Tagebuch aus Brüssel nach den Anschlägen "Wie in einem Kriegsgebiet"
Hatice und Daniel arbeiten beide im Europaviertel in Brüssel und waren da, als dort die Bombe hochging. Für uns haben die beiden Brüsseler eine Woche lang aufgeschrieben, wie sie die traumatisierte Stadt erleben.
Montag
Bei Terroranschlägen sterben in Brüssel 35 Menschen. Zwei Attentäter sprengen sich am Flughafen Zaventem in die Luft, eine Explosion erschüttert die Metrostation Maelbeek.
Hatice:
"Ich hatte einen Schutzengel! Fünf Minuten nachdem ich mein Büro neben der Metrostation Maelbeek betrat, gab es die Explosion. Als ich im Büro war, hörte ich den Knall, konnte ihn aber nicht zuordnen. Nach ca. 20 Minuten wurde ich von Polizeieinheiten evakuiert. Die Chaosstimmung direkt am Tatort war schrecklich. Menschen wussten nicht wohin sie gehen sollten, aus Angst, dass vielleicht auf dem Weg irgendwo eine weitere Bombe explodiert. Viele umarmten sich. Auf dem Weg nach Hause traf ich alle zwei Meter auf bewaffnete belgische Spezialeinheiten und Militärs."
Dienstag
Der sogenannte Islamische Staat bekennt sich zu den Anschläge und nach den Tätern wird gefahndet. In Brüssel und in der ganzen Welt wird den Opfern gedacht.
Hatice:
"Ich durfte nicht in die Arbeit gehen. Denn das Gebäude ist beschädigt und die Gegend immer noch unsicher. Gestern Abend bin ich mit Freunden in den Jubelpark in Brüssel (direkt an der EU-Kommission) gegangen. Menschen haben Blumen niedergelegt, gemeinsam den Sonnenuntergang angesehen und Kerzen angezündet."
Mittwoch
Drei von vier Angreifern werden von den Behörden identifiziert. Einer der Brüsseler Attentäter soll auch die Pariser Terrorwelle mitvorbereitet haben.
Hatice:
"Auf der Straße schauen sich die Menschen skeptisch an, als hätten sie Angst voreinander. Das EU-Parlament ist geschlossen und es ist sehr still da. Auf der Haupteinkaufsstraße war aber wieder alles sehr normal. Überall sind zwar Militärautos und Polizisten, aber die Läden waren voll wie immer. Bei jeder Sirene zucke ich zusammen, aber das Leben geht weiter."
Donnerstag
Sechs Verdächtige des Anschlags werden bei neuen Razzien in Brüssel festgenommen.
Daniel:
"Wie jeden Donnerstagabend war ich nach der Arbeit mit Kollegen noch ein Bier am Place du Luxembourg trinken. Normalerweise sind da alle Bars voll, aber heute war es wie ausgestorben. Es war auch ein komisches Gefühl, Bier zu trinken - aber warum jetzt nach Hause gehen? Es muss ja weiter gehen. Auf dem Nachhauseweg bin ich dann an der Metro vorbeikommen. Da wurde mir wieder bewusst, was am Dienstag passiert ist. Die ein, zwei Bier davor haben es schon fast verdrängt gehabt."
Freitag
Es wird weiterhin nach dem dritten Verdächtige des Anschlags am Flughafen ermittelt, der auf der Überwachungskamera mit den beiden mutmaßlichen Selbstmordattentätern zu sehen ist.
Daniel:
"Am Freitag bin ich von Brüssel mit dem Zug nach München gefahren. Ich bin extra eine Stunde früher zum Bahnhof in der Erwartung, dass es mehr Sicherheitskontrollen geben wird. Am Ende war ich schneller am Zug als zuvor. Keine Sicherheitskontrollen, weniger Leute. Dafür relativ viel Militär, wie in einem Kriegsgebiet. Die Patrouillen sind sogar nervös zusammen gezuckt als an der nahliegenden Baustelle ein Werkzeugkasten umgefallen ist."
Samstag
Ein für Sonntag in Brüssel geplanter Gedenkmarsch für die Opfer der Anschläge wird wegen Überlastung der Polizei abgesagt.
Hatice:
"Heute habe ich es einfach nicht mehr in Brüssel ausgehalten. Diese ganzen Sirenen machen mich ganz schön verrückt. Ich wollte mit dem Zug raus in eine naheliegende Stadt fahren. Am Hauptbahnhof hab ich dann aber schon ein bisschen Panik gekriegt."
Sonntag
Am zentralen Gedenkort der Terroranschläge in Brüssel liefern sich mehr als 300 Fußball-Hooligans Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es fallen ausländerfeindliche Rufe.
Hatice:
"Ich war heute nicht in Brüssel, aber ich habe von einer Freundin von den Hooligans gehört. Ich finde das sehr beschämend. Auf einmal gehen Rechtsextreme gegen alle Muslime vor. Ich selbst als Muslimin habe da natürlich auch Angst, weil ich mit den Anschlägen nicht assoziiert werden will. Man kann doch nicht alle über einen Kamm scheren! Man merkt schon diese Propaganda von rechts. Das macht mir schon Sorgen!"