PULS Preview / MATANGI / MAYA / M.I.A. Doku über die coolste Musikerin der Nullerjahre
M.I.A. datet Diplo und tritt beim Super Bowl auf. M.I.A. setzt sich aber auch für Flüchtlinge ein und legt sich mit der sri-lankischen Regierung an. Eine neue Doku erzählt ihre Story.
Über fünf Jahre hat es gedauert, diese Doku über M.I.A. zu machen. Als sie schließlich Anfang 2018 beim über-hippen Sundance Film Festival Premiere feierte, waren alle Zuschauer aus dem Häuschen. Alle – außer M.I.A. selbst. Die hatte den Film gerade zum allerersten Mal überhaupt gesehen und war ziemlich angepisst. "Ich wusste nicht, dass meine Musik in diesem Film keine Rolle spielen wird", klagt sie im Billboard-Magazin. "Das ist nicht der Film geworden, den ich gemacht hätte." Darauf können wir guten Gewissens antworten: zum Glück.
M.I.A.: Flüchtlingskind, Britpop-Insider, Filmemacherin, Sängerin
"MATANGI / MAYA / M.I.A." besteht zu gefühlt 90 Prozent aus Aufnahmen, die Mathangi Arulpragasam aka M.I.A. über 20 Jahre hinweg selbst gemacht hat – von sich, ihrer Familie, ihren Reisen, ihren Musiker- und Künstlerfreundinnen und Freunden. Einer dieser Freunde, Steve Loveridge, hat all diese Aufnahmen zu einem Film zusammengeschnitten, der versucht, die bewegende Story dieser Ausnahmekünstlerin in 95 Minuten zu erzählen.
Nachdem ihre Familie aus Sri Lanka nach Großbritannien geflüchtet ist, wächst M.I.A. in Westlondon auf. Im Film sehen wir, wie sie sich als Teenager mit ihren Geschwistern über ihren Vater unterhält, der als Anführer einer umstrittenen Rebellengruppe in Sri Lanka für die Unabhängigkeit der Bevölkerungsgruppe der Tamilen kämpfte – und den seine Kinder kaum kannten. M.I.A. ergreift Partei für ihn: "Er hat uns zu dem gemacht, was wir sind!" Und das ist der Konflikt, den M.I.A. in ihrer Kunst und ihrem Leben austragen wird: Wer genau ist sie? Der Titel des Films allein benennt gleich drei Identitäten: "MATANGI / MAYA / M.I.A.".
Die Doku verfolgt M.I.A.s Leben chronologisch. Ende der 90er lernt sie die Britpop-Band Elastica kennen und geht mit ihnen auf Tour. Sie reist in ihr Herkunftsland, sie fängt an, auf ihrem klapprigen Vierspur-Tonbandgerät Beats zu basteln und singt beim Indie-Label XL Recordings vor. Überall hat sie ihre Kamera dabei und es ist irre spannend zu sehen, wie hungrig und talentiert sie damals schon war.
Kein beschönigendes Starporträt
M.I.A.s Musikkarriere geht von Anfang bis Ende der Nullerjahre nur in eine Richtung: steil nach oben. Sie ist bei MTV, sie tritt beim Coachella auf, ihr zweites Album "KALA“ wird in der Rockbibel Rolling Stone zur Platte des Jahres gewählt. Aber als der Bürgerkrieg in Sri Lanka eskaliert, merkt sie, dass es Dinge gibt, die größer sind als Popmusik.
Sie bezichtigt die sri-lankische Regierung des Völkermords, legt sich mit den Medien an, dreht Videos, in denen Gewalt explizit thematisiert wird – und bekommt krassen Gegenwind.
M.I.A, Born Free from ROMAIN-GAVRAS on Vimeo.
M.I.A., so kommt es im Film rüber, ist für den Mainstream als "exotischer“ Popstar akzeptabel – als politisch bewusste, provokante Künstlerin nicht. Die Spannung in ihrer Kunst, ihrer Person und ihrem Leben rührt daher, dass sie beides ist. Sie kann mit Nicki Minaj und Madonna beim Super Bowl auftreten, kann es sich aber nicht verkneifen, den Fernsehkameras während ihrer Performance den Finger zu zeigen. Na klar ist "Paper Planes“ ein Riesenhit – aber dass er von Vorurteilen gegenüber Einwanderern handelt, werden wenige wissen.
Die Doku "MATANGI / MAYA / M.I.A.“ beschönigt wenig. M.I.A. ist trotzig, arrogant, neugierig, verletzlich, witzig – und so zeigt sie der Regisseur Loveridge auch. Für M.I.A. selbst mag es schwierig sein, sich das anzuschauen – für uns als Zuschauer ist es inspirierend, unterhaltsam und mitreißend.
Sendung: Hochfahren vom 08.11.2018 ab 7 Uhr