Auf diesem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichten Foto gibt Wladimir Putin (l), Präsident von Russland, Ebrahim Raisi, Präsident des Iran, während ihres Treffens im Kreml die Hand.
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Russland und Iran: ein gemeinsames Interesse für Eskalation in Nahost?

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"Russland hat ein Interesse daran, dass Iran für Unruhe sorgt"

Seit dem Angriff Irans auf Israel droht die Lage in Nahost zu eskalieren. Experten fürchten einen Flächenbrand, weil sehr viele Staaten nach und nach involviert werden könnten. Ein Expertengespräch über die internationalen Verwicklungen.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Bereits unmittelbar nach dem iranischen Angriff mit mehr als 330 Drohnen, ballistischen Raketen und Mittelstreckenraketen auf Israel ließ Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant in einem Telefonat mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin keine Zweifel aufkommen: Darauf werde Israel mit Sicherheit reagieren. Die Gewaltspirale könnte sich immer weiterdrehen, die Lage droht zu eskalieren.

BR24 hat für "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) mit Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik, gesprochen, ob wirklich die Gefahr eines großen Krieges, womöglich eines Weltkrieges droht, welche Konsequenzen sich aus der Eskalation für Deutschland und die EU ergeben und was Russland für Interessen in Nahost verfolgt.

BR24: Was würde das bedeuten, wenn der Konflikt zwischen Iran und Israel weiter eskalieren würde?

Thomas Jäger: Wenn Israel und der Iran offen Krieg miteinander führen, wäre das erstmal eine Katastrophe. Es würde die Märkte in Unruhe versetzen. Es würde sofort Auswirkungen in alle Wirtschaftsbereiche haben. Und es würde im Mittleren Osten alle Staaten sofort auf den Plan rufen. Und das ist der Grund, weshalb eben viele daran arbeiten, das einzudämmen; nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch arabische Staaten, die darauf dringen, dass genau das nicht geschieht.

"Krieg zwischen Israel und Iran unwahrscheinlich"

BR24: Also ist die Angst vor einem Weltkrieg unbegründet?

Jäger: Ein offener Krieg zwischen Israel und dem Iran ist nicht nur unwahrscheinlich. Es wäre auch nicht der Auslöser für einen Weltkrieg. Denn die Mächte, die hinter diesen beiden Staaten stehen, auf der einen Seite die USA und auf der anderen Seite China und Russland, haben daran kein Interesse und allein aus eigener Kraft können das Iran und Israel nicht bewirken, dass es dazu kommt, dass sich dieser Krieg so ausweitet. Insbesondere der Iran setzt militärische Mittel zum politischen Zweck ein und da braucht er ein gewisses Eskalationsniveau. Aber es darf nicht darüber hinausgehen.

Die Rolle der USA in Nahost

BR24: Welche Rolle spielen die USA in diesem Konflikt?

Jäger: Die Vereinigten Staaten haben momentan ein sehr gespanntes Verhältnis zu Israel, nicht nur zur Regierung Netanjahus, sondern auch, weil sie in den beiden Konfliktfeldern, die momentan dominant sind, ganz unterschiedliche Interessen vertreten. Auf der einen Seite versucht die amerikanische Regierung, die israelische Regierung dazu zu bringen, den Krieg in Gaza zurückhaltender zu führen, die Zivilbevölkerung besser zu schützen. Und hier hat man gesehen, dass Spannungen zwischen beiden Regierungen aufgetreten sind, weil die Unterstützung der USA nicht mehr felsenfest war.

Das wird anders, wenn man auf den Iran schaut. Hier ist die Unterstützung der USA felsenfest. Es wird in Washington nicht zugelassen, dass der Iran Israel angreifen kann, ohne dass die Amerikaner sich mit einmischen, dass sie eben in die Verteidigung mit eingreifen. Und das ist auch notwendig. Die amerikanischen Streitkräfte haben einen erheblichen Teil der anfliegenden Drohnen und Marschflugkörper abgeschossen. Israel braucht für diesen Konflikt die Unterstützung der USA, nicht nur mit den Streitkräften vor Ort, sondern auch, was Munitionslieferungen angeht. Und deshalb ist das amerikanische Wort in dieser Frage von größerem Gewicht und wird sich die Regierung in Israel nicht dagegenstellen, anders als das in den letzten Wochen im Konflikt in Gaza der Fall war.

Im Video: Iran-Israel - Lassen sie die Lage in Nahost eskalieren? Possoch klärt!

Die Rolle Russlands in Nahost

BR24: Welche Interessen hat Russland in Nahost?

Jäger: Russland ist inzwischen ein strategischer Verbündeter des Iran. Solange beide in Syrien Krieg führten, waren sie zwar auf einer Seite, aber mit ganz unterschiedlichen Interessen. Inzwischen ist die Interessenlage noch weiter zusammengewachsen, und Russland hat ein Interesse daran, dass der Iran im Mittleren Osten für Unruhe sorgt, dass er die Vereinigten Staaten hier bindet, was Militär angeht, was Munitionslieferungen angeht, was Aufmerksamkeit angeht, weil das alles von Russlands Krieg in der Ukraine ablenkt und die entsprechende Aufmerksamkeit und Unterstützung eben dort nicht landen.

Russlands Interesse ist ein ganz ähnliches wie das des Irans. Und das verbindet eben auch Russland, Iran und letztlich auch China miteinander. Alle drei verfolgen das Ziel, die Vereinigten Staaten aus ihrer Nachbarregion zu vertreiben. Der Iran will die USA aus dem Mittleren Osten raus, Russland will die USA aus Europa und China will sie aus dem Pazifik raus haben. Das ist aus der Sicht aller drei Staaten die Vorbedingung dafür, regional bedeutungsvoller zu sein und die regionale Vormacht zu werden. Das streben alle drei Staaten an.

Bei Israel ist "Europäische Union völlig zerstritten"

BR24: Putin hätte also einen Vorteil durch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Iran und Israel?

Jäger: Für Russland könnte die Eskalation im Mittleren Osten noch etwas höher sein. Russland hätte ein Interesse daran, dass es hier wirklich zu einer militärischen Auseinandersetzung kommt. Für Russland wäre es sicher bedeutsamer, die Amerikaner hier noch mehr zu binden und dafür zu sorgen, auf diese Art und Weise wieder Keile in die Nato zu treiben. Denn wenn es um die Verteidigung der Ukraine geht, da sind die Europäer doch relativ geschlossen mit den USA aufgetreten; Ungarn als Abweichler, aber ansonsten eine relativ geschlossene Front. Das sieht bei Israel ganz anders aus. Da ist die Europäische Union völlig zerstritten und da bekäme man auch in der Nato so schnell keine Einigkeit hin.

Im Audio: Interview mit Thomas Jäger

Ein Mann mit Brille, Anzug, Krawatte und längerem grauen Haar vor einer Bücherwand: Es ist Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik
Bildrechte: Screenshot BR24
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Thomas Jäger im BR24-Interview: "Für Russland könnte die Eskalation im Mittleren Osten noch etwas höher sein."

"Krieg ändert sofort den Preis an der Tankstelle"

BR24: Welche Konsequenzen hätte eine weitere Eskalation in Nahost für Deutschland?

Jäger: Wenn es zu einem Krieg im Mittleren Osten kommt, ändert das hier sofort den Preis an der Tankstelle. Der Ölpreis würde nach oben schießen, viel weiter, als er das jetzt schon getan hat. Das zweite ist, dass es in der Europäischen Union weiter Streit darüber gäbe, wie man den Konflikt und die Auseinandersetzung im Mittleren Osten bewerten muss. Diplomatisch oder darüberhinausgehend, insbesondere mit Fragen der Sicherheit, könnten weder Deutschland noch die Europäische Union Einfluss nehmen. Aber sie wären von dem Konflikt und seinen Auswirkungen betroffen. Es ist die Nachbarschaft der Europäischen Union, aber sie könnte wenig tun. Sie müssten das hinnehmen, was da kommt.

Unberechenbarer Iran?

BR24: Wenn es also um unsere Sicherheit geht, ist der Nahe Osten genauso wichtig wie die Lage in der Ukraine?

Jäger: Die Gewalt im Nahen Osten hat deshalb eine andere Qualität, weil hier mit Israel eine Nuklearmacht mit in der Konfliktkonstellation ist und weil mit dem Iran eine Macht dabei ist, die religiös-ideologische Ziele verfolgt, die mit einer ökonomischen oder allein politischen Rationalität nicht zu begreifen sind. Hier sind Akteure, die von den Fähigkeiten viel mehr aufbringen, die von der Ideologie viel unberechenbarer sind und die über eine inzwischen langgehegte Feindschaft verfügen.

Es ist eine Konfliktkonstellation, die volatiler ist, als das zwischen Russland und der Ukraine und ihren Unterstützern der Fall ist, weil hier mehrere Staaten eingreifen könnten. Deshalb ist die Gefahr größer, dass es bei irgendwelchen Fehlkalkulationen aus dem Ruder läuft und deshalb ist es so wichtig, dass alle Seiten ihre Form der Kommunikation, die manchmal eben militärischer Natur ist, wirklich im Griff haben.

BR24: Danke für das Gespräch.

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