Christian Ulmen ist ein Glücksfall für das deutsche Fernsehen: Mit MTV-Formaten wie "Unter Ulmen" oder "Mein neuer Freund" hat er Krawall und Anarchie in die deutschen Wohnzimmer gebracht und den Job der heutigen TV-Rebellen erfunden. Aber seine Arbeit ist längst nicht abgeschlossen. Mit MaxDome produzierte er die Serie "Jerks", in der er und sein Kumpel Fahri Yardim narzisstische, großkotzige Versionen von sich selbst spielen. Wir haben mit Christian Ulmen über Scham, Fremdscham und eine gewisse Arschigkeit gesprochen.
PULS: Die Karriere des Christian Ulmen hat irgendwann im "Offenen Kanal" in Hamburg begonnen – so geht die Legende. Irgendwann hat Sie dann angeblich ein MTV Manager entdeckt, der besoffen im Hotel ihre Show geguckt hat. Wahr?
Christian Ulmen: (lacht) "Besoffen" - das ist das Ding. Nach all den Jahren ist hängen geblieben, dass er versoffen im Büro hing. Er war eigentlich nüchtern, aber es klingt natürlich viel toller, wenn er versoffen im Büro hing.
Wenn Sie heute anfangen würden, würden Sie wahrscheinlich einen YouTube-Kanal aufmachen - was würden Sie da machen? Haben Sie eine Idee?
Das weiß ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Wir haben früher im "Offenen Kanal" – der sehr vergleichbar ist mit YouTube – eine Menge Sachen gemacht. Der "Offene Kanal" war ein Kabelfernsehsender, den man in Hamburg ganz normal mit dem Kabelfernsehen empfangen konnte und wo alle Bürger Hamburgs eine Stunde Programm machen konnten. Man bekam eine Kamera zur Verfügung, einen Schnittkurs – und dann konnte man machen, was man wollte.
Ich hab damals mit meinen Freunden Ulrich Meier nachgespielt: Wir haben "Der heiße Stuhl"-Talkshows nachgemacht. Wir haben in geschwindigkeitsbeschränken Straßen Autos angehalten, die schneller als 30 fuhren und die Fahrer vor der Kamera zur Rede gestellt. Also, so ein RTL Exklusiv, Investigativ-Krawallo-Ding. Das hat uns, weil wir 12 Jahre alt waren - niemand geglaubt. Das wirkte natürlich unfassbar lustig, dass 12-Jährige Autofahrer anhalten und die zur Rede stellen - alle hielten das für Satire auf RTL. War nie so gemeint, wir wollten einfach genau so sein. So habe ich Humor entdeckt, also eigentlich nicht ernstgenommen werden: "Okay, wenn mich eh keiner ernst nimmt, dann mach ich's eben gleich lustig und dann sind die Sachen irgendwann lustig geworden. "
Aber was ich heute auf YouTube machen würde? Weiß ich echt überhaupt nicht. Ich bin ja 41 - die, die jetzt YouTube machen, sind 15 Jahre alt. Aber ich bin fasziniert, wie gut und wie professionell die teilweise ihr Zeug herstellen – wie wahnsinnig virtuos die schneiden – was die für Musikvideos da rauskloppen – mit 16 Jahren, das ist wirklich beeindruckend.
Von "UlmenTV" bis hin zu "Jerks" – Fremdscham ist eigentlich immer ein Thema bei Ihnen – wieso?
Ja, überhaupt Scham – ich finde das tröstlich, dass ich nicht alleine bin mit meiner Scham. Das andere Leute sich auch in peinliche Situationen reindödeln und sich dabei genauso benehmen wie ich. Ich finde, dass in dieser Form von Komik Trost steckt, die ich auch gerne dem Zuschauer mit "Jerks" gebe. Es ist ja oft so, dass du über Sachen nicht gern sprichst, die dir weh tun und du versuchst diesen Schmerz zu unterdrücken - davon wird er aber nicht besser. Das Lachen ist eine wahnsinnig gute Möglichkeit, um den Schmerz zu lindern. Die Sachen, die dir Schmerz bereiten dem Lachen zur Verfügung zu stellen, ist eigentlich die beste Medizin gegen den Schmerz der Scham.
Schämen Sie sich denn im Alltag auch noch?
Ja, klar, dauernd. Ich glaube, anders geht's nicht. Du kannst nur etwas erzählen, was du selber erlebt hast. Du musst dich schämen können und auch wissen, wo eine Schamgrenze liegt, um sie überschreiten zu können. Wenn du dich selber nicht schämst, kannst du auch keine Comedy zum Thema Peinlichkeit machen.
Wann haben Sie sich das letzte Mal geschämt?
Ach, dauernd. Es ist ja auch schon anstrengend, wenn man die Tür aufmachen muss, weil der Postbote klingelt - aber dann ist man so schlecht gelaunt, weil der so nervt und man schämt sich hinterher dafür, dass man so schlecht gelaunt war. Eigentlich ist es ein Grundrauschen - das Sich-Schämen bei mir.
Bei "Jerks" habe ich auch in den Abspann geschaut und da stehen Sie gar nicht drin. Haben Sie gar nicht mitgeschrieben, wenn Sie doch den Christian Ulmen in der Serie spielen?
Doch. Aber "Jerks" ist ein Remake von "Clown". Das heißt diese Serie gibt es und es gibt Drehbücher. Die Firma Talpa hat sich diese Drehbücher gekauft, quasi die deutschen Rechte erworben und gesagt: "Wir machen jetzt diese grandiose Serie aus Dänemark in Deutschland". Dann haben sie mich als Regisseur und Hauptdarsteller dafür angefragt. Ich habe dann die dänischen Drehbücher hergenommen und habe sie mit unseren Autorenkollegen Johannes Bost und Murmel Klausen eingedeutscht. Das heißt, das erste, was wir machen mussten war, die Figuren, die einfach nicht Fahri Yardim und ich sind, zu uns holen. Das heißt: Ich habe in der Serie zwei Kinder – gibt's in Dänemark nicht – der Typ in Dänemark ist kinderlos. Ich hab eine Exfrau, die von meiner aktuellen Frau gespielt wird. Gibt's so auch nicht.
Jetzt wird eine Folge ausgestrahlt, bei der Sven Unterwald mir Regieanweisungen gibt und Nora Tschirner taucht auf und maßregelt mich. All das sind Momente, die aus meinem echten Leben stammen. Es gibt auch Momente, die aus Fahris echtem Leben stammen und die haben wir in "Jerks" hineingehoben. Die Grundgeschichten kommen aus Dänemark und die haben wir verwoben mit diesen Geschichten unserer Charaktere und Geschichten die tatsächlich aus unserem Leben stammen. Außerdem ist "Jerks" von vorne bis hinten improvisiert, was die Dialoge betrifft. Es gibt keine Dialoge, die von irgendwo übernommen worden wären. Das heißt: Der Text und sämtliche Handlungsstränge entstehen wirklich beim Drehen.
Es gibt keine geschriebenen Dialoge: Das ist eine der großen Stärken von "Jerks". Man hat nicht diese deutsche Drehbuchsprache. Jetzt sind Sie aber mit Fahri Yardim schon seit Kindheitstagen befreundet. Braucht es irgendwie so eine enge persönliche Beziehung um Improvisationen so auf die Spitze zu treiben?
Nein, das glaube ich nicht. Das macht, glaube ich, nicht so viel aus bei der Arbeit. Es gibt ja auch Interaktionen mit Emily Cox zum Beispiel, die grandios ist in der Serie, und ebenfalls zusammen mit mir improvisiert. Wir kannten uns vorher gar nicht. Es gibt viele Möglichkeiten an Schauspielerei ranzugehen: Es gibt diejenigen Schauspieler, die gerne viel Proben und sich ausgiebig vorbereiten, die daraus auch ihre Kraft und ihr Wirken ziehen und auch authentisch wirken dabei. Dann gibt's den Typus Schauspieler, der sagt: "Ich bin nur dann gut, wenn ich das nicht geprobt habe."
Ich verlasse mich darauf, dass mir in dem Moment, wenn es zählt, etwas einfällt. Diese Frische des Moments, das ist mein Spiel. Wir haben einen Cast aus diesem Schauspielertypus zusammengestellt. Das heißt, alle, die bei Jerks mitspielen, sind Schauspieler, die es lieben, unvorbereitet in eine Figur reinzuschlüpfen und so sehr mit der Figur eins zu werden, dass automatisch immer die richtigen Sätze aus ihnen rauskommen.
Wenn Sie sagen, der Christian Ulmen in der Serie ist angenähert an den echten Christian Ulmen, muss man aber auch sagen, der Christian Ulmen in der Serie ist ein Jerk, ein Arsch. Würden Sie mit dem Christian Ulmen in der Serie einen Kaffee trinken wollen?
Ja! Absolut! Dessen Arschhaftigkeit kann ich total nachvollziehen. Das sind ja Lügen, die letztlich geboren sind aus dem Wunsch, es einem recht zu machen. Es sind Notlügen – die kommen aus der Angst davor irgendwie anzuecken und in eine Peinlichkeit zu geraten. Diese Notlügen machen es dann nur noch schlimmer für ihn. Es ist auch ein bisschen Feigheit - aber Feigheit rührt für mich aus dem menschlichen Ansinnen möglichst wenig Probleme zu haben. Das kann ich nachvollziehen, ja. Das ist ein bisschen arschig, aber es ist ne Form des Arschigseins für die ich Verständnis habe.
"Jerks" istauf MaxDome gestartet und diese Woche kommt die nächste deutsche Serienhoffnung "You're wanted" auf AmazonVideo raus. Erleben wir jetzt auch in Deutschland so eine Serienrenaissance wie in den USA mit Serien von Netflix und Amazon?
Das weiß ich nicht. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber auf jeden Fall sind das die neuen Player: Amazon, Netflix, MaxDome, die jetzt Serien in Auftrag geben und die dort laufen. Das sind ja aber erstmal Testmodelle. Wenn das funktioniert, wird's da öfter neue Serien geben. Und ich find das toll.
Eine Serie, die du auf einem Portal gucken kannst, die kannst du anders stricken. Du musst nicht darauf achten, dass du in den ersten zwei Minuten keine Zuschauer verlierst. Du musst die ganzen linearen Fernsehdinger da nicht beachten. Du musst nicht überlegen, wo sitzt der Werbebreak? Bin ich nach der Werbung spannend genug? Du kannst bei einem Videoportal einfach darauf setzen, dass, wenn die Leute einmal gefangen sind mit Folge 1, dann gehen die auch mit bis zur letzten Folge. Weil sie die Figuren interessieren und weil sie der Plot interessiert.