TV & Serie // Mindhunter Law & Order für Akademiker
Nach "House of Cards" macht Hollywood-Regisseur David Fincher jetzt eine neue Serie für Netflix: nicht über Politiker, sondern über Profiler. Diese Crime-Serie bricht alle Regeln. Das ist zwar großartig, aber auch anstrengend.
Von: Vanessa Schneider
Stand: 18.10.2017
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Im Sommer 1977 sorgen Serienmörder für Schlagzeilen in den USA. Ermittler sind verunsichert und mit ihrem Latein am Ende: Niemand kann sich die bizarren Mordserien erklären. Die Morde sind willkürlich, scheinbar ohne Motiv und viel zu komplex für die einfachen Erklärungsversuche der Polizei. Genau wie die politisch und gesellschaftlich turbulenten 70er selbst.
"Die Welt ergibt kaum noch einen Sinn, folglich auch die Kriminalität nicht."
FBI-Agent Holden Ford
Die FBI-Agenten Holden Ford und Bill Tench fahren durch Amerika, um Polizisten mit neuen psychologischen Techniken weiterzubilden. Bei einem Schulungstermin in Santa Cruz – dem Hot Spot für Serienkiller in den 70ern – besucht Ford unerlaubt einen berüchtigten Mörder in einer geschlossenen Anstalt. Sein Name ist Edmund Kemper. Er ist über zwei Meter groß, ein Koloss mit akkuratem Scheitel und freundlichem Blick. Kemper hat zehn Menschen ermordet, acht davon innerhalb eines Jahres. Er ist ein Psychopath wie aus dem Bilderbuch: hochintelligent, organisiert und ohne Reue.
Die schlimmsten Bilder entstehen im Kopf
"Ich bin also zuhause und gehe die Treppe raus, mit einem frischabgeschnittenen Kopf, aus dem etwa ein halber Liter Blut in einen Seesack tropft. Dann erscheint plötzlich dieses glückliche, perfekte Liebespärchen im Treppenhaus und die beiden gehen direkt an mir vorbei. Und da wurde mir klar: Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie mit jemandem ausgegangen."
Ed Kemper in Mindhunter
Solche Statements lassen einem das Blut in den Adern gefrieren, auch ohne diese Szenen zu sehen. Es reicht zu wissen, dass es Ed Kemper wirklich gibt. Und auch die beiden FBI-Agenten haben reale Vorbilder.
Bild: Patrick Harbron/Netflix
Die FBI-Agenten Ford und Tench wollen nun alle inhaftierten Serienmörder interviewen und Einblicke in die Psyche dieser ungewöhnlichen Mörder gewinnen, um mit ihren Erkenntnissen spätere Morde aufzuklären. Unterstützung finden sie bei Wendy Carr, einer Wissenschaftlerin, die sich mit der Psychologie von Wirtschaftsbossen beschäftigt – darunter viele Psychopathen, die die gleichen Persönlichkeitsmerkmale wie Ed Kemper haben. Sie ermutigt Ford und Tench dazu, systematisch zu arbeiten.
Harte Arbeit für Zuschauer – aber: stylish!
Die Serienmacher lassen die Figur der Wissenschaftlerin realistisch reden. Fremdworte fallen, Namen werden gedroppt, Fachliteratur zitiert. Im Zweifel müssen wir eben googlen, was Durkheims Theorien sind oder wer Goffman war und selbst herausfinden, was all das mit der Story zu tun hat. Das ist mutig und konsequent für eine Crime-Serie, die die grausigen Verbrechen von Serienmördern endlich mal nicht ästhetisiert und tote Frauenkörper wie Kunstwerke inszeniert. "Mindhunter" verzichtet ganz auf Tatortbesuche. Dafür verlangt die Serie volle Konzentration und Aufmerksamkeit – obwohl in den ersten vier Folgen kaum etwas passiert.
Dieses neue Netflix-Prinzip, die Handlung der ersten Folge einfach so lange auszudehnen wie irgend möglich, das könnte bei "Mindhunter" nach hinten losgehen. Denn die Serie ist gähnend langsam erzählt und in den ersten Folgen einfach nicht spannend genug, als dass man unbedingt die nächste Folge sehen möchte. Aber wer dran bleibt, wird mit einer stylishen, atmosphärischen und sehr ungewöhnlichen Cime-Serie entlohnt.
"Mindhunter" gibt's bei Netflix
Sendung: Hochfahren vom 18.10.2017 ab 7 Uhr