Die Liste der Gospelchöre in Bayern scheint unendlich zu sein. Spätestens mit den "Sister Act"-Filmen, in denen Whoopi Goldberg und ein schräger Nonnenchor den Konvent rockten, brandete die Gospelwelle auch nach Bayern – und erfrischt seitdem das ganze Land mit diesem lebendigen christlichen Sound. Heute, etwa 30 Jahre nach Sister Act, gibt es gleich mehrere Netzwerke im Internet, mit denen interessierte Sängerinnen und Sänger einen Chor in ihrer Nähe finden können – auf dem Land genauso wie in der Großstadt.
Gospel – "Die gute Botschaft"
Gospel, oder God spel – "Die gute Botschaft", also das Evangelium – eint alle Gospelsänger. Und doch sind die Chöre ganz unterschiedlich. Es gibt überregionale Projektchöre, die sich unregelmäßig treffen. Viele Ensembles sind nicht einmal kirchlich gebunden.
Vorreiter in Sachen Gospel
Pop-Kantor Hans-Georg Stapff mit dem Gospelchor "Die Sternenfänger" aus Donauwörth
Bild: BR-Andreas Höfig
Andere gehören zu einer Kantorei – so wie die "Sternenfänger". Die Probe der Sternenfänger hört sich ganz ähnlich an wie eine normale Kirchenchorprobe. Kantor Hans-Georg Stapff ist hauptamtlicher evangelischer Kirchenmusiker in der Dekanatskirche in Donauwörth und Pop-Kantor im Nachbardekanat Augsburg. Er hat Kirchenmusik studiert, das Bach'sche Orgelwerk durchgearbeitet, dirigiert Motetten und Oratorien. Stapff war und ist mit seinem "Notenkessel" einer der Vorreiter in Sachen Gospel. Der von der Kirche finanzierte "Popularmusikverband" unterstützt Chöre und Chorleiter bei der Arbeit.
Die Sternenfänger in Donauwörth
Etwa 40 Sängerinnen und Sänger, quer durch alle Altersgruppen, stimmen, nein grooven sich bei der Probe ein – lernen ihren Gesangspart, angeleitet und am E-Piano begleitet von "ihrem Hans-Georg". Im Gospel-Chor ist man per Du; auch die Konfession spielt keine Rolle, jeder kann mitsingen. Katholiken, die im normalen evangelischen Kirchenchor nicht Mitglied sein wollen, haben beim Gospelsingen keine Berührungsängste. Manche singen in beiden Chören mit. Es ist zum einen die Musik, die begeistert, aber auch die Botschaft dahinter - und die Gemeinschaft.
Spricht Gott Englisch mit uns?
Viele Gottesdienstbesucher jedoch, das weiß auch Kantor Stapff, hören die englischen Texte nicht gerne in der Kirche und fragen sich: Spricht Gott denn wirklich Englisch mit uns?
"Die Hauptkritik beim Gospel ist: Warum müssen wir Englisch singen? Und dieses Argument verstehe ich wirklich, weil ich selber als Liedermacher deutsche Lieder mache, weil das einfach meine Muttersprache ist, und ich will, dass die Leute das verstehen. Aber Gospel ist Englisch und ich glaube es muss Englisch sein und deswegen singen wir die so."
Hans-Georg Stapff, Dekanatskantor für Popularmusik der evangelischen Landeskirche
Außerdem sieht Kantor Stapff im Englischen durchaus auch Vorteile.
"Ich glaube, dass das Englische manchmal die Brücke ist, dass ich den Text nicht so gut verstehe. Dass ich Jesus groß sein lassen kann, ohne dass ich im Moment Jesus groß lassen will. Weil meine deutsche Mentalität vielleicht nicht so gestrickt ist, dass ich Jesus groß sein lassen will, aber über Englisch funktioniert das. Aber ich weiß, dass meine Sänger auch fragen. Also wenn die 'dwell in your house' nicht verstehen. Die wollen verstehen, was sie da singen. Und es hängen an der Pinnwand, in der Probe, teilweise die deutschen Texte, oder ich schick sie rum."
Hans-Georg Stapff, Dekanatskantor für Popularmusik der evangelischen Landeskirche
Gospel-Workshop mit einem schwarzen Amerikaner
Freising bei München. Ein Gospel-Workshop mit Eric Bond. Auch hier gibt es zu Beginn Stimmübungen mit der Solistin der "Gospelsterne". Die "Gospelsterne" sind ein überregionaler Chor mit 140 Sängern, den Bond leitet. Etwa 80 Menschen sind heute gekommen, um Gospel quasi "von der Quelle zu trinken", denn Eric Bond ist ein schwarzer Amerikaner und ist mit Gospelmusik groß geworden.
Bond hat lange Funk, Rock- und Popmusik gemacht, Anfang der 1990er Jahre auch in der Band der Thomas Gottschalk-Late-Night-Show gespielt. Dann wurde er gebeten, einen Münchner Gospelchor zu betreuen und kam dabei - als Amerikaner - zu einer erstaunlichen Erkenntnis!
"An verschiedenen Stellen, an denen ich tief berührt war, hab ich bemerkt, dass das den Chor nicht berührt hat und die 700 Leute im Publikum auch nicht berührt hat. Und dann hab ich gedacht, es ging um den Text, die Leute verstehen den Text nicht. Dann hab ich alle Leute gefragt, gibt es keine guten deutschen Lieder, weil diese Musik sollte die Leute mehr berühren. Und sie haben mir gesagt: Danke für diesen guten Morgen. Das war der Anfang von meiner Vision, dass diese Leute in ihrer eigenen Sprache singen müssen. Und ich habe bemerkt, niemand hat wirklich für Gospelchöre geschrieben in dieser Zeit in der deutschen Sprache. So und jetzt mache ich das 20 Jahre nur auf deutsch."
Eric Bond
Krasse Missverständnisse und Verwechslungen
Doch die deutschen Kirchenlieder bedienen sich meist nicht der Umgangssprache, sondern sind "geistliche Lyrik" und sprechen gerade junge Menschen weniger an. Oft werden die Botschaften nicht mehr verstanden. Diese Erfahrung hat auch die Theologin und Religionspädagogin Jutta Hager gemacht, die viele deutsche Texte zu Eric Bonds Melodien geschrieben hat. Die deutsche Umgangssprache, ohne kirchliche Formeln, ist für Jutta Hager ganz wichtig, damit sich die Sänger auf die Botschaft einlassen können. Bei englischen Texten hat sie oft krasse Missverständnisse und Verwechslungen erlebt.
"Ich habe auch darunter gelitten, dass so viele Kirchgänger, gläubige Menschen, die klassischen englischen Texte brutal falsch verstehen. Da heißt es dann, Oh Happy day, das versteht man noch und dann ist Schluss. Wenn der Herr Bond lange gesungen hat, A-men, dann wurde zurückgesungen Hey Man! Bis er dann dieses Lied nicht mehr gesungen hat, weil da die Botschaft wirklich nicht mehr da war, und da gab's viele Dinge. Wir hatten 'King Jesus is a listening when you pray'; am nächsten Tag stand in der Zeitung: 'King Jesus is a lipstick in your stay'. Also es gibt unendlich viele Verwechslungen und es macht mich als Theologe oder gläubiger Christ furchtbar traurig, wenn die Message, die das wichtige ist, da nicht rüberkommt."
Jutta Hager, Theologin und Religionspädagogin
Verständliche Texte und einfache Melodien
Eric Bond, der im Moment acht Chöre von München bis Landshut leitet, findet die deutsche Sprache geradezu ideal zum Gospel-Singen. Einfache, verständliche Texte, die die Gefühlswelt und Realität der Menschen aufnehmen und in Alltagssprache wiederspiegeln. Dazu: einfach zu lernende Melodien. Das ist das Erfolgskonzept des deutschen Gospel-Duos Bond und Hager.
Gospel – Balsam für die Seele
Beim Workshop in Freising ist das "Inhalieren der Botschaft" zu spüren, denn die Melodien werden mantra-artig immer wieder und wieder gesungen, mal ein- mal mehrstimmig, mal mit Refrain, mal mit Überleitung, immer mit den beseelten „calls“ von Eric Bond als Vorsänger. Wie Balsam streicht sich der Gospel nach und nach auf die Seele. Hier findet spürbar auch eine Art Gottesdienst statt - allerdings ohne liturgische Formeln, sondern im stundenlangen gemeinsamen Erarbeiten und Singen der Botschaften: Zuversicht, Vertrauen auf Gott, Liebe und Vergebung.
Reaching Heaven – ein klassischer Gospelchor aus Nürnberg
München - Sound-Check in der Rogate Kirche, eine der Jugendkirchen der evangelischen Kirche in Bayern. Michael Martin steckt die Kabel für die Begleitband zusammen, denn heute hat er mit seinen Leuten einen großen Auftritt.
"Ich bin Chorleiter des Gospelchors Reaching Heaven aus Nürnberg. Uns gibt’s schon 16 Jahre lang. Wir sind sozusagen ein Klassischer Gospelchor. Wir singen hauptsächlich Englisch, Gospel, Spirituals, zeitgenössische Gospels, ab und zu kommt was Deutsches vor, aber das meiste ist doch englisch, meistens mit Band aber auch paar Songs acapella."
Michael Martin, Kirchenmusiker und Gospelreferent
Michael Martin ist studierter Kirchenmusiker und als Gospelreferent beim Verband für Popularmusik angestellt. Der Verein wird von der evangelischen Landeskirche in Bayern finanziert und koordiniert die "moderne Kirchenmusik" - unter anderem die Gospel-Chöre.
"Wir sind Ansprechpartner für Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung, Wir bilden also in mehrwöchigen oder mehrjährigen Kursen Chorleiter aus. Wir sind Ansprechpartner für die Gemeinden, für die Chorleiter, wenn sie auf der Suche sind nach neuen Stücken, wenn sie eine Frage haben, wie kann ich was begleiten? Da sind wir, speziell ich als Gospelreferent, Ansprechpartner für alles was Gospel betrifft."
Michael Martin, Kirchenmusiker und Gospelreferent
Run auf die Gospelchöre verursacht Chorleitermangel
Neue Gospel-Chorleiter werden dringend gesucht, denn manche Chöre gibt es schon über 25 Jahre. Deren Gründungschorleiter gehen langsam in Ruhestand. Doch warum investiert die Kirche so viel Geld und Energie in Gospelchöre? Will man so wieder junge Menschen für die Kirche gewinnen? Nein, die Zielgruppe ist eher eine andere, erklärt Michael Martin.
"Gospelchor, ist klar, ist keine Jugendbewegung. Ich hab den Vorteil dass in meinem Chor viele Jugendliche dabei sind, aber das ist nicht die Norm. Es ist wirklich so, dass es eher 30 aufwärts geht. Und ich denke eher, dass in den Chören die Leute mitsingen, die vielleicht in den 70er, 80er Jahren eine Heimat hatten in der Kirche und die jetzt wieder dazukommen und sagen: Jawoll, ich möchte mich wieder andocken an die Kirche, was gibt’s für musikalische Möglichkeiten - und mit der Klassik haben sie nicht ganz so viel am Hut. Und in den Gospelchören finden sie dann wieder eine Heimat."
Michael Martin, Kirchenmusiker und Gospelreferent
Neues Gospelgesangsbuch der evangelischen Kirche
Reaching Heaven und Michael Martin sind aus Nürnberg angereist, um zusammen mit dem Münchner Gospel-Chor St. Lukas im Festgottesdienst das neue Gospelgesangbuch der evangelischen Kirche für Bayern vorzustellen. Die Sammlung gibt es schon seit 2014, nun allerdings auch mit bayerischem Anhang für die Gemeinden.
Gutes, ökumenisches Miteinander
Der Popularmusikverband hat eine ökumenische Präambel, die Workshops stehen allen Menschen offen, nicht nur evangelischen Christen. Der Verband hat auch viele katholische Mitglieder und circa 15 Prozent freikirchliche. Also ein gutes ökumenisches Miteinander in der Popularmusik. Lediglich bei der Ausbildung klafft es etwas auseinander. Während es an der evangelischen Popakademie im nordrhein-westfälischen Witten seit drei Jahren einen Studiengang Pop-Kantor gibt, ringt die Konferenz der Direktoren der katholischen Ausbildungsstätten in Bayern noch mit sich, ob die Einführung eines Hauptstudiums nötig ist. Einige sehen darin "den Untergang des Abendlandes", wie aus Dozentenkreisen zu hören ist. An der Hochschule für katholische Kirchenmusik in Regensburg wird aber schon lange an einem Studiengang-Entwurf gefeilt. Die Hochschule will den Trend professionell begleiten.
Die katholische Kirche tut sich schwer
In der Erzdiözese München gibt es nach Angaben der Bistumsleitung etwa 40 katholische Gospelchöre. Die würden auch nach Kräften unterstützt. Allerdings sei Gospel-Musik in der katholischen Messe, mit ihrer ausgefeilten Liturgie nur sehr bedingt geeignet. Einen Ausbildungsgang der Kantoren, ohne die klassischen Techniken - kann sich hier deshalb niemand recht vorstellen. Stattdessen setzt die Erzdiözese auf das "neue geistliche Lied", im wesentlichen Gotteslob-Lieder, die etwas beschwingt daherkommen.
Für die Regionalbischöfin ist Gospel eine Bereicherung
Mit der englischen Sprache hat Regionalbischöfin Susanne Breit-Kessler kein Problem, sie sieht das eher als Bereicherung. Man kann das eine tun - ohne das andere zu lassen.
"Wir haben wundervolle deutsche Lieder von Paul Gerhard, das finde ich fantastisch, die singen wir ja auch. Wir haben Bach mit den Oratorien und Passionen, das ist auch deutsche Sprache, und dann haben wir noch etwas von unseren schwarzen Brüdern und Schwestern übernommen, und das ist halt auf Englisch, das ist doch herrlich. Wir sind einfach eine internationale Gemeinschaft als Christen."
Susanne Breit-Kessler, Regionalbischöfin
Gemeinde lässt sich nicht entflammen
Doch beim Festgottesdienst in München will der Funke, das Feuer, das Entflammtsein, wie man es bei Chorproben erleben kann, nicht recht auf die Gemeinde überspringen. Kurze Gospelschnipsel werden von dem Gottesdienstschema immer wieder abgewürgt, es fehlt der charismatische Prediger, der Gebet, Anrufung, Lesung durchgängig mit der Musik verbindet und für den "flow", den Fluss sorgt. Die Gemeinde versucht zwar tapfer mitzusingen, allerdings wirken die sehr einfach gehaltenen Chorsätze relativ kraftlos und matt. Ob die Kirche dem Gospel und der Gemeinde damit einen Gefallen tut, muss sich zeigen.
Gospel im Gottesdienst bleibt ein Kompromiss - wenn jedoch die Kirchen sich nicht auf die Chöre zubewegen, mit neuen freien Formen und Liturgien, werden die Formationen wohl weiterhin eher eigene Konzerte und liturgische Formen suchen.