Interview mit Umweltaktivist Momo So erlebt ein Starnberger die Räumung am Hambacher Forst
Der 21-jährige Momo lebt seit eineinhalb Jahren in einem der Baumhäuser des Hambacher Forsts, die jetzt von der Polizei geräumt werden. Auch wenn er von der Regierung enttäuscht ist: Als Verlierer fühlen er und die anderen Aktivisten sich nicht.
Von: Hannah Heinzinger
Stand: 14.09.2018
| Archiv
Mehr als 50 Baumhäuser haben Aktivisten in den letzten Jahren im Hambacher Forst gebaut. Sie wohnen darin und besetzen das Waldgebiet. Denn unter dem Wald liegt Braunkohle, an die der Energiekonzern RWE, dem der Wald rechtmäßig gehört, ranmöchte. Dazu müsste aber der über hundert Jahre alte Wald abgeholzt werden – und das wollen die Aktivisten verhindern. Unter ihnen auch Momo aus Oberbayern.
PULS: Momo, seit wann bist du im Hambacher Forst?
Momo: Ich wollte eigentlich zehn Tage bleiben, jetzt bin ich über eineinhalb Jahre da. Eine Freundin von mir hat hier gelebt und gemeint, ich soll einfach mal vorbeikommen. Ich habe hier seitdem echt viel gelernt, zum Beispiel Aktionsklettern. Und mich hat dieser Ort einfach unglaublich fasziniert, deswegen bin ich dageblieben – und deswegen wurde der Kampf, der im Hambacher Forst geführt wird auch zu meinem Kampf.
Wie ist denn die Situation gerade bei euch?
Es ist jetzt Tag zwei der Räumung und es gibt ein sehr massives Polizeiaufgebot. Über 3.000 Polizisten sind gerade im Einsatz und die Situation ist ziemlich angespannt – von beiden Seiten. Durchgehend fahren hier Streifenpolizisten herum, es gibt Räumpanzer, Wasserwerfer, gestern war das SEK hier. Mich persönlich macht das ziemlich nervös. Gestern kam die Reiterstaffel zum Einsatz, als Demonstranten versucht haben, eine Polizeikette zu durchbrechen. Es kam auch zu Verletzungen, eine Aktivistin hat sich den Arm gebrochen. Sie hatte sich an einem Blockadegerät festgekettet und wurde dann von Polizisten gewaltsam befreit.
Für mich persönlich ist es schon krass, das alles hier zu sehen. Wir haben uns zwar vorbereitet und es war klar, dass das hier irgendwann geräumt werden soll. Aber persönlich geht’s mir nah. Der Baum zum Beispiel auf dem ich so lange gelebt hab: Dort nicht mehr hinzukönnen ist schon hart für mich. Es kommt Wut hoch, es kommt Frustration hoch – vor allem auf das Versagen der Politik in Deutschland. Ein so einzigartiges Stück Natur aus Profitgründen fällen zu wollen, das macht uns wütend.
Von Kritikern wird euch vorgeworfen, dass euer politischer Ton linksextremistisch ist und anarchische Ansichten vorherrschen – dass ihr die Besetzung nutzt, um dem Staat auf der Nase herumzutanzen.
Die Besetzung an sich würde ich schon als anarchistisch definieren. Wir wollen versuchen, eine Utopie aufzubauen, wo Rassismus, Sexismus, Gewalt und Ausgrenzung keinen Platz hat – deswegen lehnen wir auch den Staat mit seinem Hierarchiegefälle in gewisser Weise ab. Wir wollen eine Basisdemokratie, die auf Solidarität basiert und in der die Menschen selbst entscheiden, was sie möchten. Keine Demokratie, die von Lobbyismus geprägt ist.
Rechtlich gesehen gehört das Gebiet nicht euch. Wie rechtfertigt ihr die Besetzung?
Klar, der Wald gehört in erster Linie RWE. Aber ich finde, manchmal ist es wichtig, sich bei Missständen über Gesetze zu erheben um diese Missstände direkt aufzuzeigen. Und das machen wir hier. Wir besetzen den Wald, obwohl er uns nicht gehört. Es ist auch ein bisschen Selbstjustiz, das stimmt schon. Aber wenn wir immer nur alles hinnehmen würden, was uns vorgesetzt wird, hätten wir heute immer noch den 12-Stunden-Arbeitstag. Es braucht manchmal radikale Ansätze, um in dieser Welt etwas zu verändern.
Was erwartet ihr die nächsten Tage?
Alle Baumhäuser haben Tonnen an Essen drauf, wir sind darauf vorbereitet, mindestens zwei oder drei Wochen Belagerung auszuhalten. Und wenn man mal schaut: Gestern hat die Polizei erst fünf Baumhäuser rausgeholt und wir haben noch zwischen 40 und 50 Baumhäuser – das wird noch eine Weile dauern.
Fühlt ihr euch angesichts der Räumung als Verlierer?
Ich glaube, RWE verliert. Die Debatte, die RWE mittlerweile am Hals hat, dass Braunkohle einer der größten CO2-Produzenten Europas ist, geht nicht mehr aus den Köpfen der Menschheit raus. Ich glaube auf einer gesamtdeutschen Perspektive haben wir gewonnen, weil wir das Thema publik gemacht haben. Es geht jetzt nur noch darum, den Hambacher Forst als einzigartiges Biotop zu erhalten. Er ist zu einem Symbol für Widerstand geworden und das wollen wir auch weiter verteidigen.
Sendung: Filter, 14.09.2018 - ab 15 Uhr