Hommage an einen Gaumenkitzler Kult. Kultur. Gut. Leberkas

Kommissar Eberhofer ermittelt im Krimi nicht ohne, zumindest nicht gut. Kein Wunder, die Leberkas-Semmel ist eines der beliebtesten und damit wichtigsten Schnellgerichte in Bayern.

Von: Susi Weichselbaumer

Stand: 25.02.2022 | Archiv

Hommage an einen Gaumenkitzler: Kult. Kultur. Gut. Leberkas

Your browser doesn’t support HTML5 audio

Bayern 2 Zeit für Bayern | BAYERN 2

Leberkas ist Lebensmittel und Lebensphilosophie zugleich. Leberkas ist Kult. Metzger hüten ihre jeweiligen geheimen Leberkas-Gewürzmischungen. Zum Beispiel Metzgermeister Johann Raab in München-Obermenzing. An den Wänden hängen Urkunden und Gütesiegel, dazwischen Familienfotos. Großvater Raab und die Metzgerei in Schwarz-Weiß. Johann Raab als Schulkind mit dem Papa. Irgendwann werden die Aufnahmen farbig: Johann Raab erwachsen, dunkle Haare, Schnauzer und selber Vater von einem Mädchen und einem Buben. Auf dem Bild ist der Sohn noch klein. Jetzt als Teenager hilft er an den Wochenenden in der Metzgerei mit. Unlängst hat der Junior seinen ersten eigenen Leberkäs hergestellt, nach Raabscher Rezeptur!

"Bei uns ist es zum Beispiel a so, wir haben eine Leberkäsrezeptur, die ist von meinem Vater und die wird nicht verändert, genauso wie sie vor 60 Jahren gemacht worden ist, so wird sie heute auch noch gemacht. Ich sog jetzt moi, des san meistens Familienrezepturen, de seit Menschengedenken scho do san, die von Generation zu Generation wieder übertragen werden."

Metzgermeister Johann Raab, München Obermenzing

Das Menschengedenken beim Leberkäs reicht übrigens zurück ins 18. Jahrhundert. Da wird er angeblich erfunden. Der pfalzbairische Kurfürst Karl Theodor wünscht sich Französische Pasteten und Terrinen. Er selbst oder sein Metzger, da ist sich die Legende nicht ganz sicher, hat die Idee, feingehacktes Schweine- und Rindfleisch könnte man in Brotform backen. Als kastenförmigen Laib. Voilá: Der Leberkäs ist erfunden; und weil die Fleischware aussieht wie ein Käselaib Lääb Kees, also Laib Käse, später Leberkäse genannt.

Die Wirklichkeit ist vielleicht weniger pittoresk. Der Name Leberkäse leitet sich entweder ab vom mittelhochdeutschen lab, das man genauso für das Gerinnungsferment bei der Käseherstellung benutzt, oder aus dem mittelhochdeutschen lebere. Das bedeutet gestockte Masse. In beiden Fällen knüpft sich daran das ursprünglich slawische Wort quas für Schmaus.

Ofenfrischer Leberkas auf dem Oktoberfest Bild: BR/Max Hofstetter

Der Altbayerische Leberkäs verwendet nur Rindfleisch, der Schweinskas nur Schweinefleisch. Im Groben Fleischkäs sind Fleischeinlagen eingearbeitet. Es gibt Kalbskas aus Kalbfleisch, Rossleberkäs oder Truthahnleberkäs. Leberkäse mit extra Käse drin, Chili, Schwammerl oder Paprika. Der sogenannte Stuttgarter Leberkäs muss mindestens 5% Schweineleber enthalten. Auch im Fränkischen Leberkäs ist Leber. In den Bayerischen Leberkäs - also den ersterfundenen und damit die Mutter aller Leberkäse - darf keine Leber. Das schreibt die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung bei uns fest. In der Schweiz und in Österreich ist Leber im Leberkäs erlaubt.

Überhaupt scheint Österreich momentan das Leberkäs-Innovationsland zu sein. Dort gibt es inzwischen eine Imbisskette, die sich allein auf Leberkäs spezialisiert hat: "Leberkas-Pepi" mit mehreren Filialen in Wien, Linz oder Klagenfurt. Ganz neu ist eine Pepi-Dependance im Ausland - gleich hinter der Grenze, ein Imbisswagen im bayerischen Passau. Spinat-Knoblauch-, Pfeffer-, Trüffel-Steinpilz-, Bärlauch-, Feta-Oliven-, Tomaten-Mozzarella-Leberkäs - 24 Varianten bilden das Standard-Sortiment. In der Semmel. Mit Senf, Ketchup oder Zwiebel-Curry-Sauce. Für eingefleischte Fans hat Leberkas-Pepi-Chef Christoph Baur noch mehr auf Lager:

"Wir haben im Fanshop jede Menge Zusatzartikel: Strampler, Ohrringe, Schlüsselanhänger. Zurzeit verkaufen wir jede Menge Leberkäs-Weihnachtskugeln und Leberkäs-Socken."

Christoph Baur, Leberkas-Pepi, Linz

Der Katalog spricht von Leberkäs-Stutzerln, 7 Euro 90 pro Paar. Die Socken sind schwarz mit vielen kleinen hellgelb-rosa Leberkässemmeln drauf. Eine Sonnenbrille mit Leberkässemmel-Motiven auf den Gläsern kostet 3 Euro 90. Und der Babystrampler zeigt schon der ganz jungen Jugend, wohin es geht: Auf dem Babybauch prangt eine quietschgelbe Leberkässemmel. Ein Pfeil zeigt nach oben Richtung Halsausschnitt mit der Aufschrift Leewakaas eine. Der andere Pfeil weist nach unten gen Windelöffnung: Leewakas ausse. Praktisch. Kindern verwechseln manchmal die Richtung.

Leberkas - geht auch kalt Bild: colourbox.com

Ob Austro-Pop, Münchner Country Music, Alpen-Rap oder Tanzbares für den Techno Club - Musikgenres querbeet feiern aktuell die Leberkäs-Kultur. Aber auch schon früher haben Liedermacher Hymnen auf den Leberkäs geschrieben. Gut, statistisch gesehen kommen Wein und Bier weit häufiger vor in den Texten, auch Brot und Brezn. Aber dann folgt schon der Leberkäs, zeigen Nachforschungen im Oberbayerischen Volksmusik-Archiv.

"Da heißt es in einem Gstanzl: Wanns Leberkäs regnet und Brotwiaschtl schneibt, dann bitt ma den Herrgott, dass Wetter so bleibt. Dann hamma aus der Oberpfalz Wirtshauslieder, wo es heißt: Oh Leberkäs, Oh Schwartenmong, warum kennts Ihr Eich ned vatrogn?"

Leonard Meixner, Volksmusikpfleger des Bezirks Oberbayern

Lustig, schräg bis deftig und heimatlich-verbunden - das zeichnet die alten Leberkäs-Lieder aus. Damit hat sich thematisch nicht viel verändert, vergleicht man heutige Leberkässemmel-Raps oder Leberkäs-HipHop-Nummern. Sie propagieren den Leberkäs-Lifestyle als Kult, als den Olymp, wo man hin will und sein muss, kaum allein, eher mit Kumpels, Hommies, Brudies und Sisters. Leberkäs - dann auch - als gemeinsames Nirwana. Paradies. Ewige Jagdgründe. Egal - Hauptsache oben, erhaben, weit. Kein Wunder: Für den Schriftsteller und Experten für Bayerische Literatur, Gerd Holzheimer ist die Leberkässemmel eine Metapher für unglaubliche Sehnsucht. Das perfekte literarische Bild. Doch anders als bei Schnitzel, Rollbraten oder Wammerl ist in der Leberkässemmel eine natürliche Fallhöhe angelegt.

"Man schleicht durch eine Stadt und Straße und Unterzucker droht - und dann eine Leberkässemmel! Die Rettung und Erfüllung aller Sehnsüchte und was man halt so braucht. Und dann isst man die viel zu schnell und zu viel und dann ist unweigerlich der Absturz vorprogrammiert. Also ich habe immer das Gefühl, das stimmt medizinisch wahrscheinlich überhaupt nicht, als würde unter der Bauspeicheldrüse so ein Vakuum entstehen, wie wenn man so träumt, dass man das Abitur verschlafen hat oder man langt neben sich und der Rucksack ist geklaut mit allem. Also das kann leicht passieren, also mir bei der Leberkässemmel. Aber man ist nicht so lernfähig. Das ist ja diese verhängnisvolle Dialektik zwischen Verheißung und Absturz."

Gerd Holzheimer, Literat

Oskar Maria Graf hat ihn gepriesen, Ludwig Thoma als Symbol für bessere Zeiten gelobt und für Karl Valentin ist der Leberkas sogar mit dem Weltuntergang verbunden. Da heißt es: Die Luft zitterte wie Schweinssulz, die Erde wühlte sich auf, die Vesuve spien Honig und Sauerkraut, Tag- und Nachteulen, Junikäfer und Lämmergeier schwirrten gespensterartig auf dem Fußboden umher, panikartig zerplatzte ein alter Leberkas… Finis Leberkaesis: Der Leberkäs ist nicht mehr. Aus. Ende. Ergo alles Ende. Abspann. Oder ein Weiterleben ohne Leberkäs. Die Semmel leer. Keine Leberkäs-Lieder mehr. Keine Leberkäs-Literatur.

Doch ein Dasein ohne Leberkäs: Noch unvorstellbar. So weit sind wir gottseidank noch nicht. Leberkäs hat Zukunft. Und gewiss ist, dass die Leberkäswelt weit ist und mannigfaltig ist, bunt und abenteuerlich. Man muss ihn nicht allerweil haben, aber wenn - dann mit Genuss. Gemeinsam. Leberkäs ist Familie und vor allem: Heimat.