Report München


4

Die grüne Krise Momentaufnahmen eines Absturzes

Es läuft nicht gut für die Grünen. Wahlniederlage folgt auf Wahlniederlage. Funktionäre der Grünen Jugend verlassen reihenweise die Partei. Hinzu kommt: Ausgerechnet Jungwähler wenden sich von den Grünen ab.

Von: Kirsten Girschick, Ulrich Hagmann, Maria Wölfle

Stand: 01.10.2024

Die grüne Krise: Momentaufnahmen eines Absturzes

Fast schon historisch wirken diese Aufnahmen - Omid Nouripour kurz vor der Wahl in Brandenburg. Am 18 September besucht er Eberswalde. Entspannt, gutgelaunt. Noch ahnt niemand, dass er sein Amt als Grünen-Parteivorsitzender bald aufgeben wird.

Wahlkampf-Endspurt

Omid Nouripour, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundestagsabgeordneter: "Wir haben hier gerade. Ich habe hier eine Hessin gefunden. Es gibt bei uns ein altes Lied. Auf dem Mars, auf dem Mond überall ein Hesse wohnt."

Passsantin: "Es gibt aber auch Brandenburger hier, überwiegend."

Omid Nouripour, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundestagsabgeordneter: "Ja natürlich überwiegend."

Nouripour will anpacken. Das ist im Wahlkampf-Endspurt auch notwendig. Aber die Meisten hier gehen am Grünen-Stand einfach vorbei:

"Die Grünen finde ich sehr fragwürdig."

"Ich halte auch nicht so viel von denen, weil gewisse Äußerungen von denen auch nicht so cool sind."

"Die Grünen können einfach kein 'social-media'. Das ist es. Früher war es die Zeitung und Zeitschriften und Fernsehen und heutzutage ist es alles über 'social-media' Kanäle."

Die Grünen verlieren vor allem bei der jungen Generation dramatisch an Zustimmung. Bei der jüngsten Europawahl haben sie bei den 16 bis 24-jährigen 23 Prozentpunkte verloren.

"Wir reden über eine Generation von Leuten, die ihr halbes Leben eigentlich im Krisenmodus waren, seit 2015 gab es keine Hallen mehr für Sport, dann gab es eine Pandemie. Und wir sind in der Regierung von uns wird mehr erwartet und dementsprechend schauen die Leute auch anders auf uns."

Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsabgeordneter

Oder sie gehen einfach vorbei. Nouripour hat viel Zeit mit den eigenen Leuten zu reden. Auch beim anschließenden Town Hall Gespräch wenig Interesse am grünen Parteivorsitzenden und der Brandenburger Spitzenkandidatin.

Vor allem junge Menschen wenden sich von den Grünen ab

Die Gründe dafür hat eine neue große Jugendwahlstudie untersucht.

"Am meisten hat uns überrascht, dass etwa 30 Prozent der befragten jungen Menschen Angst vor den Grünen haben."

Rüdiger Maas, Jugendforscher

Tatsächlich gaben 30 % der befragten Erstwähler im Osten an, Angst vor den Grünen zu haben. Im Westen 25%.

"Alles, was in der Regierung schlecht läuft, wird irgendwie aus der Sicht der Jüngeren immer den Grünen zugeschustert. Es hat viel damit zu tun, dass auch die Parteien außerhalb der AFD auch sehr stark eine Anti-Grünen-Welle fahren. Also die CDU der CSU sind auch sehr stark dabei, wo auch sehr, wenn man so will, auch so eine Verrohung der Sprache mitwirkt, bezogen auf die Grünen ja, und das wirkt halt dann auch sehr stark als Promotor für die AFD. Und ich glaube, dass es vielen Akteuren gar nicht bewusst."

Rüdiger Maas, Jugendforscher

Um bei den Jungen zu punkten haben die Grünen für den Wahlkampf-Endspurt in Brandenburg ein Video mit Omid Nouripour aufgenommen.

Jugendliche über Wahlkampf-Video der Grünen:

"Mich spricht es nicht an. Ich würde weiter scrollen."

"Ich glaube nicht, dass es gut ankommt bei irgendwelchen Leuten in meinem Alter."

"Das Video, was Sie beschreiben, ist mir sehr gut in Erinnerung, weil ich einfach nichts verstanden habe, irgendwelche Sätze nachgelabbert habe und sie dann gefragt habe, ob sie noch alle Tassen im Schrank haben. Also meine jungen Leute in der sozialen Medien, 'Social-Media-Abteilung' hier, die fanden das lustig, haben es rausgehauen und erzählen mir, dass das relativ gut läuft."

Omid Nouripour, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundestagsabgeordneter

Hass-Videos auf Social Media

In München untersucht die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl, wie Parteien "Social-Media" nutzen und welche Mechanismen dahinterstecken:

"Ich weiß nicht, ob das funktioniert, hat fast 20 000 Likes bekommen. Ist jetzt nicht so wenig."

Prof. Jasmin Riedl, Universität der Bundeswehr München

Ist 20.000 gut bei TikTok?

"Für den Anfang ist es gar nicht so schlecht, ja."

Prof. Jasmin Riedl, Universität der Bundeswehr München

Doch Anti-Grüne Hassvideos erreichen weitaus mehr junge Menschen.

"Was Sorgen, Angst, vielleicht auch Wut bei einem individuell auslöst, funktioniert enorm gut mit sozialen Medienplattformen. Rechtsaußen Parteien, eben auch die AFD, die müssen selber gar nicht so aktiv auf den Plattformen sein, weil die haben eine große Unterstützerschaft, die dann wiederum als Multiplikatoren wirkt."

Prof. Jasmin Riedl, Universität der Bundeswehr München

Die Wahl in Brandenburg geht krachend verloren. Die Grünen fliegen auch aus diesem Landtag.

Dabei wähnten sich die Grünen noch vor kurzem auf dem Weg zur Volkspartei. Getragen von Klimaprotesten lagen sie bei Wahlen teilweise satt über 20%.

"Wenn wir uns anschauen, welche Themen waren zur damaligen Zeit besonders präsent in den Medien, in der Öffentlichkeit, da war es vor allen Dingen die Klimapolitik. Aktuell ist es so, dass vor allen Dingen Kriminalität, Migration und danach sozusagen ökonomische Fragen enorm im Fokus stehen. Das ist etwas, wofür die AFD einfach das sogenannte Issue Ownership hat. Also die hat, die besetzt dieses Thema und kriegt damit die Leute dann auch entsprechend mobilisiert."

Prof. Jasmin Riedl, Universität der Bundeswehr München

Am Mittwoch vergangener Woche dann der Paukenschlag. Die Vorsitzenden der Grünen kündigen ihren Rücktritt an:

"Es war uns eine große Ehre dieser Partei zu dienen, vielen Dank."

Ricarda Lang, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundestagsabgeordnete

"Danke."

Omid Nouripour, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundestagsabgeordneter

Der Rücktritt überrascht die Öffentlichkeit, aber auch das grüne Spitzenpersonal wie Anton Hofreiter. Der Vertreter des linken Flügels wirkt plötzlich sehr nachdenklich.

"Wir haben in der Migrations- und Klimapolitik Fehler gemacht. Der Umgang mit dem Gebäudeenergiegesetz, des Weiteren in der Migrationspolitik haben wir insbesondere in der Hinsicht Fehler gemacht, dass da in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck entstanden ist, die Grünen wären dafür einfach die Grenzen aufzumachen und jeder kann kommen, wie er will. Bei der Migrationspolitik müssen wir stärker wieder die Deutungshoheit darüber gewinnen, was wir da wirklich tun."

 Anton Hofreiter, B'90 / Die Grünen, Vorsitzender Europa-Ausschuss

München, eine grüne Hochburg. Hier gewann die Parteilinke Jamila Schäfer das erste Bundestags-Direktmandat in Bayern.

Sie will erneut antreten. Es ist das erste große Zusammentreffen der Münchner Parteibasis nach den verlorenen Wahlen im Osten und dem Rücktritt des Parteivorstandes. 

Münchner Parteibasis

Jamila Schäfer, Bündnis 90 / Die Grüne, Bundestagsabgeordnete: "Wir sind doch die Partei, die den Leuten keinen Mist erzählt. Die einen verbreiten Angst und wir machen Hoffnung."

Sie versuchen optimistisch zu sein auch wenn es schwerfällt.

Nicole Bartsch, Grüne München: "Für mich ist es ja nicht die erste Krise. Ich mache das ja schon ganz lange."

Anton Heine, Grüne München: "Das jetzt grüne Positionen, wie sagt man das so, ein bisschen immer mal wieder Gegenwind kriegen ist jetzt wirklich null eine neue Erfahrung also gerade jetzt hier in Bayern."

Albert Maier, Grüne München: "Also, ich glaube, wir stellen uns alle die Frage, was, was machen wir falsch? Was läuft falsch auch mit dem Austritt des Vorstands der Grünen Jugend? Wie gehen wir damit um?"

Neustart mit Habeck als Spitzenkandidat?

Berlin 30. September. Zukunftskongress der grünen Bundestagsfraktion. Eines scheint klar: Robert Habeck wird die Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen. Er will die Grünen weiter in die Mitte rücken, heißt es.

Zukunftskongress der grünen Bundestagsfraktion

Moderatorin: "Apropos Rollenbilder, würden Sie den Herrn Habeck in Ihre Mitte nehmen? In der Bundespolitik ist das die entscheidende Frage. Wo ist die Mitte?"

Robert Habeck: "Leicht links vom Tisch."

Robert Habeck: "Meine Idee ist, dass es eigentlich nur eines Kristallisationspunktes braucht, eines Ereignisses, eines Moments, damit sich diese positive Energie mal wieder materialisiert und bündelt."

Ein Neustart?

"Der Aufbruch, der davon ausgeht, beschert uns jetzt auch so einen kleinen Rückenwind. So ein bisschen vielleicht einen Kamala Harris-Moment."

Daniel Jochum, Grünen-Mitglied

Ausgerechnet Robert Habeck soll es jetzt richten. Der Mann, der mit seinem Heizungsgesetz den grünen Niedergang eingeläutet hat. Aber grün ist nun mal die Hoffnung.

Manuskript zum Druck

Manuskript als PDF:


4

Kommentieren