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Fazialisparesen Wenn das Lächeln stirbt

Die Mimik starr, der Mundwinkel hängt, ein Auge schließt nicht mehr. Das sind typische Symptome einer "Fazialisparese". In Bayern erkranken daran jedes Jahr rund 3.000 Menschen. Die Ursache ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Doch es gibt Hoffnung das "verlorene Lächeln" wiederzugewinnen. "Gesundheit!" stellt Therapieansätze vor.

Von: Antje Maly-Samiralow

Stand: 18.09.2021

Faszialisparese | Bild: Screenshot BR

Es kommt ohne Ankündigung. Plötzlich ist eine Gesichtshälfte gelähmt: Das Auge schließt nicht mehr, der Mundwinkel hängt herunter, man kann nicht mehr lachen und im schlimmsten Fall auch nicht richtig sprechen. All das sind typische Folgen einer Fazialisparese, einer Gesichtslähmung. Und die kann jeden treffen.

"Jedes Jahr erkranken etwa 20.000 Menschen an einer peripheren Fazialisparese, die sich über Nacht plötzlich einstellen kann wie ein Schnupfen."

Prof. Dr. Stefan Jung, Facharzt für Neurologie, Marienhaus Klinikum, Dillingen

Bei einer Fazialisparese ist der Fazialisnerv geschädigt. Es handelt sich um den siebten Hirnnerv. Er entspringt im Hirnstamm und verläuft in jede Gesichtshälfte, wo er sich stark verzweigt. Über seine Äste steuert der Fazialisnerv die mimische Gesichtsmuskulatur.

Man unterscheidet zwei Arten von Gesichtslähmungen:

Zentrale Fazialisparese
Kommt es zu Schädigungen der für den Gesichtsnerv zuständigen Hirnareale, etwa infolge eines Schlaganfalls, einer Hirnhautentzündung oder eines Hirntumors, spricht man von einer zentralen Gesichtslähmung. In der Regel können Patienten mit zentraler Fazialisparese die Stirn bewegen (runzeln) und die Augen schließen.

Periphere Fazialisparese
Liegt eine Schädigung des Fazialisnervs nach Austritt aus dem Gehirn vor, spricht man von einer peripheren Gesichtslähmung.

Ursachen der peripheren Fazialisparese

"Eine periphere Fazialisparese kann hervorgerufen werden durch Nervenschädigungen im Rahmen der Schwangerschaft, durch Diabetes Mellitus. Sie kommt selten auch bei Multipler Sklerose vor, kann auch durch Borrelieninfektionen stattfinden, aber in den allermeisten Fällen findet man keine spezielle Ursache."

Prof. Dr. Stefan Jung, Facharzt für Neurologie, Marienhaus Klinikum, Dillingen

Weitere Ursachen sind unter anderem:

  • Infektionen mit dem Herpes Simplex Virus
  • Infektionen mit dem Herpes Zoster Virus
  • Mittelohrentzündungen
  • Tumorerkrankungen und -operationen etwa im Bereich der Ohrspeicheldrüse oder der Schädelbasis
  • Traumen infolge von Verletzungen oder Brüchen in Bereichen, durch die der Fazialisnerv verläuft - etwa des Felsenbeins
  • Kühle Zugluft kann zu Entzündungen des Gesichtsnervs führen
  • Seltene Syndrome, wie das Moebius-Syndrom sind ebenfalls mit Fazialisparesen vergesellschaftet (häufig beidseitig)

Hier ist nur eine Gesichtshälfte von der Fazialisparese betroffen.

Darüber hinaus gibt es auch angeborene Fazialisparesen. In ca. 60 bis 75 Prozent der Fälle können Mediziner keine konkrete Ursache für eine Gesichtslähmung ausmachen. Diese sogenannte idiopathische Form verläuft immer einseitig, das heißt nur eine Gesichtshälfte ist betroffen.

Behandlung

Sofern eine konkrete Ursache für die Entzündung oder Schädigung des Gesichtsnervs diagnostiziert werden kann, wird zunächst die Primärerkrankung behandelt, etwa Virusstatika im Fall einer Virusinfektion oder Antibiotika bei einer Mittelohrentzündung.

Liegt eine Entzündung des Fazialisnervs vor, wird diese in der Regel mit Cortison behandelt, um eine möglichst schnelle Abschwellung des Nervs zu erreichen und weitere Komplikationen zu reduzieren.

"Die Fazialisparese wird man möglichst frühzeitig mit Cortison behandeln. Man wird begleitend krankengymnastische Gesichtsgymnastik durchführen und auch gegebenenfalls logopädische Behandlungen erfolgen lassen, wenn die Artikulation infolge der Lähmung beeinträchtigt ist."

Prof. Dr. Stefan Jung, Facharzt für Neurologie, Marienhaus Klinikum, Dillingen

Pflege für das Auge

Sind der Lidschluss und die Blinzelfunktion gestört, kann das Auge austrocknen. Langfristig besteht die Gefahr der Erblindung. Daher muss das betroffene Auge unter allen Umständen befeuchtet werden. Die entsprechenden Medikamente sollten mit dem Augenarzt abgestimmt werden. Für die Nacht gibt es sogenannte Uhrenglasverbände. Sie sorgen dafür, dass das geöffnete Auge in einem feuchten Biotop ruht und so auch während des Schlafs feucht gehalten wird.

Prognose

In den meisten Fällen klingen spontane Gesichtslähmungen wieder ab. Bei rund 70 Prozent der Betroffenen regeneriert sich die Mimik vollständig. Aber es gibt nicht wenige Menschen, bei denen die mimischen Funktionen nicht vollständig zurückkehren.

Operationen zur Wiederherstellung der Mimik

Dr. Andreas Kehrer aus der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie vom Klinikum Ingolstadt behandelt Patienten, deren motorische Mimik sich durch unzureichende Nervenregeneration und  Ausschöpfung konservativer Therapiemaßnahmen in der Frühphase (0 bis 6 Monate) nicht vollkommen erholt hat und die möglicherweise mit bleibenden Einschränkungen rechnen müssen. Er plädiert an Betroffene als auch betreuende Ärzte, nicht zu lange zu warten. Je länger eine Gesichtslähmung andauert, desto größer wird das Risiko, dass sich die mimische Muskulatur zurück bildet. Muskeln, die nicht aktiv sind, werden unwiederbringlich in Fettgewebe umgewandelt.

"In einem Zeitfenster von sechs bis maximal 18 Monaten nach Einsetzen der Gesichtslähmung können wir mit einer eleganten Operation, durch eine Nervenumlagerung und eine Nerventransplantation die noch bestehende Gesichtsmuskulatur wieder ansteuern und so alle 21 Muskeln retten."

Dr. med Andreas Kehrer, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, FEBOPRAS, Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Klinikum Ingolstadt

Nerventransplantate

Dazu werden Ersatznerven transplantiert, die idealerweise dem Unterschenkel entnommen werden. Dabei handelt es sich um Hautnerven, deren Entnahme kaum Narben hinterlässt. Solche Nerventransplantate verbinden den gesunden Fazialsnerv der nicht eingeschränkten Gesichthälfte mit den Muskeln der gelähmten Seite. Zusätzlich können auf der gelähmten Seite Äste des Kaumuskelnervs angezapft und mit der Muskulatur des Mund- oder Augenkomplexes verbunden werden.

Ein weiteres Operationsverfahren zur Erleichterung mimischer Funktionen ist das Implantieren von Platingewichten in das Augenoberlid und eine Straffung des Unterlides. Patienten, die das Auge nicht selbständig schließen können, wird durch solche Eingriffe der Lidschluss ermöglicht. Aufhängeplastiken, Straffungsoperationen und Brauenanhebungen können nicht nur das Erscheinungsbild wesentlich verbessern, sondern wichtige Funktionen des Gesichts wiederherstellen.

Gesichtsmuskulatur wandelt sich in Fettgewebe um

Die Fähigkeit Flüssigkeiten sicher in der Mundhöhle zu behalten (orale Kontinenz) kann beispielsweise zurückgewonnen werden. Ebenso können das Sprachbild und die Nasenatmung verbessert werden.  

Auch für Patienten mit einer angeborenen oder einer chronischen Gesichtslähmung bietet die plastische Chirurgie Möglichkeiten der Behandlung. Die hiermit verbundene Verbesserung des Selbstwertgefühls hat enorme Auswirkungen auf den Alltag der betroffenen Patienten. Häufig ist eine deutliche Steigerung sozialer Aktivitäten zu beobachten.

"Die Nerventransplantation und die Nervenumlagerung können wir bis zu einem Zeitpunkt von 18 Monaten nach Einsetzen der Parese durchführen. Dann ist die Gesichtsmuskulatur noch vorhanden. Nach 18 Monaten ist sie jedoch leider zu Fettgewebe umgewandelt. Aber auch dann können wir noch sehr gut helfen, indem wir zum Beispiel freie Muskeln transplantieren, beispielsweise vom Oberschenkel. Auch damit können wir gute Ergebnisse erreichen."

Dr. med Andreas Kehrer, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, FEBOPRAS, Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Klinikum Ingolstadt


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