Interview zum Film "Das schweigende Klassenzimmer" Wieso eine Schulklasse aus der DDR unser Vorbild sein sollte

Ausschluss vom Abitur wegen einer Schweigeminute im Klassenzimmer. Klingt wie ein schlechter Scherz? Ist 1956 aber einer kompletten Schulklasse in der DDR passiert. Regisseur Lars Kraume erzählt im Interview, was die Geschichte mit unserem Leben zu tun hat.

Von: Ivy Nortey

Stand: 01.03.2018 | Archiv

Das schweigende Klassenzimmer - Filmszene | Bild: Studiocanal

Zwei Minuten Stille, die das Leben von 19 Schülerinnen und Schülern verändert haben. Lars Kraumes Sachbuch-Verfilmung "Das schweigende Klassenzimmer" erzählt die wahre Geschichte einer ostdeutschen Schulklasse. Die Abiturienten Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) sehen bei einem Besuch in Westberlin erschütternde Bilder vom niedergeschlagenen Volksaufstand in Budapest. Zurück in der Schule beschließen sie eine spontane Schweigeminute. Der Schuldirektor versucht die Aktion als jugendlichen Unsinn abzutun, aber Volksbildungsminister Lange vermutet einen politischen Akt. Er will unbedingt die "Rädelsführer" ausfindig machen und droht den Schülern mit dem Ausschluss vom Abitur. Und obwohl sich das alles vor über einem halben Jahrhundert abgespielt hat, hat es eine Menge mit unserem Leben im Jahr 2018 zu tun, erzählt Regisseur Lars Kraume im Interview.

PULS: Diese Schweigeminute zwingt die Schüler zum plötzlichen Erwachsenwerden. Dabei wirkt sie eigentlich wie eine fixe Idee.

Lars Kraume: Das war, wie man halt mit 17 einfach mal gedankenlos handelt. Das war ein Streich. Erst als die Schüler merkten, ach so, wir werden hier zu Staatsfeinden gemacht, haben die sich richtig überlegt: Was bedeutet das eigentlich? Und sind im Zuge der Geschichte politisch erwacht.


Ist so ein politisches Erwachen für Teenager heute genauso wichtig?

Klar. Es ist ja egal, ob du dir 1956 in der DDR irgendwie deine Meinung bildest und dann dazu stehst oder ob du das heute mit anderen Themen machst. Irgendwann in diesen Jugendjahren kommt genau dieser Moment, in dem du dir einmal darüber klar werden musst: Wer bin ich, wozu stehe ich und mit welcher Konsequenz?

Wogegen lehnen sich Schüler eigentlich genau auf?

Der Gegner ist im historischen Rahmen der DDR klar zu erkennen. Da gibt es eine Elterngeneration, die will eine Utopie verwirklichen, die will diesen Sozialismus herstellen, mit aller Gewalt – und tatsächlich auch mit echter Gewalt. Die lassen kein anderes Denken zu. Und was diese Schüler machen, ist anders denken. Die wollen ihre Meinung frei äußern dürfen.

Es ist nicht leicht, sich eine eigene Meinung zu bilden, wenn man nur vage Informationsquellen hat.

Die Idee von Fake News spielt heute wie damals eine wichtige Rolle. Die Schüler von 1956 wissen nicht, was von den Nachrichten aus dem Westen stimmt und welche der Ost-Nachrichten falsch oder richtig sind. Denn beides war Propaganda und beide Seiten haben die Wahrheit immer nur so gedreht, wie sie sie haben wollten. Das ist etwas, was uns auch heute wahnsinnig betrifft.

Wie schafft man es trotzdem, sich eine auf die Wahrheit stützende Meinung zu bilden?

Diese Schüler bohren nicht nur in den vorhandenen Informationsquellen Zeitung und Radio, sondern graben auch in den Biografien ihrer Eltern nach einer tieferen Wahrheit. Die Elterngeneration versucht die erlebte Vergangenheit totzuschweigen: das Dritte Reich, den Holocaust, die kommunistische Bewegung. Das sind Teile der Vergangenheit, die man heute noch kennen sollte.

Man findet gar nicht so viel Zeit, mit seinen Eltern über all das zu reden, was die einem an Lebensweisheit voraus haben, weil das eben auch mühsam ist. Die müssen in ihren Erinnerungen kramen und sich zwingen, Dinge irgendwie so zusammenzufassen, dass du sie auch verstehen kannst. Aber es ist wahnsinnig wichtig, dass Generationen miteinander reden.

Was lehrt uns die Geschichte des schweigenden Klassenzimmers?

Den Gegner muss jeder in seiner Generation neu ausmachen. Das ist jetzt nicht mehr so leicht. Aber trotzdem: Der Film ist im Prinzip - und dafür ist ein Film da - eine Erfahrung. Er ist eine Miniatur, ein Drama. Und er lehrt uns: Wenn man etwas zu sagen hat, wenn man die eigene Meinung findet und dann äußert, dann muss man tatsächlich auch bis zur letzten Konsequenz dafür gerade stehen. Und sollte das auch tun.

"Das schweigende Klassenzimmer" von Lars Kraume startet am 01. März 2018 deutschlandweit im Kino.

Sendung: Freundeskreis vom 27.02.2018 ab 10 Uhr