Neue Arbeitskultur Mit Laptop in der Hängematte
Yoga, Surfen, Sonne - der Lifestyle der digitalen Nomaden boomt. Wer will nicht seinen Job unterwegs erledigen und das Büro gegen den Strand in der Karibik tauschen. Ist das die Zukunft der Arbeit oder zu schön um wahr zu sein?
Das Büro von Fabian Dittrich ist ein farngrüner Allrad-Geländetruck, sein „LaOficina“. Darin arbeitet der 35-Jährige mit seinem Laptop und mobilem Internet an seinem Startup „helpando.de“, von überall aus: er schreibt Emails vom marokkanischen Strand, vereinbart Termine in den Bergen von Montenegro oder tätigt Anrufe von einem Wüstendorf in Argentinien aus. Fabian Dittrich, krause blonde Locken, braungebrannt, ist Digitalnomade.
"Dieses Gefühl, an einem einsamen Strand aufzuwachen, und vorne auf die Motorhaube des Landrovers das Macbook aufzuklappen. Sich dann mit einem Gasbrenner Kaffee zu kochen, und währenddessen mit einem kabellosen Headset einen Anruf aus San Francisco anzunehmen – diese Kontraste, das ist einfach ein unglaubliches Gefühl."
Fabian Dittrich
Immer mehr Menschen leben wie Fabian Dittrich – darunter vor allem Programmierer, Blogger und Internet-Unternehmer. Sie wollen unabhängig sein, sich ihren Tagesablauf selbst einteilen, nicht von „nine to five“ in einem grauen Bürokomplex sitzen und die Welt länger als nur zwei Wochen im Jahr sehen. Selbstbestimmung ist ihnen wichtiger als eine Konzernkarriere, sie identifizieren sich als globalisierte Individuen.
"Mich langweilt das in Deutschland nach einiger Zeit recht schnell. Die Deutschen sind mir zu spießig, da bin ich lieber als Tourist unterwegs."
Julius, Digitalnomade
"Ich liebe Reisen. Durch meine Selbstständigkeit im Internet gewinne ich jede Menge Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich will, wann und wo ich will."
Jacko Wusch, Reisebloggerin
Pieter Levels, Gründer der Plattform „nomadlist“, schätzt, dass 2035 eine Milliarde Menschen als Digitalnomaden leben werden - das wäre ein Siebtel der Weltbevölkerung und mag eine übertriebene Prognose sein. Doch die Branche rund um Digitalnomaden, auch genannt Remotler, Location Indies oder Suitcase Entrepreneurs, boomt schon jetzt. Denn technisch ist remote arbeiten mit Laptop, Cloud und Smartphone ja eigentlich schon lange in vielen Berufen möglich. In beliebten Backpacker-Zielen, vor allem Thailand und Bali, entstehen Bürogemeinschaften mit Highspeed Internetverbindungen, und auch sogenannte „Co-Living-Spaces“ - Häuser, in denen Digitalnomaden zusammen leben und arbeiten. Es gibt ein Kreuzfahrtschiff für Digitalnomaden, „Co-Boats“, sowie „Co-Working-Camps”, eine Digitalnomaden-Konferenz in Berlin und mehrere Jobbörsen für ortsunabhängiges Arbeiten. Eine Online-Universität ist in Planung. Man bekommt den Eindruck, dass die Goldgräberstimmung ausgebrochen. Diejenigen, die die Schaufeln verkaufen, profitieren davon auch am meisten.
Denn der Lifestyle der modernen Vagabunden klingt zwar traumhaft. Allerdings sieht die Realität anders aus - das zumindest findet Patrick Hundt. Er war 2,5 Jahre unterwegs und hat sich als Reiseblogger seinen Lebensunterhalt verdient. Dabei hat er andere Digitalnomaden getroffen und beobachtet, dass die meisten sehr viel arbeiten müssen.
"Eine der größten Fallen ist, dass der Lifestyle nicht so sein wird, wie man ihn sich vorstellt. Die Idee ist ja, mehr Life als Work zu haben. In den meisten Fällen passiert das nicht so. Auch bei denen, die es vorleben und viel darüber reden. In aller Regel leben die das nicht so. Es verkauft sich halt besser mit dem Laptop am Strand."
Patrick Hundt
Die Harvard-Forscherin Beth Altringer vermutet, dass das Digitalnomadentum einen Riss zwischen Arm und Reich verstärkt und die Mittelschicht aushöhlt, weil es wenige extrem Erfolgreiche und viele erfolglose Nomaden geben wird. Die Foren sind voller Einträge von Dauerreisenden, die sich keine Krankenkasse leisten und zum Beispiel nach einem Motorradunfall auf Bali auf 70.000 Dollar Krankenhauskosten sitzen geblieben sind.
Manche Digitalnomaden sparen Geld, indem sie wenig oder keine Steuern bezahlen – und damit genauso unmoralisch agieren wie die kritisierten Großkonzerne Google, Amazon und Co. Im Internet kursieren Tricks, wie man weltweit steuerfrei arbeiten kann. Wenn das immer mehr Menschen machen, sind die Sozialsysteme in Gefahr.
Der Digitalnomaden-Lifestyle färbt längst auch auf die Wirtschaft ab, wenn auch in Deutschland besonders langsam. Hierzulande ist selbst Homeoffice bei vielen Arbeitgebern nicht gern gesehen. Es arbeiten nur zwölf Prozent aller abhängig Beschäftigten regelmäßig oder gelegentlich von zu Hause aus, stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Anfang 2016 fest. Dabei wäre es bei 40 Prozent der Beschäftigten möglich.
Auch wenn viele Arbeitgeber noch skeptisch sind, erkennen sie das Bedürfnis der Arbeitnehmer nach flexibleren Arbeitsorten. Daimler etwa verkündete im Juli 2016, dass die Mitarbeiter künftig die Möglichkeit haben, ihre Arbeit räumlich und zeitlich flexibel zu gestalten. In den Niederlanden ist dies schon seit 2015 Gesetz.
Noch arbeitet der Großteil wie vor 50 Jahren, im grauen Büro. Damals schon fragte sich der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan, warum.
"Warum hetzen wir für die Arbeit in die Innenstädte? Es ist der Aktenschrank und die Besessenheit nach den Dokumenten, Verträgen und Daten, die uns zwischen Vorort und Zentrum hin- und hereilen lässt. All diese Materialien könnten eigentlich genauso in einem System verfügbar sein, zu Hause."
Marshall McLuhan, Medienwissenschaftler
Sendung: Filter, 03.07.2017 ab 15 Uhr