Egon Schiele Ein ungeduldiges Genie
Bei manchen früh gestorbenen Künstlern fragt man sich, ob sie vielleicht geahnt haben, dass ihnen nicht viel Zeit bleiben würde. Egon Schiele zum Beispiel. Als er mit 28 Jahren an der Spanischen Grippe starb, hinterließ er ein erstaunlich umfangreiches Werk.
"EIN SELBSTBILD.
ICH BIN FÜR MICH UND DIE, DENEN
DIE DURSTIGE TRUNKSUCHT NACH
FREISEIN MIR ALLES SCHENKT,
UND AUCH FÜR ALLE, WEIL ALLE
ICH AUCH LIEBE, - LIEBE.
ICH BIN VON VORNEHMSTEN
DER VORNEHMSTE
UND VON RÜCKGEBERN
DER RÜCKGEBIGSTE
ICH BIN MENSCH, ICH LIEBE
DEN TOD UND LIEBE
DAS LEBEN."
(Egon Schiele 1910)
Wenn Schiele am Zeichnen gehindert wurde, war er kreuzunglücklich. Und wenn er für seine Verhältnisse nicht genug malen konnte, auch. Während seiner 24-tägigen Haft im Jahr 1912 fertigte er immerhin zwölf Aquarelle an, trotzdem schreibt er später: "Den Künstler hemmen, ist ein Verbrechen. Es heißt keimendes Leben morden".
Der gefangene Künstler
In Neulengbach, wo er mit seiner Geliebten Wally Neuzil wohnte, weil Wien zu grau und zu teuer war, suchte er sich seine Aktmodelle auch unter den minderjährigen Mädchen des Dorfes. Als eine 14-Jährige von zu Hause ausbüxte und bei Schiele übernachtete, zeigte ihn der Vater des Mädchens wegen Kindesentführung und Missbrauchs Minderjähriger an. Schiele kam für 24 Tage in Untersuchungshaft. Die Anklage konnte unter den Umständen nicht aufrecht erhalten werden, doch verurteilte man den 21-jährigen Maler zu drei Tagen Gefängnis wegen "Verbreitung unsittlicher Zeichnungen". Nach der Untersuchungshaft war die Strafe bereits verbüßt - es waren die traumatischsten dreieinhalb Wochen seines Lebens.
Der unbemittelte Maler
Schiele versuchte, wieder in Wien Fuß zu fassen. Er hatte Geldsorgen. Sein Freund und Förderer Arthur Roessler legte ihm daher nahe, es mit der Lithografie und der Kaltnadelradierung zu probieren. Damit könne er von seinen Arbeiten gleich mehrere Exemplare herstellen und entsprechend mehr verkaufen. Schiele hörte auf Roessler, war aber schlichtweg zu ungeduldig und ließ bald von den Techniken ab.
Der Künstler im Kriegsdienst
Der Erste Weltkrieg brach aus. Schiele erschien zu den Musterungen und wurde für untauglich befunden. 1915 aber musterte man ihn ein drittes Mal und zog ihn zum Militärdienst ein. Während seiner ersten zwei Wochen als Soldat in Prag kam Schiele kaum zum Malen. Die Situation besserte sich, als er zum Kanzleischreiber ernannt und nach Mühling geschickt wurde. Er fertigte Porträts von seinen Vorgesetzten an, zeichnete, malte. Aber das reichte ihm nicht, also beantragte er seine Versetzung ans Heeresmuseum in Wien. Der Antrag wurde genehmigt und dank des neuen Postens konnte Schiele wieder aktiv am Kunstgeschehen teilnehmen. 1917 war eines seiner künstlerisch ergiebigsten Jahre mit etlichen Ausstellungen und Plänen für eine Kunsthalle.
Der kurze Ruhm
Als sein Malerfreund, früher Förderer und außerdem der führende Künstler Österreichs, Gustav Klimt, im Februar 1918 starb, trat Schiele gewissermaßen sein Erbe an der Wiener Secession an. Zur 49. Jahresausstellung im März entwarf er das Plakat und zeigte 19 Ölgemälde, dazu Zeichnungen und Aquarelle. Mit dieser Werkschau gelang ihm der Durchbruch. Lange konnte er sich nicht an Ruhm, Geld und Nachfrage freuen. Nach dem Ersten Weltkrieg brach die Spanische Grippe aus und raffte große Teile der geschwächten Bevölkerung hinweg. Auch Egon Schiele. Am 31. Oktober 1918 starb er, drei Tage nach seiner schwangeren Frau Edith.