Warum gähnen wir? Und wieso ist Gähnen ansteckend?
Ihr seht jemanden gähnen und schon geht euer Mund auf und ihr müsst mitmachen? Gähnen ist tatsächlich ansteckend. Wie sehr, hängt von unseren Gefühlen ab.

Erst werden die Augen ganz fest zusammengekniffen, dann der Mund ganz weit aufgerissen - und dann wird herzhaft gegähnt. Einer macht's vor, die anderen machen's nach, oder? Forscher der Universität Pisa haben untersucht, ob Gähnen tatsächlich ansteckend ist. Dazu beobachteten die Wissenschaftler Elisabetta Palagi und Ivan Norscia über ein Jahr lang 109 Erwachsene aus Europa, Nordamerika, Asien und Afrika in ihrem gewohnten Umfeld. 480 Aktionen werteten die Forscher schließlich ganz genau aus.
Warum man gähnen muss, wenn andere gähnen
Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im Jahr 2011. Gähnen ist ansteckend, aber wie: Am häufigsten ließen sich die Untersuchungsteilnehmer innerhalb ihrer Familie vom Gähnen anstecken, danach folgten Freunde, dann Bekannte. Erst ganz zum Schluss reagierten sie auf das Gähnen von Fremden damit, es diesen gleichzutun. Auch Nationalität, Geschlecht und die jeweilige Situation spielten immer eine deutlich geringere Rolle als die emotionale Nähe zum Gähnenden. Sie löst nach Ansicht der Forscher die unbewusste Nachahmung aus.
Ansteckendes Gähnen - ein Zeichen von Empathie
Der Nachahmer-Effekt funktioniert aber nur, wenn die Empathie - die Fähigkeit, Gefühlsregungen anderer Menschen zu erkennen und darauf zu reagieren - bei einem Menschen ausgeprägt ist. Im Gehirn sind dafür unter anderem die sogenannten Spiegelneuronen zuständig. Kleine Kinder können sich nur in geringem Maß in andere Menschen hineinversetzen. Auch Menschen mit Störungen wie Autismus reagieren nicht oder nur eingeschränkt auf ihr Gegenüber. Sich vom Gähnen anstecken zu lassen ist also ein Zeichen von Empathie. Ohne diese könnten komplexe Gesellschaften nicht funktionieren.
Wie oft gähnen wir im Leben?
Ansonsten gibt es nur wenig wissenschaftliche Studien über das Gähnen. Dabei gähnen wir alle fünf bis zehn Mal am Tag, also 240.000 bis 250.000 Mal im Laufe unseres Lebens. Mensch und Tier gähnen spontan am häufigsten morgens nach dem Aufwachen und abends vor dem Schlafengehen. Menschliche Föten gähnen schon im Mutterleib ab der elften Schwangerschaftswoche.
Gähnen - tierisch ansteckend
Schimpansen ahmen nach, wenn Menschen gähnen
Auch Schimpansen gähnen genüsslich mit, wenn's ihnen der Mensch vormacht. Der Verhaltensforscher Frans de Waal und sein Kollege Matthew Campbell spielten den Tieren Videos von gähnenden Menschen vor. Einige der Menschen kannten die Schimpansen bereits, andere hatten sie noch nie zuvor gesehen. Sowohl von den vertrauten als auch von den unbekannten Menschen ließen sich die Tiere zum Maulaufreißen und Augenzukneifen verführen. Aus Empathie, schlussfolgerten die Forscher im März 2014.
Mitgähnen aus Mitgefühl
Alphamännchen gähnen häufiger
Auch Hunde und sogar Schlangen gähnen
Gähnen im Wolfsrudel steckt an
Nutzt Gähnen dem Einzelnen oder der Gruppe?
Warum wir gähnen, ist bis heute nicht ganz geklärt. Zur Ursache gibt es zwei Gruppen von Hypothesen: Die eine Gruppe geht davon aus, dass das Gähnen eine individuelle Körperfunktion oder einen Körperzustand reguliert. Die andere Gruppe von Hypothesen nimmt an, dass das Gähnen eine Funktion in der sozialen Gruppe hat. Theoretisch können aber auch beide Funktionen gemeinsam auftreten.
Hat Gähnen etwas mit Sauerstoffmangel zu tun?
Nein, die Hypothese, Gähnen beliefere das Hirn mit einer Extradosis Sauerstoff, verwerfen Wissenschaftler heute genauso wie die Annahme, dass das Gähnen dem Druckausgleich im Innenohr diene. Skeptisch bleiben viele Gähnexperten auch bei der Hypothese amerikanischer Wissenschaftler, wonach Gähnen das überhitzte Gehirn abkühlt. Vieles spricht hingegen dafür, dass Gähnen eine soziale Funktion hat, wie es auch die Studie aus Pisa belegt.
Sendungen zum Thema Gähnen und Körpersprache
- Warum Gähnen ansteckend ist: BAYERN 1 am Morgen, 7.11.2023, 5:05 Uhr
- "Gähnen kühlt das Gehirn": nano, ARD alpha, 25.08.2021, 17:45 Uhr
- "Warum hält man sich beim Gähnen die Hand vor den Mund?" Checker Can Quick Check, BR, 12.02.2021
- Körpersprache: aktiv & gesund, BR, 22.01.2021, 14:15 Uhr
- Gähnen - Warum gähnen wir eigentlich? Was wir noch nicht wissen | Wissenschaft und Technik, ARD alpha, 03.07.2021, 16.45 Uhr
- Körpersprache richtig deuten: Wir in Bayern, BR, 20.10.2020, 16:15 Uhr