Startrampe Acht Gründe für den Weltruhm von Milky Chance

Milky Chance = Mega-Erfolg. Jetzt fragen sich alle: Wie werden zwei Kasseler Bengel innerhalb kürzester Zeit zu Weltstars? Wir haben eine Expertenrunde geladen, schriftlich zumindest.

Von: Katja Engelhardt

Stand: 21.05.2015 | Archiv

Bild: BR

Aus Kassel in die weltweiten Charts - und das innerhalb von zwei Jahren. Milky Chance haben eine beeindruckende Karriere hingelegt. 2013 haben wir sie mit der Startrampe als Newcomer begleitet, jetzt werden die Songs von Clemens und Philipp überall gespielt. Von Deutschland über Neuseeland und sogar in den USA werden die beiden auf der Straße erkannt. Nicht schlecht. Wir haben mit den unterschiedlichsten Experten über die Karriere, den Hit "Stolen Dance"  und Mechanismen der Musikindustrie gesprochen.

1. Das Album als Konzept

Fangen wir doch mal bei dem wichtigsten an: Der Musik. Klar, "Stolen Dance“ ist der internationale Über-Hit. Böse Zungen behaupten natürlich: One-Hit-Wonder! Stimmt aber gar nicht: Milky Chance haben viel mehr zu bieten. Wenn man sich die Klickrate von ihrem Album "Sadnecessary" auf Spotify anschaut, verteilt sich die Aufmerksamkeit ziemlich gut. Das ganze Album wird gehört, nicht nur ein Song.

"Das Album an sich ist eine sehr geschlossene Einheit, die auch in sich so produziert ist, dass der Sound auch einfach übergeht in verschiedene andere Songs und das ist auch eine relativ seltene Sache. Bei den normalen Pop-Produktionen ist es so, dass es ein Track ist der wirklich die Relevanz hat und der auch das Album dann mitzieht."

Marie Heimer, Label Relations Manager bei Spotify

2. Harte Arbeit für den Sprung über den Teich

Weil die Daten gezeigt haben, dass Milky Chance unglaublich viel in den USA gehört werden, haben ihr Label Lichtdicht und sie den amerikanischen Markt in Angriff genommen. Der ist hart zu knacken. Milky Chance haben verstanden, wie:

"In vielen europäischen Ländern gibt es landesweite Radiostationen. Wenn BBC Radio in den UK eine Band spielt, hört man die im ganzen Land. Für den amerikanischen Markt muss man in jede einzelne Stadt. Milky Chance tun genau das."

J. Beau Lewis, Booker für Milky Chance in den USA

3. Anti-Helden als Popstars

So eine Tour wird natürlich von vorne bis hinten strikt durchgeplant. Lichtdicht, das Label von Milky Chance, arbeitet in den Staaten mittlerweile mit Republic Records zusammen, einem Unter-Label von Universal. Alles wird immer professioneller. Auch Clemens und Philipp von Milky Chance wissen mittlerweile, wie man Interviews elegant meistert. Das war nicht immer so. Gerade den Medien haben sie es nicht immer einfach gemacht, denn die wünschen sich oft den perfekten Popstar. Dabei ist das gar nicht immer nötig:

"Wenn sie im Radio waren, dann waren die Radiomoderatoren hinterher oft fürchterlich sauer, warum man den Jungs alles aus der Nase ziehen muss, warum sie so langsam antworten und so viele Pausen machen. […]  In dem Moment, wo im Radio einfach mal drei Sekunden nichts dudelt, hast du die maximale Aufmerksamkeit, weil jeder der gerade bügelt oder was auch immer macht, in dieser Sekunde zum Radio gucken wird."

Tobias Herder, Label Manager bei Lichtdicht Records

4. Lieber unperfekt als langweilig

Clemens und Philipp sind jetzt schon echte Profis. Auch wenn das live nicht immer aufgeht wie gewünscht. Im Oktober 2014 haben die beiden einen Auftritt in der Late Night Show von TV Legende Jimmy Kimmel - "ziemlich scheiße", sagt danach Sänger Clemens selbst. Ein semi-guter Fernsehauftritt muss der Karriere aber nicht unbedingt schaden:

"Durch YouTube und andere Medien können Performances in Late Night Shows ein völlig eigenes Leben entwickeln - zum Beispiel wenn Bands etwas Besonderes tun oder der Moderator komisch reagiert hat. Auch wenn vielleicht nicht so gut gesungen wird oder der Musiker nicht in die Kamera schaut, kann das auch zum Image der Band beitragen. Die Band wirkt mysteriös oder als ob sie sich nicht drum kümmert, wie sie im Mainstream ankommen. Wirklich schlimm ist nur, langweilig zu sein."

Andrew Unterberger, Musikjournalist bei SPIN

5. Mit Geduld zum Erfolg

Ein Blick auf die Daten von Facebook, Twitter und YouTube zeigt aber auch: Der erwartete Boom nach dem Late-Night-Konzert bleibt aus. Dabei hat die Show eine erstklassige Einschaltquote. Woran liegt das?

"So ein TV Auftritt ist ja meistens ein Tool, das auf einmal eine ganz andere Zielgruppe erreicht, die man auch mehrmals ansprechen muss. Die müssen es wirklich vier, fünf Mal gesehen haben, bevor sie sich merken: 'Ach das ist dieser Künstler, ach so heißt das, ich kenn das zwar schon aus dem Radio vom Hören, aber wie der Künstler heißt, war mir bis jetzt gar nicht bewusst'. Am besten ist eine Kombination aus verschiedenen Medien."

Christina Gunther, Senior Manager Consumer Insight bei Sony

6. Die zufällig richtige Strategie

Milky Chance haben zwar keine konkret anvisierte  Zielgruppe, aber Spotify-Daten zeigen: Die Hörer sind vor allem zwischen 18 und 28. Diese Altersgruppe hat Milky Chance schon früh im Netz entdeckt. Weil Milky Chance erst nach und nach in den Mainstream gerutscht sind, haben sie wie aus Versehen eine wichtige Regel befolgt: Die Cool Kids nicht zu früh verschrecken.

"Es gibt ja viele, die sich über das Entdecken neuer Musik definieren. Sobald dann ein Künstler in der breiteren Masse angekommen ist, verliert dieser Mensch eventuell das Interesse, weil er ja schon wieder die nächsten fünf heißen Acts entdeckt und alles dann ja Mainstream ist - und somit uncool."

Boris Müller-Bernhardt, Senior Product Manager bei Sony

7. Die sprechenden Daten

In den USA untersuchen viele Radiosender ihre Songs nach "Einschaltquoten". So wird eingeschätzt, was mit einem Song passiert: Öfter spielen oder unter den Teppich kehren. Bie Milky Chance sprechen die Daten eine eindeutige Sprache:

"Wir benutzen ein Programm, mit dem wir sehen können, wie lange ein Hörer durchschnittlich dran bleibt, wenn ein bestimmter Song gespielt wird. Milky Chance haben da sehr gut abgeschnitten. Also haben wir Milky Chance öfter gespielt, die Leute haben es geliebt und dann sind Milky Chance in unserer höchsten Rotation gelandet."

Kristen Kurtis, Programmchefin bei KGSR Radio Austin, Texas

8. Fanbindung

Milky Chance beim Pop-Professor: Was "Stolen Dance" zum Hit macht

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Bild: BR

PULS Reportage | BR.de


Die Musik von Milky Chance ist aber weit mehr als gefällig. Ein Puzzleteil des Erfolgs ist der authentische Stil der Band und ihrer Songs. Auf YouTube wimmelt es von Jungs und Mädels, die ihre Milky-Chance-Coverversionen posten. Das ist echte Fanbindung.

Aber wie ticken die überhaupt, diese Fans?

"Die sind hauptsächlich entspannt und chillen, wollen irgendwo rumsitzen oder auch tanzen. Aber viele wollen auch dazu spielen. Und das geht eben nicht bei allen Popsongs. Wie will ich elektronische Musik nachspielen oder einen komplexen Popsong von Madonna? Singer-Songwriter-Musik wie die von Milky Chance kann ich leichter nachspielen."

Prof. Dr. Thomas Krettenauer, Musikprofessor an der POP Paderborn

Und wenn die Fans in ihren YouTube-Videos ansagen, von wem das Original ist oder unter ihr Video einen entsprechenden Link setzen, ist das völlig kostenloses Cross-Marketing, das sogar von Herzen kommt. Und von hunderttausenden potentiellen Neu-Fans geklickt wird. Wenn die dann noch irgendwo ein Milky-Chance-Poster sehen oder einen ihrer Songs im Radio hören, sind viele davon schon fast todsichere "Neu-Kunden".

Wir lernen also: Ein erfolgreicher Musiker ist möglichst überall. Ungefähr so wie Milky Chance!