirklich wirklich heiß. Der Kellerraum unter der Münchner Kneipe "Holzkranich" ist berstend voll mit Zuschauern. Bis eben wurden noch Stühle dazugestellt und trotzdem reicht der Platz nicht. In der Ecke steht eine kleine Minibühne, nicht viel größer als ein Schreibtisch. Auf der Bühne: ein einsames Mikrofon. Heute ist hier "Ja und Weiter"-Open Mic. Open Mic, das ist so was wie eine Fahrschule für junge Comedians - hier kann man ohne Stress ausprobieren, wie es ist auf der Bühne zu stehen und Witze zu erzählen.
Hans Thalhammer ist der MC des heutigen Abends. Er führt durch die Show, macht das Publikum heißt auf all die Comedians und sorgt generell für gute Laune. Vor der Show erklärt er dem Publikum wie die Bühne funktioniert: "Alles, was ihr so im Fernsehen oder auf Netflix an Comedy seht, das ist schon 200 bis 300 mal live gespielt worden. Man muss einfach lernen auf der Bühne zu stehen." Der knapp 30-Jährige Thalhammer will selbst Profi-Comedian werden und nutzt die Zeit zwischen den Acts für seine eigenen Witze. Und wie das beim Open Mic nun mal so ist: Manche zünden und manche gehen in die Hose. "Man muss es einfach ausprobieren. Niemand kommt als Genie auf die Welt, außer einer Hand von Leuten, wie zum Beispiel Mozart. Der konnte schon mit fünf Stücke von Mozart spielen." Ein kleines Lachen geht durch den Raum, das Thalhammer sofort kommentiert: "Ja, das ist so ein Gag, den spiel ich gerne mal. Manchmal kommt er besser an, manchmal schlechter. Ich weiß zum Beispiel nicht, warum hier die erste Reihe komplett die Reaktion verweigert hat." Sehr großes Lachen. Läuft.
Was, wenn keiner lacht?
Hans Thalhammer hat die Bühne vor einem Dreivierteljahr mit seinem Kollegen Sebastian Ulrich gegründet. Beide wollten Comedy machen, sich ausprobieren, regelmäßig auf der Bühne stehen, Witze testen - aber einen Ort dafür gab es in München nicht. Comedy-Infrastruktur gibt es im Freistaat nur für Kabarett. Deswegen haben die beiden das selbst in die Hand genommen, wie Hans erzählt: "Als wir hier unsere erste Show gespielt haben, hab ich bis kurz vorher noch alles mit dem Akkuschrauber zusammengeschraubt. Das war echt wackelig. Sowohl die Bühne als auch die Show." Inzwischen hat sich die Show aber eingespielt. Aus dem schnuckeligen Open-Mic ist schon im ersten Jahr eine kleine Münchner Comedy-Institution geworden. Gerade weil die Hürde zum Mitmachen so gering ist. "Fast in jeder Show ist jemand dabei, der zum ersten Mal auf der Bühne steht," sagt Hans.
Heute Abend ist das Anuschey. Er hat er kaum Comedy-Erfahrung, Stand-Up macht er erst seit zwei Wochen. Anuschey studiert eigentlich Lehramt und nach einer Präsentation wurde ihm gesagt: Hey, du bist witzig, mach das doch öfter. Jetzt steht er hier, hat sieben Minuten Programm vorbereitet und ist sehr aufgeregt. Da hilft es auch nicht, dass ich ausgerechnet die Frage stelle, die eh schon in seinem Kopf rumgeistert: Was ist, wenn heute keiner lacht. "Wenn heute keiner lacht, dann wäre das eine coole Erfahrung. Weil ich glaube, ich kann das wegstecken." Aber was, wenn nächste Woche keiner lacht? "Wenn das dreimal hintereinander passiert, dann würde ich das an den Nagel hängen. Danke, dass du mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hast."
Das vergnügungssüchtige Monster: das Publikum
Ich verspreche Anuschey ein bisschen für ihn anzulachen, also früher und lauter als die anderen zu lachen, um das Publikum auf seine Seite zu ziehen. So richtig funktioniert das aber nicht. Erstens, weil lachen auf Kommando ein Ding der Unmöglichkeit ist und zweitens, weil Anuschey das gar nicht braucht. Sein siebenminütiger Standup hat mehrere Stellen, an denen das Publikum laut auflacht. Zum Beispiel als er erklärt, wie sein persischer Großvater völlig widersprüchliche Dinge von ihm fordert. Zum einen soll er sein Leben in vollen Zügen genießen und froh sein, dass er noch jung ist. Zum anderen schimpft er auf die Jugend und ihre Undankbarkeit. “Und ich denke mir jedes Mal nur so: Fuck, der hat echt nen krassen Mundgeruch.”
Natürlich funktioniert so ein Witz, wenn er so ganz nackt aufgeschrieben dasteht, kaum. Das Tolle an der Bühne am Holzkranich ist ja auch, dass man die Reaktionen des Publikums ganz unterbewusst spüren kann. So ein Standup-Publikum ist nämlich ein vergnügungssüchtiges Biest, das sofort spürt, wenn jemand auf der Bühne gerade schlecht performt. Wenn ein neuer Comedian nicht nach 30 Sekunden einen soliden Witz abgeliefert hat, dann spürt man förmlich, wie die Energie aus dem Raum strömt. Dann wird das Handy rausgeholt, geschaut, was der Familienchat auf Whatsapp so macht und man fragt den Nebenmann, ob er noch ein Bier will. Anuschey verliert die Aufmerksamkeit des Publikums heute Abend nicht.
Die roheste Kunstform von allen
Anders geht es da Oliver, der mit seinen 19 Jahren einer der jüngsten auf der Bühne ist. Er hat einen unglücklichen Start in seine sieben Minuten. Er sucht auf der Bühne viel zu lange nach seinen notierten Witzen. Was dazu führt, dass auch die nächsten Jokes nicht ganz so gut ankommen: "Ich bin wirklich neu in der Szene und nach dem ersten Mal - also Comedy - kamen da so Comedians zu mir und haben gesagt: Alter, für das erste Mal war das doch voll gut. Und ich hoffe wirklich wirklich, das meine erste Freundin das auch sagen wird..." Ein paar Lacher, viele Ooooohs und Uuuuhs. Mitten im Set dann das Eingeständnis: "Ich dachte, das würde heute besser funktionieren.” Am Ende bekommt Oliver dann aber doch einen großen Applaus. Denn das Open Mic ist ja genau für solche Fälle da. Wie soll man denn sonst wissen, ob die Witze, die man sich zu Hause am Küchentisch überlegt hat, witzig sind oder nicht.
"Ich find Standup-Comedy schon immer extrem spannend, weil es so eine rohe Kunstform ist. Es steht einfach nur eine Person mit einem Mikro auf der Bühne und macht das, was eigentlich jeder kann, nämlich sprechen. Aber trotzdem steckt noch so viel mehr dahinter", erzählt mir Hans Thalhammer später. Was genau er mit dem "mehr" meint, kann man an so einem Open Mic-Abend auch erahnen. Da wäre zum Beispiel Anni Ruby. Sie macht schon seit mehreren Jahren bayerisches Kabarett und probiert sich gerade in der Comedy aus. Ihre sieben Minuten sind nicht nur sehr gut geschrieben, sondern einfach auch gut performt. Sie beansprucht die komplette Bühne für sich, spielt andere Rollen nach und jongliert mit Bayerisch und Hochdeutsch. Bei anderen steckt das "mehr" im Witz selbst. Einer der großen Abräumer des Abends ist der Mitgründer der Bühne Sebastian Ulrich, der Alltagsbeobachtungen mit absurdem Humor mischt: "Ich hab neulich ein Schild gesehen an so einer Anwaltskanzlei oder son Scheiß. Und da stand: Weber und Kollegen. Und ich dachte mir: Das ist ganz schön nutzlose Information. Also wie viele Kunden gehen denn da rein und sind überrascht davon, dass da Kollegen da sind: ‘Herr Weber, ich dachte wir sind allein.’"
Nach zwei Stunden mit neun Comedians kommt der eigentlich wichtige Teil des Abends: Bier trinken. Oben im Holzkranich sitzen die Comedians nach der Show zusammen und analysieren, warum welcher Witz funktioniert und warum nicht. Wo noch Potential ist und was man lieber bleiben lässt. Hans Thalhammer findet, dass seine Bühne einen Beitrag dazu leistet, dass in München gerade eine kleine Comedy-Szene wächst: "Die Comedians, die es vorher schon gab, sind inzwischen Freunde geworden. Die kannten sich vorher schon ganz locker, aber hier sehen sie sich jede Woche und tauschen sich aus und es sind auch enge Freundschaften entstanden. Zusätzlich haben wir jede Woche jemanden dabei, der es zum ersten oder zweiten Mal macht auf der Bühne. Ich würde sagen, wir haben jetzt doppelt so viele Comedians wie vor einem Jahr."
Wichtig für Hans und seine Comedy-Kollegen ist, dass sich in Bayern noch mehr Comedians auf die Bühne trauen, dass pro Show nicht nur ein Neuling dabei ist, sondern gleich mehrere. Denn nur, wenn noch mehr Comedians nachwachsen gedeiht die bayerische Comedyszene. Deswegen gibt er mir an dem Abend noch einen Tipp mit auf den Weg, wenn man tatsächlich vorhat, sich auf die Bühne im Holzkranich zu stellen: "Am besten nimmst du keine Leute mit, die du kennst. Das lenkt dich nur ab. Und ansonsten gilt: Nicht drüber nachdenken und einfach machen."
Sendung: Filter vom Donnerstag, 7.6. 2018, ab 15 Uhr