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Die Frage Warum leben Krisenhelfer immer gefährlicher?

Enthauptet vor laufender Kamera, entführt, bedroht. Noch nie wurden so viele humanitäre Helfer attackiert wie 2013. Die Frage schaut auf die großen Krisenherde und spricht mit Helfern, die immer öfter zu Opfern werden.

Von: Sebastian Nachbar

Stand: 17.06.2014 | Archiv

LKWs des Roten Kreuzes im Nahen Osten | Bild: picture-alliance/dpa/ Montage: BR

Der brutale Überfall kommt nachts. Barfuß und mit Kalaschnikows bewaffnet stürmen sie das Camp und reißen ihn aus dem Schlaf. Sie schlitzen die Zeltplane auf und zerren ihn im Schlafanzug hinaus. Schüsse knallen. Ein Mitarbeiter wird getroffen. Ihn dagegen wollen sie lebendig. Er hat Angst. Sie brüllen herum, schlagen und treiben ihn weg vom Camp. Hinaus in die Dunkelheit. Jetzt haben sie ihn.

So hat Steffen Horstmeier seine Entführung erlebt - vor zwölf Jahren im heutigen Südsudan. Damals tobt ein Bürgerkrieg zwischen der sudanesischen Regierung in Karthum und zersplitterten Rebellengruppen im Süden des Landes. Horstmeier ist in das Krisengebiet gereist, um für die Hilfsorganisatin World Vision ein neues Hilfsprojekt für unterernährte Kleinkinder vorzubereiten. Nach zwei Tagen will er wieder abreisen. Eigentlich.

Drei Tage dauert seine Entführung. Tagsüber verstecken, nachts marschieren. Die Entführer wollen ihn zu ihrem Stützpunkt bringen, wollen Aufmerksamkeit erregen und Hilfe erpressen. Sie sind unterernährt und aggressiv, trotzdem können sie weite Strecken barfuß laufen. Ganz anders Steffen Horstmeier, er läuft sich die Füße wund, wäre fast verdurstet. In der dritten Nacht stoßen die Entführer auf ihre Feinde, Horstmeiers Freunde. Er kommt frei.

Helfen wird immer gefährlicher

Fälle wie die Entführung von Steffen Horstmeier häufen sich. Humanitäre Helfer leben immer gefährlicher. Offiziell stehen sie unter dem Schutz der Genfer Konvention, sie sichert ihnen Neutralität und Schutz vor den Kriegsparteien zu. Heute geraten Hilfskräfte aber immer öfter zwischen unklare Fronten in Bürgerkriegen. Allein im vergangenen Jahr wurden 155 humanitäre Helfer getötet, wie der Aid Worker Security Report im Auftrag der UNO herausfand. Das ist ein Anstieg um zwei Drittel in nur einem Jahr.

Das mit Abstand gefährlichste Land für Krisenhelfer ist Afghanistan. Allein dort wurden im vergangenen Jahr 81 humanitäre Helfer angegriffen. Aber auch in allen anderen großen Krisenherden auf der Welt werden die Helfer selber zu Opfern.

Permanenter Sicherheitscheck

Ohne Sicherheitsbriefing schickt deshalb heute keine Organisation mehr ihre Leute in den Einsatz. Als Sabine Wilke im Tschad ankommt, überreicht ihr ein lokaler Mitarbeiter als erstes einen Umschlag. Darin: Sicherheitstipps und ein paar Informationen über den Tschad. Die 32-Jährige arbeitet seit Jahren für die Hilfsorganisation Care. Im Tschad betreibt Care im Moment Wasser- und Hygieneprojekte für Flüchtlinge aus den Nachbarländern Lybien, Nigeria oder der Zentralafrikanischen Republik. Auch wenn sie sich im Tschad sicher fühlt, sagt sie: “Wir sind in einem Krisenherd, wo es beinahe stündlich zu Auseinandersetzungen kommen kann.”

Immer wieder versuchen Konfliktparteien in Bürgerkriegen, Hilfsorganisationen zu instrumentalisieren und zu lenken. “Aber die Neutralität ist unser höchstes Gut.”, sagt Steffen Horstmeier. Deshalb müssen humanitäre Helfer neben ihren Projekten auch noch dauernd die Situation im Land beobachten: Welche Konfliktparteien gibt es, wo verlaufen Frontlinien und wer verfolgt welches Ziel? Doch das wird immer schwieriger: “Konflikte werden zunehmend komplizierter, die Anzahl kämpfender Parteien wird immer undurchsichtiger”, meint Horstmeier.

Angriffe auf offener Straße

Der gefährlichste Ort für humanitäre Helfer ist die Straße. In der Hälfte aller Fälle attackierten die Angreifer die Helfer in ihren Fahrzeugen – aus dem Hinterhalt oder über versteckte Sprengsätze am Straßenrand. Für die Hilfsorganisationen heißt das: Sie müssen mehr Geld für ihren eigenen Schutz ausgeben.

Sie brauchen mehr Fahrzeuge, bessere Technik, mehr Training. Jeder Cent davon geht zu Lasten der Zivilbevölkerung: weniger Hilfspakete, schlechtere medizinische Versorgung - und im Extremfall Abbruch der Hilfe und Rückzug der Krisenhelfer. Denn so motiviert und idealistisch die meisten Helfer sind, der Eigenschutz geht immer vor.

Steffen Horstmeiers Entführung liegt zwölf Jahre zurück,  in der humanitären Hilfe arbeitet er noch heute. Er sagt: Der Vorfall hat seinen Idealismus nicht zerstört, sondern gestärkt. Anstatt sie zu verteufeln, will er Menschen wie seinen Entführern von damals erst recht helfen.

Was genau ist...

...die Genfer Konvention? Ein Abkommen zwischen Staaten, das Verwundete, Kriegsgefangene und Helfer im Krieg schützen soll. 195 Länder haben unterschrieben. Sie verpflichten sich dazu, im Krieg keine Zivilisten anzugreifen (Krisenhelfer, Journalisten, Bürger) und keine unnötig brutalen Waffen und Kriegsmethoden zu benutzen. Das Zeichen der Genfer Konvention ist eine weiße Armbinde mit Rotem Kreuz, Halbmond oder Kristall.

...Humanitäre Hilfe? Das sind Maßnahmen von Regierungs- oder Nichtregierungsorganisation, die Menschen in einer Notlage helfen sollen, aber über die Erstversorgung hinaus gehen. Dazu gehören zum Beispiel der Aufbau von Flüchtlingslagern, provisorische medizinische Versorgung oder das Verteilen von Essen und Trinkwasser nach einer Naturkatastrophe.

...Enwicklungshilfe? Die ist über einen längeren Zeitraum angesetzt als Humanitäre Hilfe und soll die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort langfristig ändern. Entwicklungshelfer helfen zum Beispiel Brunnen, Schulen oder Krankenstationen zu bauen.

Große Hilfsorganisationen

Rotkreuzbewegung

Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung setzt sich weltweit für den Schutz von Opfern in bewaffneten Konflikten ein. Sie besteht aus den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, der Internationalen Föderation und dem Rotkreuzkomitee. Das Komittee und die Föderation überwachen und koordinieren die Einsätze, die nationalen Gesellschaften helfen vor Ort.

Oxfam

Das internationale Bündnis setzt sich aus 17 Organisationen zusammen, die sich gemeinsam im Kampf gegen Armut engagieren. Zusammen mit lokalen Partnern vor Ort setzt sich Oxfam zum Beispiel dafür ein, dass der arme Teil der Bevölkerung ein Mitspracherecht bekommt. Oxfam kämpft für gleiche Rechte von Männern und Frauen und erstrebt eine gerechte Verteilung von Ländereien und Bodenschätzen.

Ärzte ohne Grenzen (MSF)

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins sans frontières) arbeitet in über 70 Ländern weltweit. Sie unterstützt Regionen, die nach einer Naturkatastrophe oder aus politischen Gründen keine medizinische Versorgung haben. Menschen werden unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, Religion oder politischen Orientierung behandelt. Médecins sans frontières lebt zu 90 Prozent von Spenden.

World Vision

World Vision International ist eine internationale, christliche Nichtregierungs-Organisation, die vor allem Bildungs- und Lobbyarbeit betreibt. Ihr bekanntestes Programm sind Kinderpatenschaften, bei denen Kindern und ihren Familien unabhängig von Religion, Geschlecht und Ethnie finanziell unter die Arme gegriffen wird.

CARE

Die international operierende Organisation CARE hat sich dem Kampf gegen Armut verschrieben. Sie leistet humanitäre Hilfe nach Naturkatastrophen und politischen Krisen, hat aber auch ein eigenes Bildungs-, Ernährungs- und Gesundheitsprogramm. Wie Oxfam macht sich auch CARE für Mädchen und Frauen stark, weil die Organisation daran glaubt, dass gebildete und selbstbewusste Frauen ein Weg aus der Armut sind.


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