Hofer Filmtage 2015 5 Nachwuchsfilmemacher für die Zukunft des deutschen Kinos
Zocker mit Vaterkomplex, Roadmovies ohne Ziel und Flüchtlinge mit politischer Agenda - die Hofer Filmtage haben auch 2015 jede Menge interessante Geschichten im Programm. Hier sind fünf Filmemacher, denen wir dieses Jahr den Durchbruch wünschen.
Wenn es einen Ort gibt, an dem deutsche Filmemacher verlässlich ihren Durchbruch schaffen können, dann sind es die Hofer Filmtage. Sönke Wortmann, Doris Dörrie und Tom Tykwer haben hier ihre entscheidenden Premieren gefeiert, selbst Altmeister wie Wim Wenders und Werner Herzog wären nicht, was sie heute sind, ohne dieses kleine aber feine Festival in der oberfränkischen Provinz. Die Hofer Filmtage machen Talente zu Stars - wer hier sein Debüt gezeigt hat, hat gute Karten, es zu schaffen im Filmbusiness. Die 49. Internationalen Hofer Filmtage zeigen von 20. bis 25. Oktober insgesamt 125 Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilme. Wir haben fünf Filmemacher aus dem Programm des Festivals ausgewählt, denen wir eine goldene Zukunft prognostizieren.
Mia Maariel Meyer mit "Treppe aufwärts"
Ein Zocker, der in Spielotheken Automaten knackt, um die Schulden seines demenzkranken Vaters abzuzahlen, wird mit seinem 16-jährigen Sohn konfrontiert, der vor Schule, Alltag und Mutter geflohen ist - nur um in der Großstadt in kriminelle Machenschaften zu geraten, die ihm schnell über den Kopf wachsen. Die beiden sind sich fremd und sie werden nicht warm miteinander - statt einer kitschigen Papa-Sohn-Romanze entspinnt sich eine realistische Konfliktgeschichte, an deren Ende nur die Hoffnung steht, dass man aus gemeinsamen Fehlern gemeinsam lernen kann. Was im deutschen Fernseheinerlei zu einem belehrenden Sozialdrama führen würde, wird in "Treppe aufwärts" zu einer harten, authentischen Alltagsbeobachtung, die keine einfachen Lösungen bereithält. Mia Maariel Meyer erzählt ihre Geschichte unspektakulär und unsentimental, sie schaut der Entwicklung ihrer Figuren einfach zu und lässt den Zuschauer seine eigenen Schlüsse ziehen. Statt ihre Problematik zu Tode zu erklären, zeigt sie einfach, was passiert, wenn Menschen in eine soziale und persönliche Abwärtsspirale geraten - das ist unbequem und unheimlich spannend anzuschauen. Davon wünscht man sich mehr im deutschen Kino.
"Treppe aufwärts" läuft auf den Hofer Filmtagen am Donnerstag um 12.00 Uhr, am Freitag um 20.45 Uhr und am Sonntag um 12.00 Uhr. Ein Kinostart ist für März/April 2016 angedacht.
Arne Körner mit "The Bicycle"
Eine Fernbeziehung, die in Paris zum Glück führen soll. Zwei Menschen, die sich lieben, aber kaum kennen. Das ist die Ausgangssituation in "The Bicycle". Davon weiß der Zuschauer aber erstmal wenig, wenn er den Film zum ersten Mal sieht. Arne Körner tut uns nicht den Gefallen, zu erklären, worum es in seiner Geschichte eigentlich geht. Er zeigt stattdessen ein Roadmovie in progress, zwei Menschen, die miteinander einsam sind und versuchen, das beste aus ihrer gemeinsamen Zeit zu machen. Und daran glorreich scheitern. "The Bicycle" ist ein bisschen wie "Before Sunrise" ohne bedeutungsschwere Dialoge. Eine Reisedokumentation ohne definiertes Ziel. Nach einer Dreiviertelstunde eine Diskussion, nach eineinviertel Stunden ein Streit und am Ende ein brennendes Fahrrad - das muss reichen, um die Dynamik einer vor die Hunde gehenden Beziehung zu begreifen. "The Bicycle" ist ein wunderbares Gegengift zu all den zielgerichteten Liebesgeschichten, die das Kino gern erzählt - hier wird nichts erklärt, aber ganz viel verstanden, und ein Happy End ist keine Option. So macht man keine Kassenmagneten, aber gute Filme. Für Menschen mit Sitzfleisch, die am Ende etwas gelernt haben, ohne mit erhobenem Zeigefinger darauf aufmerksam gemacht worden zu sein.
"The Bicycle" läuft auf den Hofer Filmtagen am Mittwoch um 19.45 Uhr, am Donnerstag um 16.45 Uhr und am Sonntag um 16.00 Uhr.
Daniel Carsenty mit "After Spring Comes Fall"
Ein glückliches Paar mitten im Bürgerkrieg - und dann plötzlich ein Schuss, eine Flucht, ein neues Leben in der Ferne, in Deutschland, in einem neuen Bürgerkrieg, der die Sorgen aus der Heimat widerspiegelt und neu verhandelt - das ist die Geschichte von "After Spring Comes Fall". Eine kurdische Asylantin versucht Fuß zu fassen in Berlin und wird hineingezogen in politische und kriminelle Zusammenhänge, die ihr zunehmend außer Kontrolle geraten. Statt kleinlich ein Flüchtlingsschicksal auseinanderzunehmen, wagt sich Daniel Carsenty in seinem Film an eine spekulative Interpretation aktueller politischer Komplexe, die mehr Fragen aufwirft als Antworten zu liefern. Die Geschichte von "After Spring Comes Fall" wird so bruchstückhaft erzählt, dass am Ende eine unbequeme Irritation bleibt, die man sich öfter wünscht im deutschen Film. Wer alles erklären kann, hat nichts zu erzählen - ein bisschen mehr von der nebulösen Abenteuerlust eines Daniel Carsenty wäre manchmal ganz gesund für das Kino unserer Zeit.
"After Spring Comes Fall" läuft auf den Hofer Filmtagen am Mittwoch um 17.30 Uhr, am Donnerstag um 14.30 Uhr und am Sonntag um 17.45 Uhr.
Philipp Fussenegger mit "Henry"
Der hochbegabte, aber extrem introvertierte Henry kommt an ein abgeschiedenes Musikinternat und findet sich umgehend in einem nervenaufreibenden Konkurrenzkampf mit dem selbstbewussten Toptalent der Schule wieder. Mehr passiert eigentlich gar nicht in Philipp Fusseneggers Spielfilm - die Spannung entwickelt sich hier aus einzelnen Blicken, Gesten, konzentrierten Bildern und Momenten des Schweigens und der Stille. Und aus der Musik: In der Ekstase des Orgelspiels, heimlich in der Nacht, mit blutenden Händen, kann man für Augenblicke erahnen, welche abgründigen Kräfte in Henry schlummern. Erklärt wird die Figur bis zuletzt nicht - als Henry ganz am Ende zum ersten Mal spricht, ist der Machtkampf entschieden, aber es ist kein Triumph, die inneren Qualen, die man hinter der stoischen Fassade des Protagonisten vermutet, werden nicht aufgelöst. Philipp Fussenegger macht vor, wie man mit wenigen Mitteln faszinierende Charaktere zeichnet - ohne zu viel zu verraten, ohne psychologisch herumzudoktern, einfach mit Bildern und Klängen, die einen fast hypnotischen Sog erzeugen.
"Henry" läuft auf den Hofer Filmtagen am Donnerstag um 12.00 Uhr, am Samstag um 15.30 Uhr und am Sonntag um 19.15 Uhr.
Nikolas Jürgens mit "Zweite Hand"
Südfrankreich, Urlaubsidylle, Todesfall - der Film "Zweite Hand" geht erstmal von Klischeebildern aus. Nur um alle Erwartungen des Zuschauers gleich mehrfach gegen den Strich zu bürsten. Die Protagonistin des Films besucht den Mann ihrer Zwillingsschwester, die sich das Leben genommen hat - und gerät in ein "Vertigo"-ähnliches Szenario aus Schizophrenie und Psychoterror, das in einem Albtraum aus Gewalt und Wahnsinn endet. Ein Thriller, der sein komplettes erstes Drittel lang gar nicht ahnen lässt, dass er ein Thriller ist - das muss man sich erstmal trauen. Nikolas Jürgens schafft das mit Bravour - wie er seine Geschichte nur über Andeutungen und dann doch schlüssig erzählt, davon könnten sich diverse deutsche Filmemacher eine Scheibe abschneiden.
"Zweite Hand" läuft auf den Hofer Filmtagen am Donnerstag um 12.00 Uhr, am Samstag um 15.30 Uhr und am Sonntag um 19.15 Uhr.