Ciao, Opa Bundespräsident Was wir von Joachim Gauck gelernt haben
Er hat bis heute kein Twitter-Profil. Und trotzdem ist er ein Vorbild für uns. Joachim Gauck redet, was er denkt – und steht dazu. Jetzt geht er in Rente. Fünf Gründe, warum wir ihn vermissen werden.
1. Gegen die Norm – gegen den Mainstream
Gauck sind Konventionen ziemlich wurscht. Zum Beispiel ist die Playlist, die er sich für den großen Zapfenstreich zu seinem Abschied von der Bundeswehr-Blaskapelle gewünscht hat, schon ziemlich kultig: Die wird den DDR-Hit "Über sieben Brücken musst du gehen", den protestantische Kirchen-Evergreen "Ein feste Burg ist unser Gott" und das alte Volkslied "Freiheit, die ich meine" spielen.
Auch sein Beziehungsstatus ist bemerkenswert. Seit 1991 lebt Joachim Gauck getrennt von seiner Frau Gerhild, ist aber bis heute nicht geschieden. Seine Lebensgefährtin Daniela Schadt war die erste "First Lady ohne Trauschein".
2. Frei Schnauze - Wer kann, der kann
Definitiv im Gedächtnis bleiben wird Gaucks inoffizielle Antrittsrede. Kurz nachdem sich die Bundesregierung 2012 auf ihn als Bundespräsidenten geeinigt hatte, verkündete er in einer eilig einberufenen Pressekonferenz, dass er sich "noch nicht einmal gewaschen" habe, so schnell sei alles gegangen.
Gauck hat in seinem Amt immer wieder frei geredet, was manchmal ein bisschen hemdsärmelig wirkte. Manchen ist er mit seinen vielen Ansprachen auf die Nerven gegangen. Aber meistens hat er die richtigen Worte gefunden. Das werden wir vermissen. Sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier ist ja nicht gerade als guter Redner bekannt.
3. Gauck lebt die deutsche Geschichte
Die Wurzeln von Joachim Gauck liegen in der Bürgerrechtsbewegung der DDR. Als Pfarrer hat er sich für die Freiheit stark gemacht, von der die Menschen in der DDR nur träumen konnten: Ins westliche Ausland reisen, sich ein Studium oder einen Beruf aussuchen und eine andere Partei wählen, als die regierende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Das alles war vor 1989 für die meisten in der DDR nämlich nicht drin. Als Pastor redete Joachim Gauck in Predigten gegen das System an, Leute wie er haben dazu beigetragen, dass es inzwischen Geschichte ist.
Nach dem Mauerfall leitete Gauck die Stelle, in denen Leute nachforschen konnten, welche Informationen die Spitzel der Staatssicherheit zu DDR-Zeiten über sie zusammengetragen hatten. Konsequent setzte sich Gauck dafür ein, dass die Leute Einsicht in ihre Akten. Joachim Gauck steht deshalb für Freiheit und Transparenz.
4. Klare Kante – und immer streitbar
Joachim Gauck wirkt zwar auf den ersten Blick oft wie ein großer, knuddeliger Teddybär, aber seine Posititonen sind nie kuschelig gewesen. Manche sind sogar sehr streitbar. Als Thilo Sarrazin 2010 mit seinem sehr umstrittenen Buch "Deutschland schafft sich ab" provozierte, in dem er vor der Überfremdung durch den Islam in Deutschland warnt, fand Gauck das damals "mutig".
Auch die Forderung der CSU nach einer Obergrenze für Geflüchtete unterstützt er indirekt: "Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich."
Den islamfreundlichen Kurs von seinem Vorgänger Christian Wulff wollte Gauck nicht mitgehen. Der hatte noch erklärt, der Islam "gehört inzwischen auch zu Deutschland". Gauck dagegen war das zu viel, er sagte: "Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland." Für ein multikulturelles Deutschland hat seine Leidenschaft also nicht ganz gereicht. Trotzdem setzte er sich in den vergangenen Monaten stark ein gegen Rechtspopulismus und die Verrohung der Politik.
Den Linken ist Gauck immer zu konservativ gewesen. Er hat zum Beispiel die Hartz-IV-Reformen von Gerhard-Schröder unterstützt.
Über Joachim Gauck haben sich viele aufgeregt. Aber gerade damit war er der Richtige für den Job: E ist ein Typ, an dem man sich reiben kann. Einer wie Gauck ist geradein Zeiten von Populismus enorm wichtig, weil Demokratie Diskussion braucht.
5. Stil, Charme und Hundeblick
Joachim Gauck ist 77 – und das Alter steht ihm. Der Mann hat Größe und Format – und schicke Krawatten. Noch Generationen werden ihn um seinen markanten Unterkiefer und seinen gemütlichen Hundeblick beneiden. Mit seinem Profil hat er uns als Bundespräsident Sicherheit gegeben. Das ist schon mal viel wert.