Musikszene in Leicester Wie eine 60-jährige Britin eine Female-Punk-Bewegung startete

"Warum gilt für Frauen über 50 nur Gartenarbeit oder Teetrinken als akzeptiertes Hobby?", dachte sich Ruth Miller aus Leicester, und gründete mit 60 Jahren die Punkband „The Verinos.“ Und brachte einen Stein ins Rollen, der die ganze Stadt erfasst hat.

Von: Dominik Kalus

Stand: 30.03.2023 | Archiv

Wenn die Kinder aus dem Haus sind, fallen viele Mütter erstmal in ein Loch. Wie die Zeit füllen, neuen Sinn finden? So ging es auch Ruth Miller aus der englischen Stadt Leicester. “Ich habe mich gefragt, wie der Rest meines Lebens wohl werden wird”, erzählt sie. Sie habe auf Google nach Hobbys gesucht, und war von den Ergebnissen enttäuscht: “Frauen über 50 werden da nur so Sachen wie ein Garten-Besuch oder Teetrinken empfohlen. Nichts Ausgefallenes oder Aufregendes.”

In ihrer Jugend hat Miller in einer Band gespielt, hatte sogar Auftritte in Deutschland. Aber für Familie und Beruf ließ sie das Musikmachen sein. Im Corona-Sommer 2021, sie war 60 Jahre alt, denkt sie an die Zeit zurück – und beschließt, wieder eine Band zu gründen, eine Band aus Frauen. Allerdings gibt es da ein Problem. In Leicester, einer mittelgroßen Stadt mit 350.000 Einwohnern, finden sich keine Musikerinnen, jedenfalls keine, die eine Punkband gründen wollen.

Ein Workshop zur Bandgründung

Miller hat eine Idee: Warum nicht einfach neue Musikerinnen anlernen? “Ich habe dann ziemlich einfache Songs geschrieben und mich auf die Suche nach Frauen gemacht, denen ich beibringen kann, wie man sie spielt”, erinnert sie. Miller gibt einen Workshop zur Bandgründung, für Frauen jedes Alters und jeder Herkunft. Musikalische Erfahrung ist nicht nötig, wichtig ist nur der Spirit, ganz nach dem Motto des Punk aus Millers Jugend.

Die Musik bringt sie zusammen

Die fünf Frauen gründen im Sommer 2021 also ihre Band: The Verinos. Und spielen bald ihren ersten Gig – mit überwältigendem Feedback. Viele Frauen aus dem Publikum kommen auf Miller zu, und sagen, auch auf der Bühne stehen wollen. Miller gibt ihren Workshop also noch ein zweites und dann noch ein drittes Mal. Die Teilnehmerinnen gründen eigene Bands, mit Namen wie: Virginia’s Wolves, Velvet Crisis, Venus Attax oder Glitch Magnet. Die Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Schichten, manche sind weiß, manche Of Colour. Ohne die Musik wären sie nie zusammengekommen, sagt Ruth Miller.

In einem Beitrag eines lokalen Fernsehsenders erzählen Bandmitglieder von ihrem neuen Hobby. "Es ist, als hätte sie in meinem Kopf das Licht angemacht”, schwärmt die Schlagzeugerin Christine Riedhofer von Millers Talent als Motivatorin. Bassistin Karen Closs lobt das Miteinander in der Szene: “Es gibt ein Gefühl der Zugehörigkeit. Jeder ist dankbar und wir lachen viel, und wir sind vom Alter her sehr gemischt – auch wenn niemand mehr von uns 17 ist.”

Von der Oma zur Punk-Gitarristin

Die Altersrange der Musikerinnen ist bemerkenswert: Von Ende 20 bis über 70 ist alles dabei. Manche hätten sich in der Rolle durchaus neu erfunden, erzählt Miller: "Die Gitarristin der Band Velvet Crisis ist 70 und sie hat ihren Stil völlig verändert. Vorher war sie eine ganz normale Oma. Aber seit sie in der Band ist, schreibt sie all diese Lieder mit Schimpfwörtern; sehr schockierend und amüsant." Ein Geburtstags-Auftritt von Velvet Crisis habe in der Nachbarschaft für Aufsehen gesorgt: Die Freunde und Verwandten der Gitarristin hätten nicht mit einer Punk-Band gerechnet.

Mittlerweile gibt es zwölf neue Bands in Leicester, die nur aus Frauen bestehen. Und die Bewegung kommt gerade erst ins Rollen. Anfang März startete Ruth Miller ein Crowdfunding, um mit dem Geld einen Sampler mit den neugegründeten Bands aufzunehmen. Binnen weniger Wochen kamen über 17.000 Euro an Spenden zusammen.

Miller hat eine Botschaft an alle älteren Frauen, die auf der Suche nach einem Hobby sind: