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Interview zu Alltagsrassismus Wie es sich als junge Muslima in Bayern lebt

Merve ist 27 Jahre alt, studiert Politikwissenschaft und ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Trotzdem starren sie fast täglich Menschen in der U-Bahn an oder beschimpfen sie auf der Straße. Weil Merve gläubige Muslima ist und aus Überzeugung ein Kopftuch trägt. Wir haben mit ihr über ihre Erfahrungen gesprochen.

Von: Robin Köhler

Stand: 19.11.2018 | Archiv

Merve ist junge Muslima und lebt in Bayern | Bild: Merve privat

PULS: Merve, welche Vorurteile haben die Leute dir gegenüber?

Merve: Das ist das Mädchen mit dem Kopftuch. Sie wird unterdrückt und hat keine Bildung genossen. Die deutsche Sprache beherrscht sie nicht. Unabhängig kann sie gar nicht sein. Sie arbeitet nicht, wo soll sie auch arbeiten mit dem Kopftuch? Ach ja, und sie wird zwangsverheiratet.

Wann hat das angefangen?

In der sechsten Klasse, als ich angefangen habe das Kopftuch zu tragen. Plötzlich wurde ich ganz anders wahrgenommen: Ich war nicht mehr Merve, sondern das Mädchen mit dem Kopftuch. Und dann musste ich mich ständig mit diesen Fragen auseinandersetzen: Wie ist denn der Islam? Warum trägst du das Kopftuch? Vorher war das überhaupt kein Thema, da war ich nur das türkische Mädchen. Plötzlich war ich das türkische, muslimische Mädchen – mit nochmal ganz neuen Vorurteilen, die auf mir lasten.

Wie hat deine Familie darauf reagiert?

Das Ding war ja: Die Leute haben erstmal meinen Vater angesprochen und gefragt, ob er mich dazu zwingt. Er musste sich rechtfertigen. Dabei war er eher dagegen, dass ich das Kopftuch trage. Er meinte zu mir: "Willst du das Kopftuch nicht ablegen? Wäre das nicht leichter für dich?" Aber ich wusste, es würde immer Probleme geben. Egal, ob ich mit elf, 18 oder 25 beginne, das Kopftuch zu tragen.

Und deine Mutter?

Sie hat mir nur klargemacht, dass das Kopftuch wirklich etwas Anstrengendes ist, mit dem ich dann umgehen muss, wenn ich mich dazu entscheide. Ich habe zu ihr gesagt: "Mama, du schaffst es auch. Als deine Tochter schaffe ich es bestimmt auch."

Inwiefern ist es als Muslima nochmal schwieriger – im Gegensatz zu männlichen Muslimen?

Mit Kopftuch wirst du halt sofort erkannt. Männliche Muslime zeigen ihre Religion äußerlich vielleicht mit einem Bart. Aber selbst der ist inzwischen eine Mode oder ein Style. Klar gibt es da auch Probleme, aber wir Muslima werden immer gleich als schwaches Objekt angesehen.

Inwiefern?

Die Leute assoziieren einfach: Die Frau mit Kopftuch wird ja sowieso von ihrem Vater oder Ehemann unterdrückt. Wenn ich die jetzt anstarre oder beschimpfe, passiert sowieso nichts. Die ist das ja gewöhnt. Tatsächlich kommt das vor allem von Männern, muss ich leider sagen.

Gibt es bestimmte Bereiche, in denen es besonders schlimm ist?

Schwer zu sagen. Eigentlich passiert das in allen Bereichen, sei es in der Schule, im Kindergarten, in der Arbeitswelt oder an der Uni. In Einkaufszentren, mitten auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. In der elften Klasse saß ich mit Mitschülern und einer Lehrerin in der U-Bahn. Eine Frau hat mich und eine Freundin, die auch das Kopftuch trägt, angestarrt. Ich kann mich noch ganz genau an sie erinnern. Plötzlich hat sie mit dem Finger auf uns gezeigt und geschrien: "Ihr werdet brennen, Ihr werdet auch in einem Ofen stecken."

Wie hast du reagiert?

Erst wusste ich überhaupt nicht, was ich machen soll. Dann habe ich angefangen zu lachen, weil die ganze Situation so absurd war. Das Schlimme war aber: Ich habe mich umgeschaut und jeder hat nur beschämt auf den Boden geblickt. Niemand hat mir ins Gesicht geguckt, auch die Lehrerin nicht.

War das noch schlimmer für dich als die Beschimpfungen der Frau?

Ja! Nur beschämt auf den Boden zu schauen bringt mir nichts. Ein Blick, ein Kopfschütteln oder irgendeine Reaktion… Dann wäre schon alles in Ordnung gewesen. Zum Glück hat eine Gruppe Studenten dann noch angefangen mit mir zu lachen.

Was gibt dir in solchen Situationen Halt?

Meine Religion. Ich mache das ja, um Gottes Willen zu verrichten. Ich finde das für mich und für meine Religion entscheidend. Ich sage auch nicht, dass jede Muslima ein Kopftuch tragen soll, da bin ich dagegen. Das soll jede für sich selbst entscheiden. Aber ich würde mich ohne Kopftuch fremd und verloren fühlen. Es gehört zu meiner Identität. Natürlich wäre es ohne das Kopftuch leichter. Aber soll ich deshalb meine Identität abgeben? Weil das Kopftuch meine Identität ist, ich habe mich dafür entschieden. Das war meine eigene Entscheidung.

Mit dieser Entscheidung setzt du dich Anfeindungen und Unverständnis aus. Wie ist das für dich?

Es ist ermüdend. Ich bin ganz ehrlich, manchmal möchte ich mich nicht rechtfertigen für das, was ich bin. Teilweise versuche ich es trotzdem. Das hängt davon ab, ob ich bei meinem Gegenüber ein wirkliches Interesse spüre. Oder ob jemand nur eine vorgefertigte Meinung loswerden will. Und natürlich ist es sehr anstrengend und nicht schön mitten auf der Straße beleidigt zu werden.

Was wünschst du dir von den Leuten, die dir begegnen?

Dass ich einfach als normaler Mensch angesehen werde. Als ein Mitglied der Gesellschaft, das sich nicht jedes Mal rechtfertigen muss für sein Aussehen. Als ein Mensch, der auch die deutsche Sprache beherrschen kann, unabhängig, emanzipiert und selbstbewusst ist. Ich hoffe, wir werden irgendwann eine Gesellschaft, die alle vielfältigen Menschen akzeptiert und respektiert.

Sendung: Filter vom 20.11.2018 – ab 15.00 Uhr