Report München


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Bandenkrieg in Stuttgart Eskalation der Gewalt

Messer, Schusswaffen und sogar eine Handgranate – seit zwei Jahren versetzt ein Bandenkrieg den Großraum Stuttgart in Angst und Schrecken. report München hat sich zusammen mit dem SWR über Monate auf Spurensuche begeben, Ermittler begleitet und mit Betroffenen gesprochen.

Von: Oliver Mayer-Rüth, Benedikt Nabben

Stand: 30.01.2024

Bandenkrieg in Stuttgart: Eskalation der Gewalt

Stuttgart, Mitte Januar.  Spezialkräfte der Polizei bereiten sich auf eine Razzia vor. Seit fast zwei Jahren bekämpfen sich in der Region zwei Banden mit Waffengewalt. Es gab mehrere Schwerverletzte. 

"Was wir meistens finden, sind Rauschgiftdelikte, die trifft man in der Regel immer an. Messer, gefährliche Werkzeuge auch. Ob wir Schusswaffen finden, können wir schlecht prognostizieren."

Swen Eckloff, Kriminalpolizei Stuttgart, stellv. Leiter

In Kürze rücken sie aus. Ein Team von Report München und dem SWR wird dabei sein. Rückblick: Schusswechsel, Messerstechereien, martialische Aufmärsche wie hier in Vaihingen, einem Stuttgarter Stadtteil. Sie rufen auf türkisch Intikam, das bedeutet Rache. Die Mitglieder der Banden sind multiethnisch, der harte Kern ist kurdischer Abstammung. Die Polizei benennt die beiden Banden nach den Gebieten, in denen sie die Vorherrschaft haben. Auf der einen Seite die Gruppe Esslingen/Ludwigsburg/Plochingen, auf der anderen Seite die Gruppe Stuttgart-Zuffenhausen/Göppingen. 

Attentat auf dem Friedhof

Altbach am Neckar. Eigentlich eine friedliche schwäbische Kleinstadt. Hier kommt es vergangenen Sommer zum Höhepunkt der Gewalt. Mitten auf dem Friedhof. Ein Mitglied der Bande Esslingen/Ludwigsburg starb bei einem Unfall. Viele Freunde sind hier, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. 

Dann erscheint ein Attentäter der verfeindeten Bande. Er holt eine Handgranate aus der Tasche und wirft diese Richtung Trauergemeinde. Sie prallt an einem Baum ab, verfehlt ihr Ziel. Dennoch: 15 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Bis heute sind die Altbacher geschockt. 

Passanten

"Schrecklich, wissen Sie, das ist unglaublich für unseren Ort. Ganz freundliche Ort."

"Was soll man da empfinden? Entsetzen, mehr nicht. Da gibts nichts anders. Da können Sie sich nur drüber entsetzen, dass sowas überhaupt passiert."

Vor Gericht gesteht der Handgranatenwerfer die Tat, schweigt aber zu Details. Der Prozess läuft noch. Die Polizei intensiviert die Ermittlungen und nimmt dutzende Gangmitglieder fest. Inzwischen insgesamt über 50 aus beiden Gruppen. 

Wer terrorisiert den Großraum Stuttgart?

Wir recherchieren monatelang. Wir sprechen mit Justiz und Anwälten, werten exklusive Dokumente aus und besuchen Gerichtsverhandlungen. Wer terrorisiert den Großraum Stuttgart? Wer sind die Bandenmitglieder? 

"Also diese beiden Gruppierungen sind eigentlich, was die Personen betrifft, relativ gleich. Wir sprechen im Regelfall von 18-28jährigen, vielleicht auch in Einzelfällen etwas älter. Es sind ausschließlich junge Männer und der überwiegende Teil hat Migrationshintergrund."

Markus Eisenbraun, Polizeipräsident Stuttgart

Aus Polizei-Kreisen erfahren wir: Die Ermittler sehen sich Musik-Videos ganz genau an. Der Rapper Eska soll mit Mitgliedern der Bande Esslingen Ludwigsburg in Verbindung stehen. In einem seiner Videos macht er das eiserne Schweigen gegenüber dem Staat zum Thema: "Egal ob tot oder lebendig, irgendwann musst du die Rechnung zahlen. Sie wissen, dass wir nicht reden und sie stellen uns Fragen."

In Eska Videos entdecken wir mehrfach junge Männer, die wir zuvor in einer Gerichtsverhandlung auf der Anklagebank gesehen haben. Beschuldigt sind sie wegen einer Schießerei. Er soll laut Staatsanwaltschaft geschossen haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wir finden heraus: Auch ESKA selbst saß wegen gefährlicher Körperverletzung im Gefängnis - mehrere Jahre. 

Die Razzia hat begonnen. Das Ziel: Eine Shishabar im Stuttgarter Norden. Die Ermittler sagen, es sei ein Treffpunkt der Bande Zuffenhausen/Göppingen. Zahlreiche Männer werden durchsucht und abgeführt.

"Wir haben 32 Personen festgestellt. Sie werden durchsucht, dann wird die Identität festgestellt. Weitere Ergebnisse kann ich noch nicht sagen, weil wir nacher noch mit Rauschgift- und Sprengstoffspürhunden reingehen."

Swen Eckloff, stellv. Leiter Kriminalpolizei Stuttgart.

Wie gefährlich die Zuffenhausener Bande ist, zeigte sich auch im vergangenen Frühjahr in der Kleinstadt Plochingen. Gegen 5:20 Uhr morgens taucht vor einer Shisha-Bar ein Kleinwagen auf. Vier Schüsse werden aus dem fahrenden Auto abgegeben. Der 34-jährige Inhaber der Bar wird leicht verletzt. Die Täter fliehen.

Verbindungen zu einem bekannten Rapper?

Auch bei der Zuffenhausen Bande interessieren sich Ermittler für Videos und Songs eines deutschlandweit bekannten Rappers. Sein Name: Dardan. In diesem Dardan-Video sind Bilder zu sehen, die offenbar Waffengewalt und Drogenhandel verherrlichen sollen.

Was ist Kunst? Was Realität?  Im Internet finden wir ein Foto mit Dardan. Er posiert mit jungen Männern im Freibad. Nach unseren Recherchen ist einer von ihnen wegen eines Gewaltdeliktes verurteilt. Ein weiterer stand vor Kurzem wegen einem Kilo Rauschgift vor Gericht.  

Stuttgart-Zuffenhausen. Hier hat Dardans Label Hypnotize seinen Sitz. Auf mehrfache Interviewanfragen gibt es keine Reaktion. Wir versuchen ihn persönlich zu treffen, wollen wissen: Alles nur Rap-Kunst oder hat er wirklich Verbindungen ins kriminelle Milieu. Bevor wir klingeln können, werden wir von jungen Männern angesprochen. 

Gespräch mit Passanten

Passant: "Doch doch, Aufnehmen, Aufnehmen."

report München: "Hier ist das Label von Dardan, kennt ihr den?"

Passant: "Ja, Hypnotize. Wollt Ihr den treffen oder was wollt ihr?"

report München: "Ja, wir wollten ein Interview machen mit dem. Was halten sie denn von den Schießereien?"

Passant: "Es könnte auch normale Passanten treffen, das ist schon scheiße. Aber ich denke, also es muss ja Gründe geben, dass man schießt. Wahrscheinlich machen die Jungs das … ich will es jetzt nicht hochloben, aber wahrscheinlich machen die Jungs das dann zurecht, würde ich jetzt sagen".

report München: "Um was geht's da? Geht's da um Drogenkriminalität?"

Passant: "Wahrscheinlich, sie gehen ja in die Gerichtsverhandlung rein. ich weiß nicht, was sagen die denn da aus? Wegen was sind die Leute denn angeklagt? Wahrscheinlich?"

report München: "Das Interessante ist, die sagen gar nichts aus."

Passant: "Echt, stramme Jungs. Jungs ihr seid stabil, bleibt so wie ihr seid."

Zweiter Anlauf - Keiner macht uns auf. Kein Treffen mit Dardan. Wir sehen uns ein weiteres Video an. In einem Song fordert Dardan Freiheit für zwei Männer in Haft: "Freiheit für M, Freiheit für U". Wir gelangen an die Urteile von M und U. Beide haben relativ hohe Haftstrafen bekommen. Es geht um jeweils mehr als 100 Kilo Drogen, um Verkaufserlöse von insgesamt über einer Million Euro. Trotz Dardans fragwürdiger Videos kann er als Coach bei einer Castingshow des Senders Pro Sieben auftreten. Auf Nachfrage bei Pro Sieben heißt es: "Dardan und seine Musik sind Teil deutscher Jugendkultur. Und werden hunderttausendfach gehört und gestreamt. Deswegen war er Coach bei The Voice Rap."

Zu wenig Polizeikräfte in Baden-Württemberg?

Waffengewalt, organisierte Kriminalität, begleitet von Rapmusik. Multiethnische Banden. Für die Stuttgarter Polizei eine große Herausforderung.

"Also ich glaub, dass es viel um das Thema Anerkennung und Ehre geht. Man hat da so ein bisschen falsche Vorbilder, da spielt auch das Thema Gangsta-Rap-Kultur, Kampfsport alles mit eine Rolle. Da wird Gewalt verherrlicht. Wir haben Überschneidungsbereiche zur klassischen Kriminalität. Da spielen sicherlich Betäubungsmittel eine Rolle, da spielen aber auch andere Straftaten eine Rolle. Da gibt es auch Teile in diesen Gruppierungen, die sich mit Kriminalität den Lebensunterhalt sicherlich verdienen."

 Markus Eisenbraun, Polizeipräsident Stuttgart

Das Landeskriminalamt sagt, die Ermittlungen haben ein für Baden-Württemberg noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht.

Der grüne Regierungschef Winfried Kretschmann hat sich bisher mit Kommentaren zum Bandenkrieg zurückgehalten. Die Polizeigewerkschaft kritisiert, es gebe zu wenig Polizisten im Land. Müsste es nicht viel mehr Polizeikräfte hier in der Region geben?

"Die Polizeidichte ist ein Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selber. Der Zweck ist die Sicherheit im Land und die Sicherheit in Baden-Württemberg steht nicht hinter der Sicherheit in anderen Ländern zurück. Ganz im Gegenteil."

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg

Ein Vergleich sämtlicher Landeshauptstädte inklusive angrenzender Landkreise zeigt: Der Großraum Stuttgart liegt bundesweit bei Schussabgaben im oberen Drittel. Gleichzeitig gibt es im Verhältnis zur Zahl der Einwohner nirgends so wenig Beschäftigte bei der Polizei wie in Baden-Württemberg. Die Regierung argumentiert, man habe bereits eine Einstellungsoffensive gestartet, die nun langsam Wirkung zeige. 

Zurück bei der Razzia. Mehrere Stunden befragen Polizisten Gäste der Szene-Bar, durchsuchen die Räumlichkeiten und Autos. 

"Wir haben Drogen festgestellt, unter anderem Kokain, illegales Glücksspiel und wir haben eindeutig der Szene zuzuordnende Personen angetroffen. Wir haben gezeigt, dass wir hier sind und jederzeit auch der Szene einen Schlag versetzen können."

Swen Eckloff, stellv. Leiter Kriminalpolizei Stuttgart.

Durchsucht und abgeführt wird auch ein Mann, der mehrfach in Dardans Videos zu sehen ist und mit dem der Rap-Musiker früher in einer Geschäftsbeziehung stand. 

Schusswaffen findet die Polizei diesmal nicht. Doch das kann schon bei der nächsten Razzia anders sein, sagen die Ermittler. Sie befürchten: Der Bandenkrieg im Raum Stuttgart ist noch lange nicht zu Ende. 


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Lars Einström, Dienstag, 06.Februar 2024, 14:45 Uhr

4. Eine zweite Bitte

Wem gebe ich mit solchen Beiträgen eigentlich eine Fläche?
Ich muss nur einmal unter den Beitrag des SWRs zu dem Thema der auf Youtube zu finden ist schauen und kriege Angst.
Hier reiht sich Rechtspopulist an Nazi an Abschiebeaufforderung.

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Lars Einström, Dienstag, 06.Februar 2024, 14:42 Uhr

3. Eine Bitte

Ich würde mich wirklich freuen, wenn die (und hier werfe ich ihnen etwas vor, zu dem sie gerne Stellung beziehen können) hauptsächlich alte und weiße Redaktion die hinter diesem Beitrag steht, sich in Zukunft vor dem Erstellen und verbreiten solcher Beiträge, zwei wichtige Kernfragen stellt:

1.Was ist Hip-Hop, woraus ist er entstanden, was ist die Historie hinter Straßenrap in Deutschland und welchen Hintergrund haben Menschen, die diese Kunstform ausüben? Dardan ist ein inzwischen erwachsener, vernünftiger Mann der trotzdem sein gesamtes Leben unter dem Druck gestanden hat, anders als die anderen zu sein, so geht es vielen Mitbürgern mit Migrationshintergrund in diesem Land. Das ebendieser Rapper sich nicht schutzlos mit einem Team aus männlichen, weißen Reportern zusammensetzen möchte, erscheint mir völlig verständlich. Der Künstler hat sich etwas aufgebaut, es aus der Armut rausgeschafft und trotzdem tritt ihr Team hier einer, mir nicht verständlichen, Härte nach ihm. Fair???

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Josef, Freitag, 02.Februar 2024, 16:00 Uhr

2. mangelhafte Analyse

Ich erwarte mir von einem politischen Magazin sehr viel mehr. Angemessene Analysen wären die Voraussetzung dafür, dass es einen zielführenden Diskurs gibt!

1.
Aussagen, wie "überwiegend Migrationshintergrund" zeigen deutlich, wo hier Ursachen gesucht werden. Was aber auf 100% der Täter zutrifft, wird nicht genannt: Armut. Wenn ein junger Mann aus einer gut situierten Familie stammt, hat ein Migrationshintergrund null Einfluss auf sein Risiko, eine kriminelle Karriere einzuschlagen. Anders ist es bei jungen Männern aus benachteiligten sogen. "biodeutschen" Familien. Der gemeinsame Nenner ist Armut, Benachteiligung, Macht- und Perspektivlosigkeit. Und nicht Migration!

2.
Wenn man über Gangsterrap berichtet sollte man - wie bei jedem Thema - über ein Minimum an Hintergrundwissen verfügen. Fragen wie "Ist das Kunst oder Realität?" zeigen das Gegenteil. Beides lässt sich nicht trennen. Kunst ist nicht nur im Rap auch Verarbeitung von Realität.

  • Antwort von Die Redaktion, Montag, 05.Februar, 11:22 Uhr

    Sicherheitsbehörden haben festgestellt, dass die beiden Banden weit mehr als 500 Mitglieder haben. Viele von ihnen haben eine schulische oder berufliche Ausbildungen abgebrochen, um einer kriminellen Karriere nachzugehen. Andere arbeiten und gehören dennoch zum Netzwerk. Die Einschätzung, Armut sei der Grund für den Einsatz von Schusswaffen, Messern oder den Verkauf von Drogen, ist pauschal so nicht richtig und zu kurz gegriffen. Das Argument, allein die sozioökonomische Herkunft sei das ausschlaggebende Motiv, um völlig unkontrolliert gewalttätig bzw. kriminell zu werden, ist wissenschaftlich und soziologisch bereits seit langer Zeit widerlegt und trägt zur Lösung des Problems nicht bei. Auch sogenannte "biodeutsche" Männer werden kriminell und schließen sich Banden an. Jahrzehntelang waren Motoradgangs wie die Hells Angels ein Beispiel für dieses Phänomen. Es gibt jedoch keine Erkenntnisse darüber, dass Kriminelle stets aus armen Verhältnissen stammen. (1/2) Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
    Kommentar-Richtlinien bearbeitet.

  • Antwort von Die Redaktion, Montag, 05.Februar, 11:23 Uhr

    Dass der überwiegende Teil aus Sicht der Polizei Migrationshintergrund hat, ist ein Faktum. Es hilft keinesfalls, dies zu verschweigen. Viel mehr stellt sich die Frage, ob es einerseits beim Thema Integration Versäumnisse gibt und andererseits die Polizei mit ausreichenden Mitteln ausgerüstet ist, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Eine Sorge der Sicherheitsbehörden ist übrigens das in den Musikvideos der im Bericht genannten Rapper vermittelte Bild von übersteigerter Männlichkeit und Gewaltverherrlichung.

    2. Die Frage, was ist Kunst und was ist Realität stellt sich sehr wohl, wenn Rap-Musiker Drogenhandel und Gewalt unreflektiert darstellen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Videos und Texte junge Menschen dazu animieren, ebenfalls Straftaten zu begehen. An dieser Stelle nochmals der Hinweis: die Autoren haben mehrfach die "Rap-Künstler" um Interviews gebeten, aber keine Antwort erhalten. (2/2) Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
    Kommentar-Richtlinien bearbeitet.

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Robbi, Mittwoch, 31.Januar 2024, 08:34 Uhr

1.

Das wird alles nicht gut enden.

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