Debatte So wird in Island übers Gendern diskutiert

Gefühlt sind alle skandinavischen Länder immer ganz weit vorne im Bereich der sprachlichen Gleichstellung: In Schweden verbreitet sich zum Beispiel das neutrale Pronomen “hen” und im Finnischen gibt es erst gar keine Artikel. In Island aber wird gerade heiß diskutiert - ähnlich wie in Deutschland.

Von: Bärbel Wossagk, Achim Bogdahn

Stand: 13.09.2023

Bild: BR

Anders als die skandinavischen Nachbarn nutzt auch Island in der nordischen Sprache männliche und weibliche Artikel und Formen. Also genau wie bei uns in Deutschland. Wir haben uns gefragt: Wie geht die isländische Gesellschaft damit um? Kristján Guðjónsson ist Journalist aus Reykjavik und arbeitet beim Ríkisútvarpið, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Island. Mit ihm haben wir besprochen, wie eine geschlechtergerechte Sprache in seinem Heimatland funktionieren kann.

Zündfunk: Kristján, gib uns doch mal ein paar Beispiele, wo es im Isländischen hakt. Hier in Deutschland gibt es ja beispielsweise Diskussionen über die immer schwierigen Berufs-Bezeichnungen.

Der isländische Journalist Kristján Guðjónsson. Bild: Kristján Guðjónsson

Kristján Guðjónsson: Ja, wir haben da ähnliche Debatten. Viele Berufsbezeichnungen haben die Endung "-maður" am Ende, das heißt "Mann", ähnlich zu deutschen Beispielen wie "Feuerwehrmann" oder "Kaufmann". In dieses Schema fallen auch oft Bezeichnungen für sehr mächtige Berufe, wie zum Beispiel "þingmaður", also "Abgeordneter". Wir debattieren in Island seit Jahrzehnten darüber, ob wir das ändern sollen. Manche Berufsbezeichnungen könnten easy ein "-konu", also ein "-frau" am Ende tragen, wie in "Feuerwehrfrau" oder "Kauffrau". Aber viele Frauen sind da auch keine Fans von, denn es setzt das Gender so in den Fokus. Ein Problem ist auch, dass "-maður" - wie auch "man" im Englischen oder Deutschen - "alles und jeden" meinen kann, aber eben auch spezifisch eine männliche Person. Manchmal, weiß man dann nicht genau, was gemeint ist - auch ein Problem.

Dann gibt es den Fall mit den Ministern, die heißen im Isländischen "Ráðherra", und "-herra" bedeutet so etwas wie "Ratsherr" im Deutschen. Das ist also eine sehr maskuline Formulierung. In dem Punkt haben wir noch keine Lösung gefunden, aber wir haben manche Berufsbezeichnungen mit der Zeit genderneutral definiert: Zum Beispiel hatten Erziehende im Kindergarten oder Pflegepersonal früher sehr feminine Bezeichnungen, die sind heute neutraler. Es gab auch diesen einen Fall mit dem Wort "Fischer", da hatten wir auch versucht eine neutralere Bezeichnung zu finden. Das fanden aber viele ziemlich ungut, das hat ihnen nicht gefallen.

Ist das denn ein großes Thema, wird da wie bei uns heiß und scharf diskutiert drüber?

Ja, es ist ein total großes Thema! Es gibt eine sehr aufgeheizte Diskussion im Moment, die aber für Leute von außerhalb nicht so wichtig wirkt. Zum Beispiel um den Begriff für eine Gruppe von Menschen, dafür gibt es viele Begriffe im Isländischen, die wir dafür benutzen. Unter anderem benutzen wir die maskulinen Begriffe "allir", oder "menn" (= jeder, Männer) für eine Gruppe an Menschen, dessen Gender wir nicht kennen. Es wäre aber eigentlich total einfach, eine neutralere Bezeichnung dafür zu wählen, wie zum Beispiel "öll" (="alle") , oder "fólk" (= Leute).

Kristján Guðjónsson mit Bärbel Wossagk und Achim Bogdahn im Zündfunk Studio. Bild: Kristján Guðjónsson.

Selbst an meinem Arbeitsplatz, beim isländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht jetzt in den Richtlinien, dass wir versuchen sollen, inklusivere gender-neutrale Bezeichnungen zu benutzen. Damit sind aber nicht alle einverstanden. Viele empfinden das als eine falsche Art zu sprechen.

So sprachliche Details, über die hier in Deutschland auch diskutieren, die sind das Eine. Aber in Island gibt es ja noch eine anderes riesen Thema, wenn man es mit der geschlechtergerechten Sprache durchziehen will: Die Nachnamen. In Island trägt man traditionell den Vornamen des Vaters als Nachnamen - mit einem Kürzel hinten dran, und zwar "-son" oder "-dottir" für "Sohn von" oder "Tochter von". Gibt es da neue Ideen in Island, was diese Frage angeht?

Das ist eine alte skandinavische Namens-Tradition, der wir da folgen. Es gibt quasi keine Familiennamen. Ich heiße Guðjónsson weil mein Vater Guðjóns heißt. Mein Sohn heißt Kristjánson mit Nachnamen, weil ich Kristján heiße. Und das ist ein Problem für Menschen, die nicht in das binäre Geschlechtersystem passen, also weder als Mann noch als Frau leben. Ja, es gab da immer wieder Versuche, neue Begriffe zu kreieren, zum Beispiel mit dem Kürzel "-bur" (= abstammend von). Mein Sohn hieße dann zum Beispiel Kristjánsbur. Aber das benutzen nicht viele, das ist nicht sehr bekannt. Die meisten queeren oder gender-neutral lebenden Personen setzen einfach ein "s" an den Namen ihres Vaters, also im Falle meines Sohnes hieße er dann "Kristjáns".

Ein anderer Aspekt hier: Dem ganzen zu Grunde liegt natürlich ein patriarchalisches System, denn nur der Name des Vaters wird an die Kinder weitergegeben. Dazu gab es auch ein paar Reaktionen in Island: Einige haben dann zum Beispiel den Namen ihrer Mutter angenommen. Und einige junge Eltern geben die Namen beider Eltern an an ihre Kinder weiter, mein Sohn ist zum Beispiel nach mir und seiner Mutter benannt, sein Nachname lautet "Birnuson Kristjánson".