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TV & Serie // "Dietland" Diese feministische Rachefantasie wird euch verstören

In "Dietland" wird die Angstfantasie von Frauenhassern Realität: Während eine Kolumnistin noch mit Schönheitsidealen und ihrem Gewicht kämpft, geht eine feministische Terrorgruppe schon auf Rachefeldzug – zeitgeistiger geht nicht.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 05.06.2018 | Archiv

Szene aus der Serie "Dietland" | Bild: AMC Network 2018

Jahrelang waren sie immer bei mir, auf jeder Bus- und Bahnfahrt, beim Friseur und im Wartezimmer: Frauenzeitschriften. Vollgestopft mit gutgemeinten Ratschlägen, die mein Leben besser machen sollten, mir sagen, wie ich dünner, schöner und damit letztendlich begehrenswerter für die Männerwelt werde. In bunten Farben und beflügelnden Worten wiesen sie mich auf all die kleinen äußerlichen Makel und Mängel hin, die mein Leben angeblich beeinträchtigen - die mir aber ohne diese Zeitschriften wohl niemals aufgefallen wären.

Genau für so eine Zeitschrift schreibt auch Plum Kettle (Joy Nash) in der Adaption von Sarai Walkers Roman "Dietland". Als Ghostwriterin für die eisige Chefredakteurin Kitty Montgomery (fabelhaft gespielt von "The Good Wife" Julianna Margulies) gibt Plum verzweifelten jungen Frauen Rat, deren Probleme von störrischen Locken bis zu Missbrauch reichen.

Rache am Patriarchat

Genau wie die Leserinnen hadert auch Plum mit ihrem Körper - und damit wie Menschen auf sie reagieren. Denn Plum ist stark übergewichtig und gefühlt schon ihr ganzes Leben auf Diät. Eine Magen-OP soll sie dauerhaft schlank und glücklich machen. Und so hungert sie rigoros. Bis sie im Kosmetiklager der Redaktion auf Beauty-Chefin Julia trifft.

Wo die geheimen neuen Schönheitselixiere lagern, die die Kosmetikindustrie an die Frau bringen will, formiert sich ein radikaler Widerstand gegen diese frauenfeindliche Kultur. Julia rekrutiert Frauen für eine feministische Geheimorganisation, die der Gesellschaft einen Denkzettel verpassen will. Plum soll mitmachen. Denn sie hat eine Kartei mit zehntausenden Kontakten von Frauen, die sie um Rat gebeten haben - und das Talent sensible, subversive Messages in ihren Kolumnen zu verstecken.

Gleichzeitig taucht eine andere Gruppe mit brutalen Bildern in den Nachrichten auf. "Jennifer”, so nennt sich die Organisation, ist auf einem Rachefeldzug. Die Mitglieder entführen und ermorden medienwirksam Vergewaltiger und Frauenmörder, die die Justiz nicht bekommen konnte. "Dietland" vergeudet keine Zeit mit unterschwelligen Botschaften und Metaphern. Die drei Storylines der Serie sind blutrot durchtränkt von Wut auf das Patriarchat.

Unentschlossen erzählt und trotzdem befreiend

Leider kann sich Serienmacherin Marti Noxon (von ihr stammt auch "UnReal") nur nicht so recht entscheiden, welche Geschichte sie eigentlich erzählen will. Da ist Plums persönliche Suche nach Glück und Freiheit von Diskriminierung. Aber auch die beiden mysteriösen feministischen Organisationen, die gegen sexistische Kackscheiße jeder Art ankämpfen und die "Time's Up"-Bewegung ein bisschen zu wörtlich nehmen. Und nicht zuletzt ist "Dietland" auch eine Satire über Frauen in den Medien, Schönheitswahn und Emanzipation. Die Serie springt von einer Story zur nächsten und wirkt dadurch zumindest in den ersten beiden Folgen manchmal bemüht und konstruiert. Dass die Handlung von Plum selbst erzählt und mit Cartoon- und Traumsequenzen unterbrochen wird, ist auch eher kontraproduktiv.

Trotzdem fühlt sich eine Stunde "Dietland" nach jahrelangem Frauenzeitschriften-Konsum wie eine kathartische Tiefenreinigung an. Die Serie ist so wütend, feministisch, bitterböse-komisch, ungewöhnlich und voller Reizmomente, dass ich unbedingt wissen will, wie diese Geschichten weitergehen - und ob "Dietland" mehr über den Status Quo von Frauen zu sagen hat, als diese überdrehte, misogyne Angstfantasie, die die Serie so genüsslich auslebt.

Und auch wenn Frauenhasser auf der ganzen Welt diesen Alptraum schon lange hegen: Die Idee einer feministischen Terrororganisation, die sich für alles Unrecht an Frauen rächt, ist zwar total absurd - aber irgendwie auch befreiend anzusehen. Immerhin kommentiert "Dietland" mit dieser Terrorgruppe und ihren Aktionen eher den untätigen, bequemen Teil der Gesellschaft, der nichts für die Gleichstellung der Geschlechter tut und selbst offensichtliche Probleme nicht anerkennt.

Die Zeit ist reif für diese Serie. Das zeigten leider auch schon vor Serienstart die vielen hasserfüllten Kommentare bei Youtube und Instagram, deren Verfasser "Dietland" und dessen starke, füllige Hauptfigur offenbar sehr persönlich nehmen.

"Dietland" könnt ihr bei Amazon Prime Video streamen. Jeden Dienstag gibt's neue Folgen nach der US-Ausstrahlung. Der Autorin wurden die ersten zwei Folgen vorab zur Verfügung gestellt.

Sendung: Filter, 06.06.2018 - ab 15.00 Uhr