Tidying Up with Marie Kondo Bitte nicht nachmachen!

Marie Kondos Netflix-Serie sorgt im Minimalismus Hype für Aufräumwahn auf der ganzen Welt. Unsere Autorin hat mit Kondos Methode schon vor einem Jahr ausgemistet – und warnt euch: Lasst es einfach sein.

Von: Christina Metallinos

Stand: 24.01.2019 | Archiv

Maria Kondo | Bild: Netflix

Das Grundprinzip von Marie Kondo ist schnell erklärt: Sie kommt zu anderen Leuten nach Hause und lässt sie aufräumen. Mit ihrer Anleitung. Seit Netflix ihr dafür eine eigene Serie gewidmet hat, sind meine Freunde offenbar im Kondo-Wahn. In meinem Feed sehe ich Kleiderberge auf Betten, bunte T-Shirt-Armeen, die stramm in Schubladen nebeneinanderstehen. Ich habe das alles schon hinter mir. Es war schön, ist es aber nicht mehr.

In mein Leben ist Marie Kondo vor einem Jahr getreten - in Form ihres Hörbuchs. Sie ist Bestsellerautorin, ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft. Praktisch veranlagt, höre ich ihren Weisheiten zu und kremple währenddessen mein Hab und Gut um.
Marie Kondos Vorgehen hat sogar einen eigenen Namen. Ihre Konmari-Methode geht so: Alles aus dem Schrank räumen, einzeln anfassen und sich fragen "Macht mich dieses Stück glücklich?" Also werde ich radikal. So leicht konnte ich mich noch nie von Dingen trennen - und so fällt das Ausmisten leicht.

"Does it spark joy?"

Die einzige Regel, die ich mir vorab gebe: Meine Büchersammlung ist tabu. Auch wenn Bücher für Marie Kondo genauso aussortiert gehören wie alles andere, machen mich die Bücher selbst und die Erinnerungen, die ich mit ihnen verbinde, glücklich genug.
Der Kleiderschrank ist meine größte Baustelle. Marie Kondo packt mich genau bei meiner sentimentalen Veranlagung, indem ich alte Bandshirts und ausgeleierte, einst tolle Jeans, nicht mehr nostalgisch ansehe. Sondern ganz egoistisch auf die Suche nach meinem Glücksgefühl gehe.

Dabei entdecke ich vergessene Stücke, auf denen sonst andere Sachen lagen. Das darf nicht mehr passieren, denn diese Dinge machen mich glücklich! Also wird nach dem Aussortieren aufgeräumt: Ich lege nichts mehr klassisch zusammen, sondern falte alles in kleine Rechtecke oder rolle es zusammen. Pullover, Jeans, Jogginghosen, egal was: Falten und rollen - alles nach Konmarie.

Für den Keller überlege ich mir ein thematisch ausgefeiltes System. Partydeko, Werkzeuge, Winterschuhe, alles bekommt seine eigene Box. Ich fahre zum Möbelhaus und kaufe durchsichtige Plastikkisten, passende Deckel und Verschlussclips. So ordentlich war es um mich herum noch nie, das spüre ich! Übersichtlich ist es jetzt zwar auch in meinem Portemonnaie, aber dafür herrscht ein Gefühl: Befreiung. Danke Marie!

Nach der Befreiung kommt die Ernüchterung

Heute sehe ich, wie so viele andere dasselbe tun, was ich vor einem Jahr getan habe. Und ich muss sagen: Danke, Marie - für das Chaos! Denn es ist nicht nach einem Sonntag vorbei. Es hört niemals auf. Der Wäschekreislauf ist ein ewiger, sobald etwas gewaschen und getrocknet ist, muss man es nicht mehr mit einem geübten Move in der Luft falten, sondern sauber hinlegen und zusammenrollen. Im Idealfall noch andächtig und meditativ. Ist klar.

Am Anfang will ich das Kondo-Gefühl in mir bewahren, doch irgendwann merke ich: Das dauert alles ganz schön lang. Genau diesen Punkt behandelt die Serie auch. Als eine Familienmutter fragt, wann sie das denn alles noch schaffen soll, antwortet Marie Kondo lächelnd: "Beziehen Sie doch die Kinder mit ein. Sie werden es lieben!"

Ein Jahr nach Kondo

Nur: Ich habe weder Kinder, noch kleine Elfen, die das übernehmen. Ich muss das selber machen. Und irgendwann mache ich es nicht mehr. Also beginne ich, nicht mehr zu rollen. Zusammenlegen geht schneller. Und noch schneller geht es, wenn man das Zeug einfach in den Wäschekorb pfeffert, damit man den Wäscheständer zusammenklappen und wieder im Wohnzimmer rumlaufen kann!

Der Status jetzt, ein Jahr nach Marie Kondo: Ich ziehe morgens zerknitterte, gewaschene Kleidung aus meinem Wäschekorb. Die Schubladen sind halb leer, denn sobald man ein paar T-Shirts rausgenommen hat, wird das fragile Origami-Kunstwerk aus Baumwolle sehr zerbrechlich. Die Teile fallen auseinander, bei jedem Öffnen der Schublade ein wenig mehr. So habe ich nun eine Schublade voller halb entfalteter T-Shirts - chaotischer war es noch nie.

Umdenken muss früher anfangen – beim Konsum

Nur beim Shoppen, da hat Marie Kondo wirklich etwas verändert: Früher hätte ich gekauft, was einigermaßen gut sitzt, ganz nett aussieht und meinen Geldbeutel nicht zu arg strapaziert hätte. Seit ich aber umgerechnet Hunderte von Euro in einen Altkleidercontainer warf, weiß ich: Das bringt eh nichts.

Das Problem ist: Davon redet Marie Kondo sehr wenig. In der Serie geht es vor allem um den Ballast, um den Vorher-Nachher-Effekt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Stattdessen bitte die Müllsäcke raustragen und neue große und kleine Schachteln ins Haus holen, für mehr Ordnung. Die britische Kaufhauskette "John Lewis & Partners" meldet, sie hätte dieses Jahr 47 Prozent mehr Ordnungsboxen verkauft, dank Marie Kondo.

Marie Kondo selbst hat bereits ihre eigene Schachtelkollektion entworfen. Das "Hikidashi Box Set", bestehend aus sechs Schachteln in Ausführungen wie "Clarity", "Harmony" und "Balance", kostet umgerechnet 78 Euro. Zurzeit leider vergriffen, meldet Marie Kondos Onlineshop.

Die viel wichtigere Frage wäre doch: Warum besitzen die meisten von uns so viele Dinge, die sie nicht brauchen, vergessen haben oder von denen sie klar wissen: Das macht mich nicht glücklich? Vielleicht, weil uns nicht alles glücklich machen muss. Blazer fürs Büro, Schraubenzieher zum Reparieren oder Kleiderbügel, all das hat vor allem einen praktischen Zweck. Wer das anders sieht, den stellt die Netflix-Serie wie einen Schwächling im System Kondo dar:

"Haben wir eine leere Kiste für Kleiderbügel? Ich will sie nicht alle wegwerfen – Brauchst du 200 Kleiderbügel als Reserve? - Ja, vielleicht!"

Dialog zwischen Rachel und Kevin Friend in Folge 1

Es geht um eine Familie mit zwei Kleinkindern. Spoiler: Ja, eines Tages werden sie Kleiderbügel brauchen. Für die CO2, Wasser und Arbeitskraft in Herstellung und Transport bereits draufgegangen sind. Ist aber egal. Was nicht jetzt sofort glücklich macht, kann nicht nur weg. Es muss weg.

Ja, ich war froh in dem Moment, als ich ausgemistet hatte. Aber jetzt muss ich sagen: Ich will diesen Stein nie mehr ins Rollen bringen. Denn er rollt immer weiter, jeden Tag erinnert einen ein Stück von Konmari mehr daran, wie ich gescheitert bin. Wer so ein Chaot ist, dass er meint, Marie Kondos Ordnung zu brauchen - der ist, fürchte ich, ein zu großer Chaot, um dieses System auf Dauer durchzuhalten. Und mittlerweile will ich dieses System auch gar nicht mehr durchhalten. Da mach ich mir nix mehr vor.

Sendung: Filter, 22.01.2019 - ab 15 Uhr.