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Interview // Simon Pearce "Rassismus gibt es nicht nur im Osten"

München ist nicht so tolerant, wie viele gerne glauben wollen: Das schrieb Comedian Simon Pearce in einem Artikel für die tz - und erntete einen unglaublichen Candystorm. Uns hat er erzählt, was er mit seinem Text bewirken wollte.

Von: Ann-Kathrin Mittelstraß

Stand: 31.08.2015 | Archiv

Schauspieler und Comedian Simon Pearce | Bild: BR

"An alle Münchner, die glauben, in einer toleranten Stadt zu leben" - so überschrieb Comedian Simon Pearce seinen Artikel in der tz, in dem er über den alltäglichen Rassismus schrieb, mit dem er in der "Weltstadt mit Herz" immer wieder konfrontiert ist. Die Message: So tolerant, wie viele Münchner ihre Stadt gerne sehen würden, ist sie leider nicht. Und damit sprach Simon aus, was viele wohl schon länger vermuteten. Auf Facebook, Twitter und Co. wurde der Artikel tausendfach geteilt. Mit PULS sprach Simon unter anderem darüber, welches Feedback er auf seinen Text bekommen hat.

PULS: Der Artikel, den du für die tz geschrieben hast, ist wahnsinnig viral gegangen. Hast du damit gerechnet, dass dein Text so viele Menschen erreichen würde?

Simon Pearce: Überhaupt nicht! Ich wollte den tatsächlich zuerst nicht einmal selbst teilen, weil ich dachte, dass das ja nur so kleine Geschichten aus meinem Leben sind. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Empörung bzw. das Mitgefühl so groß ist. Weil mir diese Geschichten halt täglich passieren und meine Freunde die auch schon teilweise kennen. Dann habe ich's doch geteilt und als ich nach dem Sportmachen mein Handy wieder rausgeholt habe, hatte ich auf einmal acht Milliarden Benachrichtigungen. Das hat mich schon total überrollt.

Was waren die schönsten Reaktionen, die du bekommen hast?

Eigentlich waren alle Reaktionen schön. Sehr viele Leute haben mir private Nachrichten geschrieben und gesagt, "super, dass mal einer den Mund aufmacht“ und ihre Betroffenheit gezeigt. Davon war ich gerührt, wenn man das so sagen kann, weil die Leute eben doch mitfühlen und eigentlich doch alle ganz gut sind. Aber die Guten schlummern eben öfter mal. Die Deppen machen halt ihr Maul immer auf und schreien rum und die gescheiten Menschen sind zurückhaltender. Denen muss man vielleicht auch erstmal zeigen, das immer noch viel kleine Scheiße passiert.


Die krassen Sachen wie das mit den Flüchtlingsheimen kriegt man mit. Aber es passieren auch vor der eigenen Tür Sachen. Das war mir wichtig. Zu schreiben, "München, du bist nicht so tolerant," war schon ein bisschen reißerisch. Aber ich wollte auch zeigen, dass es das Problem nicht nur im Osten gibt. Das es das auch in München gibt und in Köln, Dortmund, Hamburg oder Berlin. Da habe ich auch viel Zuspruch von Menschen mit Migrationshintergrund aus anderen Großstädten bekommen.

Du schilderst in deinem Artikel rassistische Erlebnisse mit Fremden. Ganz am Anfang erzählst du aber von Kurti, einem früheren Arbeitskollegen von dir, der zu dir gesagt hat, dass "die Neger" Deutschland nur AIDS, Grippe und Krebs gebracht hätten und jetzt noch die Fernseher klauen würden. Hat Kurti eigentlich auch etwas von deinem Artikel mitbekommen und sich vielleicht sogar nachträglich bei dir entschuldigt?

Leider nicht, weil er nicht mehr lebt. Das mit Kurti ist schon ein paar Jährchen her. Das war, als ich während der Schulzeit im Wertstoffhof gearbeitet habe. Ich hatte ihn aber damals noch zur Rede gestellt und er hat sich tatsächlich ein oder zwei Wochen später, naja, entschuldigt ist zu viel gesagt... Er hat sich gerechtfertigt, also gesagt, das das halt so wäre und er das nicht böse gemeint hätte.

Das ist ja fast schon typisch für diese Angst vor dem Fremden: Er kannte dich und sagt dann so etwas wie: "Du bist ja kein richtiger Neger".

Das ist immer das Problem: Man hat zum Beispiel Angst vor einem böse gezeichneten Türkenbild, weil die angeblich klauen würden. Aber jeder sagt: "Ja, gut, der, den ich kenne, nicht! Mein Gemüsemann unten, der nicht!" Das ist dann eben kein richtiger Türke. Das Klischee, vor dem die Leute Angst haben, kennen die wenigsten, weil das meistens eben gar nicht existiert. Aber bis die Leute darauf kommen, dass ihr Klischee vielleicht nicht stimmt und nicht alle Leute, die sie treffen, eine Ausnahme von der Regel sind, dauert es bei manchen bis ins Grab. Manche überreißen's hoffentlich irgendwann, dass das Quatsch ist.

Du hast gerade schon den Fremdenhass angesprochen, den man gerade in Bezug auf die Flüchtlinge gerade spürt. Und du sagst in deinem Artikel, dass man nicht nur in Sachsen intolerant ist, sondern auch in Bayern und vor allem auch in der Stadt. Gibt es vielleicht trotzdem einen Unterschied zwischen Rassismus auf dem Land und in der Stadt?

Vielleicht ist der Rassismus in der Stadt ein bisschen subtiler. Das wird sich in den nächsten Wochen aber erst noch herausstellen. Ich hoffe, dass es in der Stadt nicht auch schlimmer wird. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Mob in der Stadt nicht so groß ist, weil es da vielleicht noch größeren Gegenwind gibt und sich die Leute deswegen nicht trauen, ganz so laut zu werden und die Fackel in die Hand zu nehmen, im übertragenen Sinn. Das kann ich aber nicht einschätzen. Mich hat es jedenfalls überrascht, dass mir das in München passiert, dass ich auf die Schnauze kriege.

Du bist vor drei Wochen am Ostbahnhof verprügelt worden.

Ja. Ich bin zum Glück schnell zu Fuß unterwegs und habe mich dann irgendwie lösen können und konnte abhauen. Aber ja, ich habe von Faschos auf die Schnauze gekriegt. Das ist mir vorher tatsächlich noch nie passiert. Es gab zwar auch in Puchheim, wo ich aufgewachsen bin, relativ viele Probleme. Aber da ist das nie so eskaliert, da konnte ich entweder vorher abhauen oder es ist verbal erledigt worden. Aber am Ostbahnhof ging es ziemlich flott. Die haben nicht lange gefackelt.

Dein Artikel über Rassismus in München war ernst und nachdenklich. Aber eigentlich bist du Comedian und knöpfst dir das Thema in deinem Soloprogramm "Allein unter Schwarzen" mit Humor vor. Wann hast du dich entschieden, dass Rassismus dein Thema ist? Gab es ein Schlüsselerlebnis, nach dem du gesagt hast: Jetzt reicht's mir?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe einfach darauf los geschrieben, natürlich über persönliche Erfahrungen, und dann hat sich das so ergeben. Das waren eben überwiegend Erfahrungen mit Rassismus, die ich dann mit Humor aufgefangen habe. Aber das war keine besonders bewusste Entscheidung. Und ich habe auch erst beim Spielen gemerkt, dass man die Leute damit erreicht. Weil das wirklich teilweise Sachen sind, die für mich ganz normal sind. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass das eigentlich beleidigend ist, was da passiert. Das habe ich erst durch die Reaktion der Menschen gemerkt, die sich oft nicht vorstellen können, dass es so etwas noch gibt.

Warum glaubst du denn, dass du die Leute so gut mit Humor erreichst?

Ich glaube, man erreicht Menschen überhaupt besser mit Humor als wenn man sich am Marienplatz mit der Faust in der Luft hinstellt und die Leute anschreit. Da hört einem keiner zu. Die Menschen beim Lachen zum Nachdenken zu bringen, ist für mich aber auch die Ideallösung, weil ich schon immer alles mit Humor gelöst habe.

Aber kommen zu deinen Auftritten nicht sowieso nur Leute, die Rassismus furchtbar finden, die also eh schon einen Zugang zu diesem Thema haben?

Ja, schon. Es kommen natürlich keine NPD-Mitglieder zu mir. Aber es kommen tatsächlich viele Leute, die unabhängig von der Hautfarbe an meinen Sachen interessiert sind. Die merken dann, hoppla, da passieren ein paar Sachen in Deutschland, die nicht richtig sind. Ein paar erreicht man also schon, die man aufwecken kann.


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