„Missy“-Mitbegründerin Stefanie Lohaus „Besser ein Mainstream-Feminismus, der etwas weichgespült ist, als gar kein Feminismus“
Wut ist wichtig. Um die Dinge zu verändern. Das sagt die Missy-Gründerin und -Herausgeberin Stefanie Lohaus. Sie hat eine Chronik der feministischen Bewegung geschrieben. Darin geht es auch darum, welche Songs in welcher Epoche dazu beigetragen haben, dass Feminismus Pop wurde.
Von: Barbara Streidl
Stand: 23.11.2023
„Ja, ich bin eine wütende Feministin!“, lautet der erste Satz im Buch von Stefanie Lohaus, ihres Zeichens Mitherausgeberin des Missy-Magazins. Denn das Gefühl der Wut ist oft Ursprung des Aktivismus, erklärt die 45-Jährige im Interview mit dem Zündfunk.
Dabei werde Frauen häufig die Berechtigung entzogen, überhaupt wütend zu sein. Und somit, Stichwort: Intersektionalität – also Mehrfachdiskriminierung – wird es Schwarzen Frauen fast unmöglich gemacht, zornig zu sein. In diesem Zusammenhang wird gern die Schwarze Dichterin Audre Lorde zitiert. Sie sagt, sie schreibe nicht über „‘weiße‘ Wut“. Auch andersrum würde das nicht passen: Wenn eine Person of Color einem weißen Publikum von traumatischen Erfahrungen berichtet und der damit verbundenen Wut, dann sei das, so Audre Lorde, reine Energieverschwendung.
Die Vielfalt der feministischen Bewegungen
Stefanie Lohaus, geboren 1978 in Dinslaken, gehört zur neuen Generation von Feminist:innen, sie ist seit den späten 2000er Jahren aktiv. Lohaus ist sich ihrer Privilegien ebenso bewusst wie sie Intersektionalität anerkennt und mitdenkt: „Natürlich habe ich eine gewisse gesellschaftliche Positionierung und auch sehr viele Privilegien. In Bezug auf Rassismus gehöre ich zu der privilegierten Gruppe, aber in Bezug auf Geschlecht natürlich nicht. Tatsächlich hat mich das durchaus vor einer Herausforderung gestellt. Ich habe versucht, die Vielfalt der feministischen Bewegungen darzustellen und wollte eben auch die Perspektiven von Personen einbeziehen, die marginalisierter sind. Eine Geschichtsschreibung, die diese Position nicht mit einbeziehen würde, wäre grob falsch.“
Temporär zusammenfinden
Stefanie Lohaus „Stärker als Wut. Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht“ ist bei Suhrkamp erschienen
Bild: Suhrkamp Verlag
Ihre Rückschau beginnt Stefanie Lohaus in den 80er Jahren: Thomas Gottschalk moderiert „Na sowas!?“ und in Westdeutschland gibt es keine Kinderbetreuung jenseits des Mittagessens. Mitte der 90er kommt dann über die USA die dritte Welle des Feminismus nach Deutschland, die Medien sprechen vom „Postfeminismus“. Später entwickelt sich der Netzfeminismus und der Queerfeminismus. Kein Wunder, dass wir heute nicht mehr von „dem Feminismus“ sprechen, sondern von verschiedenen „Feminismen“. „Wenn wir auf die 90er Jahre gucken, sehen wir, dass sich da ganz viele verschiedene, innerhalb der feministischen Bewegung marginalisierte Gruppen gegründet haben, also zum Beispiel migrantische, feministische Gruppen, auch schwarze, feministische Gruppen, jüdische, feministische Gruppen. Es gibt nicht das „Wir“ der weißen Frauenbewegung, das jetzt anerkennt, dass es vielfältig ist oder auch nicht, sondern es ist und war schon immer eine vielfältige Bewegung. Von Anfang an gab es immer Konflikte und Trennendes. Was ich mir wünschen würde, wäre, dass wir anerkennen können, dass wir nicht immer einer Meinung sein müssen. Aber dass man zumindest temporär für bestimmte Anliegen immer wieder respektvoll zusammenfinden kann“, so Lohaus.
Von den 4 Non Blondes bis zu Beyoncé
Beyoncé lieferte einen legendären Auftritt bei den MTV Music Awards 2014
Bild: picture alliance / Matt Sayles/Invision/AP | Matt Sayles
Das wäre dann eine Art „Teilzeit-Solidarität“ unter Feminist:innen. Stefanie Lohaus kennt sich nicht nur im feministischen Diskurs aus, sondern auch in musikjournalistischen Themen. So finden sich in ihrer Geschichte der feministischen Bewegungen seit den 1980ern auch einige Songs, die für bestimmte Feminismen zu richtigen Hymnen wurden. Wie beispielsweise „What’s Up“ von den 4 Non Blondes aus dem Jahr 1992. Oder Beyoncés „Flawless“ 2013, erklärt Stefanie Lohaus: „Beyoncé war Mitte der 2010er-Jahre natürlich eine ganz wichtige Person, die mit dazu beigetragen hat, dass Feminismus Pop wurde. Ich erinnere an die MTV Music Awards, wo „Feminist“ in großen Buchstaben hinter ihr stand. Und sie hat eben auch die intersektionale Perspektive eingebracht. Aber Beyoncé wurde auch kritisch besprochen. Belle Hooks etwa kritisierte das Marktförmige an dieser Art des Feminismus. Ich persönlich denke, dass wir diese Form der popkulturellen Vermittlung brauchen: Besser ein Mainstream-Feminismus, der etwas weichgespült ist, als gar kein Feminismus. Oder, als dass Feminismus eben total uncool ist. Und ich denke, Beyoncé hat da sehr entscheidend mit dazu beigetragen.“
Die Crème de la Crème der feministischen Aktivismusszene empfiehlt Stefanie Lohaus Buch: Mithu Sanyal, Anne Wizorek und Teresa Bücker. Ich schließe mich an – es ist eine klar gezeichnete Chronologie der Ereignisse der letzten 50 Jahre, an die wir uns erinnern sollten. Ist doch „feministische Erinnerungskultur“, wie Lohaus schreibt, längst mehr als bloß „Girlie-Pop“ und „auch gesamtgesellschaftlich von großer Bedeutung“. Sie wünscht sich zu Recht, dass „Feminist*in zu sein“ bald so selbstverständlich ist wie „Demokrat*in zu sein“.