Albtraum Die Ungeheuer der Nacht
Verstecken, schnell! Da hinten kommt es angerannt, das mächtige Monster. Aaaah, jetzt holt es zum Schlag aus. Der sitzt, alles zu spät, tot, aus. Schweißgebadet reißt man im Bett die Augen auf. Was war das gerade? Nur ein Traum. Ein Albtraum. Der uns letztlich sogar gut tut.

Der Begriff Albtraum
Der Begriff wird auf Alben - Elfen aus der germanischen Mythologie - zurückgeführt. Sie sollen für Träume zuständig gewesen sein. Man stellte sich gern vor, wie sie auf der Brust des Schlafenden hocken - was auch die ältere Bezeichnung "Albdruck" erklärt.
Nicht nur mit 17 hat man Träume - mit 70 hat ein Mensch ganze sechs bis sieben Jahre einfach so verträumt. Rund 150.000 Situationen hat er bis dahin schlafend durchlebt. Und davon sicherlich nicht immer angenehme: Albträume quälen jeden ab und an, fünf bis zehn Prozent aller gesunden Erwachsenen leiden unter wiederkehrenden Albträumen, traumatisierte oder kranke Menschen noch viel häufiger. Nun beschäftigen sich auch immer mehr Neurowissenschaftler damit, was während eines Albtraums in unserem Kopf passiert - und warum wir "schlecht" träumen.
Albtraumforscher sammelt Träume und Gehirnscans
Patrick McNamara ist Neurowissenschaftler, Dozent der Psychiatrie der Universität Boston - und Albtraumforscher. Die verschiedenen grausamen Geschichten, die seinen Patienten den Schlaf raubten, brachten ihn auf eine Idee: Er fing an, Tausende Träume zu sammeln, auszuwerten und die Gehirnscans ihrer Urheber zu vergleichen.
Die nächtliche Panik ist kein Zufall
In fast allen Träumen tauchten unbekannte Wesen auf: Monster oder ähnlich unnatürliche, bösartige Kreaturen. Sie jagten die Träumenden und weckten eine existentielle Angst, die sie schweißgebadet und mit rasendem Herzen aufwachen ließ. McNamara ist sich sicher, dass diese Panik kein Zufall ist. Für ihn erfüllen Albträume einen bestimmten Zweck: Wie Fieber sind sie zwar nicht angenehm, aber wichtig für uns.
Nichts bewegt sich in der REM-Phase - nur die Träume
Solche Albträume treten fast immer während der sogenannten REM (Rapid Eye Movement)-Schlafphase auf: Das Gehirn ist hoch aktiv, während alle Muskeln entspannt sind, nur die Augäpfel rollen hinter den Lidern noch hin und her. Das ist nicht nur gut fürs Träumen, sondern auch beim Träumen: Dieses Außerkraftsetzen des Körpers verhindert, dass sich der Träumer beim Kampf mit dem Dämon verletzt.
Und manchmal schlägt sich sogar die Muskelentspannung selbst im Traum nieder: Wenn der Träumer vor dem Schreckgespenst fliehen will, aber wie festbetoniert stehen bleibt; wenn er um Hilfe schreien will, aber stumm bleibt; oder wenn ihm wahlweise das Monster oder die Angst davor die Luft zum Atmen nimmt. In der REM-Phase sind sogar die Atemmuskeln gehemmt, schnelles Atmen ist unmöglich. Die Biologie dieser Schlafphase kann das Durchlebte also noch verstärken - ein Albtraum im Albtraum.
Monster-Schlupfloch Amygdala
Aber wie schaffen es die Ungeheuer in unseren Kopf? In den Gehirnscans der Albtraumgeplagten konnte McNamara deutlich sehen, welche Gehirnregion beim Träumen besonders aktiv ist: Das limbische System, das für Emotionen verantwortlich ist. Besonders dem Teil, der als Amygdala bezeichnet wird, spricht er die Urheberrechte für die schlimmen Geschichten zu:
"Sie beherrscht negative Emotionen, besonders Angst. Ein Albtraum ist im Grunde der Verlust von hemmenden Mechanismen der verschiedenen Verschaltungen, die normalerweise Angst und Panik regulieren."
Patrick McNamara, Neurowissenschaftler an der Universität Boston/USA
Frauen, Kinder und Jugendliche träumen häufiger schlecht
Frauen zeigen eine größere Aktivität in der Amygdala - und leiden bis zu dreimal häufiger unter Albträumen als Männer. Am schlimmsten betroffen sind allerdings Kinder und Jugendliche. Karl-Heinz Brisch, Leiter der Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, ist der Ansicht, dass Kinder - genau wie Erwachsene - im Schlaf Wünsche, Sorgen, aber auch Ängste verarbeiten. Allerdings können Kinder noch nicht so gut mit Ängsten umgehen. Alles was neu und unbekannt ist, wirkt auf sie bedrohlich und kann zur Vorlage für nächtliche Horrorfantasien werden.
"Kinder im Vorschulalter haben oft einen Angsttraum, weil sie so viel aufnehmen und verarbeiten müssen. Das passiert nun mal im Traum. Das ist nicht aufregend, sondern eine gute Form der Bewältigung und relativ normal."
Karl-Heinz Brisch, Leiter der Kinderpsychosomatik im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München
Wer bin ich - und wenn ja, mit wie vielen Monstern?
Oft treiben Monster oder wilde Tiere in der kindlichen Fantasie ihr Unwesen. Albträume können aber auch einen realen Hintergrund haben - zum Beispiel Probleme im Kindergarten oder in der Schule oder die Trennung der Eltern. Kinder bis ins Grundschulalter leiden besonders unter Albträumen, denn sie können zwischen Traum und Realität nicht richtig unterscheiden. Sie können sich auch am Tag nicht von den Albträumen distanzieren. Deshalb ist es wichtig, mit den Kindern über das Geträumte zu reden oder sie das Geträumte malen zu lassen, damit sie es verarbeiten können. Aber auch Erwachsene müssen ihre Rolle, ihren Standpunkt im Leben, ihr Selbstbewusstsein hin und wieder überarbeiten und nachschärfen.
Das Gute im bösen Traum
Auf uns wirken Albträume bedrohlich, sind beängstigende Abweichungen einer uns bekannten Norm. Folgt man McNamara, sollten wir unseren Ungeheuern dankbar sein: Sie helfen uns, unsere Identität während des Schlafes zu festigen.
Interview mit Professor Dr. Michael Schredl, Traumforscher:
Der Albtraum als Gesundheitsrisiko
Wenn uns Albträume jede Nacht heimsuchen und quälen, kann es zu Schlafstörungen und dadurch tagsüber zu verminderter Leistungsfähigkeit bis hin zu Depressionen kommen. Auch für die Gesundheit können regelmäßige Albtraum-Attacken belastend sein. Durch die Träume kann es zu einer ständigen Blutdrucksteigerung kommen. Sind dann noch andere Risikofaktoren vorhanden - wie Arterienverkalkung, Rauchen oder Übergewicht - können die chronischen Albträume aufs Herz gehen und sogar zu einem Hirnschlag führen.
Therapie bei chronischen Albträumen
In so einem Fall ist therapeutische Hilfe wichtig. Es gibt ein Therapieverfahren, bei dem das Ende des Alptraums umgestaltet wird - die sogenannte Imaginary Rehearsal Therapy. Man stellt sich einen anderen, positiven Ausgang des Albtraums vor, schreibt ihn auf, geht die Version immer wieder mit seinem Therapeuten durch. Und irgendwann kann es gelingen, auch in der Traumversion diese neue Wendung einzubauen - einen Fluchtweg aus der vorher ausweglosen Situation zu finden.
Tipp: Möglichst entspannt zu Bett
Bei gelegentlichen Albträumen helfen einfache Rituale vor dem zu Bett gehen. Ob das heiße Milch mit Honig ist, ein Entspannungsritual, baden, lesen, spazierengehen oder die Beschäftigung mit anderen Dingen: Wichtig ist, mit anderen Gedanken ins Bett zu gehen, frei von Belastungen und Sorgen des Tages.