Meinung Nach dem SPIEGEL-Cover sollte sich die SPD in „Antisozialdemokratische Partei Deutschland“ umbenennen
Mit grimmigen Blick fantasiert Bundeskanzler Olaf Scholz im neuen SPIEGEL von harten Abschiebungen. Sein Anti-Migrations-Sound ist so kalkuliert wie beängstigend. Und katapultiert uns zurück ins vorige Jahrhundert. Ein Kommentar.
Von: Paula Lochte
Stand: 23.10.2023
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Der SPIEGEL konnte sein Glück wahrscheinlich selbst kaum fassen. Wenige Wochen zuvor hatte das Nachrichtenmagazin noch viel Grafik-Power in seine Cover-Gestaltung gesteckt, um eine migrantische Bedrohung heraufzubeschwören. Es hatte das Foto eines Flüchtlingstrecks so zugeschnitten, dass er endlos wirkte. Das Bild gelb eingefärbt, sodass es wie ein Warnschild aussah. Und darüber die bange Frage gesetzt, „Schaffen wir das – noch mal?“.
Diesmal hatte der SPIEGEL kaum etwas zu tun. Denn Interviewpartner Olaf Scholz lieferte alles, was das Magazin brauchte, um die Anti-Migrations-Erzählung fortzuschreiben: Er blickte ganz von selbst grimmig in die Kamera. Gab sich alle Mühe, seinen Mund in einen Strich zu verwandeln und aus seinen Augen nichts als menschliche Kälte sprechen zu lassen. Und er übergab das passende Zitat wie ein Geschenk an die Journalisten.
Olaf Scholz wollte eine Schlagzeile liefern – und bekam sie
Die Journalisten, die das Interview führten, reagierten mit ungläubiger Freude: „So ein Gespräch wie wir es mit dem Bundeskanzler am Mittwochabend im Kanzleramt geführt haben, haben wir beide noch nicht erlebt“, erklärten sie in der „Hausmitteilung“ genannten Behind-the-Scenes-Rubrik des Nachrichtenmagazins. Sie hatten sich auf vorsichtige Worthülsen eingestellt, aus denen sich nur schwer eine Schlagzeile drechseln lässt. Stattdessen habe Scholz „fast leidenschaftlich“ von seiner neuen, härteren Asylpolitik erzählt.
Er hat damit genau das erreicht, was er wohl erreichen wollte: eine Titelschlagzeile. Die SPIEGEL-Grafiker konnten sich dabei entspannt zurücklehnen. Denn als Foto und Interview im Kasten waren, mussten sie nur an einem einzigen Regler ziehen, schon stand das Coverbild. Die Härte der Kontraste passte nun zur Härte der Worte. Und so blickt uns der Bundeskanzler seit Samstag mit seinen kalten Augen von den Zeitungskiosken dieses Landes entgegen und verbreitet seine vermeintlich frohe Botschaft: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“
Olaf Scholz fährt eine Angstkampagne
Es ist eine Angstkampagne, die Olaf Scholz da fährt. Sie soll Ausländern „ohne Bleibeperspektive“ Angst einjagen. Sie soll vorgeblich besorgten Bürgern Ängste nehmen. Und sie ist getrieben von den Untergangsängsten einer Partei, die in Bayern und Hessen immer weiter in die politische Bedeutungslosigkeit abrutscht, während die AfD zweistellige Ergebnisse einfährt.
Diese Strategie ist beängstigend. Denn sie lässt sich die Agenda von einer Partei diktieren, die der Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextremistisch einstuft. Was zugleich sehr ans vorige Jahrhundert erinnert. Wenn Olaf Scholz sagt, es kämen „zu viele“ nach Deutschland, ist das verdammt nah dran an der „Das Boot ist voll“-Rhetorik der 1990er Jahre. In jenen Baseballschlägerjahren konnte man den Eindruck gewinnen: Je schamloser und gewaltbereiter Menschen „Ausländer raus“ fordern, desto eher sind selbst demokratische Parteien bereit, ihnen in dieser Forderung entgegenzukommen. Finanzminister Lindner hat übrigens gerade bekannt gegeben, 2024 keine Mittel mehr für Seenotrettung bereitzustellen. „Schleuserkriminalität“ solle nicht mit Steuergeld unterstützt werden.
Die SPD sollte sich in APD umbenennen
Die neue alte Strategie von Olaf Scholz und der Bundesregierung wirft die Frage auf: Was bedeutet mehr Härte, wenn doch bereits jetzt erlaubt ist, Menschen unangekündigt in der Nacht abzuholen, um sie abzuschieben? Oder sie vor der Abschiebung zu inhaftieren? Was bedeutet mehr Härte, wenn einer der Hauptgründe, warum Menschen nicht abgeschoben werden können, ist, dass sie in ihrem Herkunftsland in Lebensgefahr sind, beispielsweise weil dort ein Krieg wütet?
Wenngleich Scholz vorgibt, mit seiner härteren Flüchtlingspolitik den Sozialstaat zu schützen: Vielleicht sollte sich die SPD zukünftig lieber APD nennen, kurz für Antisozialdemokratische Partei Deutschlands. Das wäre ehrlicher. Denn sie wäre nur noch einen Buchstaben von der AfD entfernt.