DGB-Jugendsekretär Simon Schab "Die Azubis schlucken zu viel"
Er hört oft von den Problemen der Azubis: Simon Schab ist DGB-Jugendsekretär und setzt sich für Lehrlinge ein. Im Interview erklärt er, warum Azubis es oft schwer haben - und wie sie das ändern können.
PULS: Du hast selbst eine Ausbildung gemacht, als du 21 Jahre warst und kennst die Gehälter. Verdienen Azubis zu wenig?
Simon Schab: Die verdienen sicher zu wenig. Sie werden zum Beispiel vom Mindestlohn ausgenommen, weil es heißt, dass die Ausbildung ein Lernverhältnis ist. In der Praxis ist es aber selten so, dass es ein reines Lernverhältnis ist. Die Azubis werden oft als günstige Arbeitskräfte hergenommen, das sieht man zum Beispiel im Einzelhandel, wo manche Azubis jedes Wochenende arbeiten müssen. In einem Lernverhältnis kann ich das auch Montag bis Freitag machen. Einerseits weniger verdienen, weil es ein Lernverhältnis ist, andererseits voll anpacken? Das ist inkonsequent.
Im Berufsbildungsgesetz ist sehr schwammig formuliert, dass Azubis eine "angemessene Vergütung" bekommen müssen. Wenn ein Betrieb nicht an den Tarif gebunden ist, darf er 20 Prozent unter diesem Tarif zahlen. Glaubst du, dass es noch Verhandlungsspielraum gibt für den Mindestlohn bei Azubis?
Ich denke schon, weil sich vor allem die Wirtschaft darüber im Klaren ist, dass es immer weniger Leute gibt, die bereit sind eine Ausbildung zu machen - seit ein paar Jahren studieren immer mehr Leute. Deswegen muss man das Angebot attraktiver machen. Gerade in manchen Branchen beklagen sich Arbeitgeber, dass sie keine Azubis mehr finden. Das sind aber überwiegend die Branchen, wo Azubis über schlechte Ausbildungsbedingungen klagen und die Abbrecherquote groß ist, zum Beispiel im Kochberuf.
Liegt es nur am Geld, dass kaum noch jemand eine Ausbildung machen will?
Es liegt nicht nur an dem Geld, das man währenddessen verdient, sondern auch daran, was man in der Zukunft verdienen wird. Die Gehaltsaussichten sind mit einem Studium oft besser. Und es hängt von den Lebenshaltungskosten ab. In München zum Beispiel wäre ein Semesterticket auch für Azubis sinnvoll. Der durchschnittliche Azubi zahlt 600 Euro pro Jahr um von zu Hause zur Arbeit oder zur Berufsschule zu kommen, der Studierende zahlt 380 Euro.
Ist das auch die Schuld der Gewerkschaften - müssen die sich mehr für die Azubis einsetzen?
Es gibt Branchen, da läuft das schon gut. Zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie, da verdienen die Azubis im ersten Lehrjahr 946 Euro. Das lässt sich im Vergleich zu anderen Azubivergütungen durchaus sehen. Dann gibt es die Branchen, die schwer organisierbar sind und die teilweise vom Mindestlohn profitieren. Und es gibt Branchen, die schwieriger dastehen, zum Beispiel der Friseurbereich. Das heißt aber nicht, dass man den Friseur-Azubis nicht mehr als 400 Euro bezahlen könnte. Aber es ist sehr utopisch, wenn dort 650 Euro im ersten Lehrjahr realisiert werden würden.
Warum schließen sich die Azubis nicht zusammen und tun was? Sie wirken da etwas passiv.
Ich glaube, dass es in vielen Bereichen nicht so eine kollektive Zugkraft gibt. In den Betrieben, wo es eine Jugend- und Auszubildendenvertretung gibt, herrscht eher eine Stimmung nach dem Motto: "Wir machen unsere Arbeitsbedingungen besser." Ich kenne einerseits meine eigene Ausbildung und die Berufsschulen, die ich besucht habe. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihnen bewusst war, dass sie Probleme nur gemeinsam lösen können. Die Schulen sind dabei in einer Doppelrolle: Einerseits haben sie Sozialkunde und erklären den Leuten etwas vom Jugendarbeitsschutzgesetz, andererseits haben sie nicht die Aufgabe die Betriebe zu kontrollieren oder unter den Azubis einen revolutionären Geist zu schüren. Es wäre aber durchaus sinnvoll, wenn sich die Azubis in den Berufsschulen vernetzen würden.
Reden die Azubis da nicht untereinander über ihre Probleme?
Wenn wir vom DGB in der Berufsschule mal im Sozialkundeunterricht sind, das Fass aufmachen und sagen "Jetzt reden wir mal, wie ist es denn mit Überstunden? Wo schreibt ihr euer Berichtsheft?" Dann findet ein starker Austausch statt, sie wachen auf und merken, dass nicht nur bei ihnen was verkehrt läuft und dass dahinter System steckt.
Trotzdem sind die meisten Azubis ihrem Arbeitgeber gegenüber sehr loyal und sagen lieber nichts.
Das ist schwierig, denn wenn ich meine Rechte durchsetzen möchte, nehme ich in Kauf, dass ich im Konflikt bin. Beispiel Überstunden: Wenn ich den Supermarkt gehe, kaufe ich auch nicht drei Flaschen Cola und zahle nur eine. Wenn der Chef mehr Arbeit oder Leistung fordert, müsste er auch mehr bezahlen. Eigentlich ist das total normal, aber da ist viel falsch verstandene Loyalität dabei.
Das ist also nicht nur ein Problem der Azubis?
Ja, aber die Azubis sind komplett abhängig. Durch die Ausbildung müssen sie drei Jahre im Betrieb sein, wechseln ist eher die Ausnahme. Und sie wollen ein gutes Ausbildungszeugnis und vielleicht auch übernommen werden.
Sind die Azubis gut informiert, was sie müssen und was nicht?
Ich finde, sie haben ein gutes Basiswissen. Aber im ersten Ausbildungsjahr könnte mehr Wissen vorhanden sein, wie sie ihre Rechte durchsetzen. Vielleicht scheitert es aber nicht daran, sondern an der Mentalität, die Rechte im Zweifel auch durchzusetzen oder die richtigen Stellen zu kennen, die sie dabei unterstützen.
Halten die Azubis also zu viel aus?
Azubis schlucken oft zu viel. So ein bisschen Duckmäuschentum bekommen sie falsch vorgelebt in den Betrieben.
Die Azubi-Gehälter sind in den letzten Jahren gestiegen. Sind die Azubis von heute vielleicht zu bequem?
Nein, das sehe ich überhaupt nicht so, gerade was die Mobilität angeht. Viele ziehen in eine andere Stadt oder gehen über große Distanzen, um eine Ausbildung zu beginnen. Sie sind flexibel, arbeiten am Wochenende, haben teilweise einen Nebenjob, um sich eine eigene Wohnung zu leisten. Die Anstrengungen, die heute übernommen werden, sind nicht vergleichbar mit denen vor vielen Jahren. Durch das wirtschaftliche Klima, in dem wir aufwachsen, sind es die Azubis von Haus aus gewohnt, dass das nun mal so ist: Wenn man einen Job will, muss man auch mal die Stadt wechseln, lange Strecken in Kauf nehmen oder braucht vielleicht einen Nebenjob. All das wird akzeptiert.
Was sind die größten Probleme, mit denen Azubis heute zu tun haben?
Mobbing im Betrieb, Überstunden, und dass sie Dinge tun müssen, die nicht zu ihrer Ausbildung passen, sondern nur, weil Not am Mann ist. Außerdem sind die Finanzen ein Problem: Ein Azubi beginnt seine Ausbildung heute im Schnitt mit 20 Jahren. Da möchte man auf eigenen Beinen stehen. Die Berufsausbildungshilfe ist ein bürokratischer Aufwand. Die wenigsten nutzen das, weil die Beantragung so langwierig und vom Einkommen der Eltern abhängig ist. Das ist schade, weil die Azubis ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben.