TV & Serie // "Dr. Böhmermanns Struwwelpeter" Pädagogikkeule in Vollschwingung
Wenn Jan Böhmermann sich im Neo Magazin Royal Literaturklassiker wie "Effi Briest" und "Faust" vornimmt, hält er auch immer uns den Spiegel vor. In einer Spezialfolge tut er das jetzt auch mit den grausamen Geschichten aus dem Struwwelpeter.
Ein Stuhlkreis voll besorgt blickender Eltern aus allen Teilen der Gesellschaft: Die total aufgeklärten Hippieeltern kommen zu spät, die Reichsbürgereltern erklären kurz die Haltung ihres Reichskanzlers, die Yuppie-Eltern sind eigentlich schon wieder auf dem Sprung zum nächsten Termin – und mittendrin: Dr. Böhmermann, in der Hand ein allseits bekanntes, gelbes, dickpappiges Kinderbuch mit einem verlotterten Kind auf dem Cover. Dr. Böhmermanns ZDF Kindertagestätte erzieht nämlich nach dem Struwwelpeter-Prinzip.
Ja, Böhmermann holt wieder mit der Pädagogikkeule aus. Und das geht bei so einem Erziehungsklassiker aus dem autoritätshörigen 19. Jahrhundert natürlich besonders gut. Die Geschichten aus dem Struwwelpeter erzählen von den Missetaten böser Buben – und den haarsträubenden Konsequenzen. Pauline verbrennt, weil sie rumzündelt. Hans ertrinkt fast, weil er wieder träumt. Der Daumenlutscher wird krass verstümmelt. Mit Angst und harten Strafen werden Kinder heute kaum noch erzogen. Aber genau deshalb taugt die Vorlage auch, um sich über alles Mögliche lustig zu machen - zum Beispiel über die Eltern, die in der Kita sitzen. Die Geschichten werden bei Böhmermann zu Parabeln auf Helikoptereltern, Generationenkonflikte, Social-Media-Inkompetenz und Realitätsflucht.
Böhmermann erzieht nicht mit Strafen - sondern Haudraufhumor
"Dr. Böhmermanns Struwwelpeter" ist an sich nichts anderes als die kurzen Sketche aus dem Neo Magazin Royal, aufwändig inszeniert mit vielen Gaststars (darunter Kida Ramadan aus "4 Blocks") - nur ausgedehnt auf eine halbe Stunde. Mit seinen Literaturschlüsseln hat Böhmermann Abi-Pflichtlektüren wie "Effi Briest", "Faust" oder "die Physiker" auseinandergenommen, ihren Klassikerstatus in Frage gestellt und die Analysen mit der Böhmermann-Ideologie unterfüttert, gegen die sexistischen, rassistischen Tendenzen unserer Zeit und unhinterfragte Autoritätsgläubigkeit. Und genau das tut er jetzt mit dem Struwwelpeter. Weil kein anderes Kinderbuch so vom autoritären Gedanken geleitet wird, wie Heinrich Hoffmans Geschichtensammlung von unartigen Kindern.
Dr. Böhmermanns Erziehung ist natürlich reformpädagogisch. Statt mit Bestrafung erzieht Böhmermann mit Humor - oder versucht es zumindest. Denn so richtig geht die Satire hier nicht auf. Jan Böhmermann wirkt wie ein strenger, aber liebevoller Gymnasiallehrer mit einem leicht pathetischen Auftrag – und das liegt nicht nur an seinem beigen Anzug. Wie mit seiner sanften Internetrevolution "Reconquista Internet" - wo er rechten Trollen mit einer gemeinschaftlichen Herzoffensive den Kampf ansagt - will er auch mit dem Struwwelpeter Liebe und Vernunft in der Welt verbreiten.
Mit seinem Abschlussmonolog nimmt er aber allerhöchstens sich selbst und seine naive Hoffnung, dass Menschen sich von Vernunft bekehren ließen, auf den Arm. Die, die "Dr. Böhmermanns Struwwelpeter" einschalten, dürften ohnehin seiner Meinung sein. Da gibt’s nicht mehr viel zu erziehen. Aber diejenigen können wenigstens ein paar Mal lachen, sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen und bequem in die Couch kuscheln.
Ihr könnt "Dr. Böhmermanns Struwwelpeter" am Donnerstag, 14. Juni um 22.15 Uhr in ZDFneo sehen. Oder einfach in der ZDF-Mediathek.
Sendung: Filter, 13.06.2018 - ab 15.00 Uhr