Report München


2

Deutschlands Erstwähler Wen schicken die Jungen ins EU-Parlament?

Erstmals dürfen bei der Europawahl in Deutschland auch Minderjährige ab 16 Jahren mitstimmen. Insgesamt können 4,8 Mio. junge Deutsche zwischen 16 und 22 Jahren zum ersten Mal ihre Stimme für Europa abgeben. Was bewegt diese Generation?

Von: Nadja Armbrust, Clara Westhoff

Stand: 21.05.2024 10:36 Uhr

Deutschlands Erstwähler: Wen schicken die Jungen ins EU-Parlament

Bei der Europawahl dürfen in Deutschland erstmals auch 16- und 17-Jährige wählen. Insgesamt haben wir hierzulande etwa 4,8 Millionen deutsche Erstwahlberechtige. Generation Z wurde einst als linke Klimawähler gesehen, nun wird gerätselt, ob sie diesmal deutlicher rechter wählen könnte als bei vorherigen Europawahlen. Das führte zuletzt zu vielen Berichten über junge Menschen. Unsere Reporterinnen Nadja Armbrust und Clara Westhoff haben mit ihnen gesprochen. In Erfurt in einem Jugendzentrum und einem Club und in Hamburg beim Graffiti sprayen. Was bewegt diese Wählergruppe, die für so viel Rätsel sorgt?

Kurz nach Mitternacht. Ein Club in Erfurt. Genau hier will ich mit jungen Menschen über die Europawahl sprechen. Kim hat erst vor kurzem von dieser Wahl erfahren.

"Ich bin nur über Instagram mal drauf gestoßen, weil eine Influencerin diesen Wahlomat gemacht hatte und meinte für die Europawahl ist das richtig gut und erst da hab ich mitbekommen: Oh, es sind bald Europawahlen, aber vorher hab ich das gar nicht so mitbekommen!"

Kim, 20

Kim ist 20. Damit gehört sie zur sogenannten Generation Z. Wie tickt die? Darüber wird seit langem spekuliert. Und inzwischen auch darüber, wie rechts diese Generation sei. 

Deshalb bin ich nach Erfurt, Thüringen, gefahren: In keinem anderen Bundesland war die AfD bei der letzten Europawahl 2019 unter jungen Menschen so stark: 16,8%. Ganz anders war es in Hamburg: Nirgendwo sonst in Deutschland haben so wenige junge Menschen die AfD gewählt: 2,3%

Auch ich bin unterwegs - zu einem Graffitiworkshop. Vorher anmelden muss man sich nicht und es ist kostenlos. So kann ich gleich hoffentlich mit möglichst unterschiedlichen jungen Menschen über die Europawahl sprechen. 

"Ich glaube, die Generation jetzt ist auch sehr einfach, möchte irgendwas anderes, möchte irgendwas anderes vom Leben."

Mailea, 17

Und später fahre ich noch nach Berlin. Stefan Merz untersucht das Wahlverhalten von Jungwählern.

In Erfurt erzählt mir Kim:  Noch weiß sie nicht, wen sie wählen wird. Die AfD nicht. Aber dass viele andere ihrer Generation das möglicherweise tun, überrascht sie überhaupt nicht. 

"Also ich habe das Gefühl, junge Menschen wollen sich ein bisschen abheben und ich glaube viele Menschen, die ja frustriert sind oder so ein bisschen gegen diese Norm streben, die sehen halt die AfD: so okay, die machen was ganz anderes als alle anderen, die sind so richtig kontrovers!"

Kim, 20

Ist das so? Stefan Merz, Wahlforscher von infratest dimap, warnt davor, Jungwähler als eine Wählergruppe zu betrachten. Vergangene Wahlen zeigen aber Gemeinsamkeiten: Jungwähler stimmen deutlich seltener für etablierte Parteien.

"Die Jungwähler nutzen tatsächlich den ganzen Stimmzettel, die wählen auch sehr viel kleine Parteien, die Ältere gar nicht auf dem Radar haben."

Stefan Merz, infratest dimap

Tatsächlich: Bei der letzten Europawahl wählten Jungwähler fast doppelt so häufig Kleinstparteien wie der Durchschnitt! Deutlich bekannter waren solche Bilder: Bei den letzten Wahlen stimmten junge Menschen überdurchschnittlich stark für die Grünen. Übersehen wurde dabei oft, dass auch eine andere Partei bei Jungwählern sehr erfolgreich war.

"Bei der letzten Bundestagswahl war zum Beispiel interessant, dass es der FDP gelungen ist, sehr stark Proteststimmen, insbesondere mit dem Corona-Thema, einzusammeln und das hat gerade bei den Jungwählern eben verfangen. Von daher wird das spannend sein, die FDP ist jetzt in der Bundesregierung mitverantwortlich für die Zustände im Land. Und viele der Protestwähler werden bei den nächsten Wahlen weitergezogen sein."

Stefan Merz, infratest dimap

Weitergezogen sein evtl. auch zur AfD?

"Ja, wir haben das bei den Landtagswahlen schon gesehen, dass ein erheblicher Teil der Protestwähler zu der AfD weitergezogen sind und das ist auch bei den Jungwählern ein zu erwartendes Muster."

Stefan Merz, infratest dimap

München. Hier wird diskutiert. Wie junge Menschen mit Politik auf TikTok erreichen? Martin Fuchs berät dazu Parteien. Viele hätten sich gar nicht um Jungwählerstimmen bei der Europawahl bemüht. Erst seit kurzem drängen Politiker auf TikTok. Und machen dabei einen entscheidenden Fehler.

"Fast jedes zweite Video, gefühlt, wo demokratische Parteien jetzt auf TikTok etwas produzieren, ist ein Abarbeiten an AfD, ein Bashen von AfD. Das funktioniert teilweise sehr gut, weil Bashing natürlich auf TikTok sehr gut funktioniert, aber es ist aber natürlich keine eigene Idee, nur um jemanden schlecht zu machen."

Martin Fuchs, Politikberater

Tiktok-Videos

Tiktok-Video der FDP: "AfD. Wie soll ich sagen... würg."

Tiktok-Video von Bündnis 90/Die Grünen: "Unser Land zuerst! Wer's glaubt?! Die AfD scheint ja viel zu machen. Aber Politik für Deutschland eher nicht". 

Tiktok-Video der SPD: "AfD lässt sich von Putin kaufen und will unsere Demokratie zerstören."

Tiktok-Video der CDU/CSU: "Und die AfD, sie macht sich hier wahlweise zum Täter oder zum nützlichen Idioten."

"Was ich wichtig finde, ist, dass man eigene, positive Ideen entwickelt, wie man aus der Krise rauskommt, wie man die Probleme von jungen Menschen, die sie als Probleme definieren, lösen möchte."

Martin Fuchs, Politikberater

Und wie nehmen junge Menschen das wahr? Wir fragen sie selbst. 

Wir fragen: Fühlst du dich von Parteien angesprochen?

Helene, 20: "Von manchen, nicht von allen. Und da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben."

Mailea, 17: "Ich glaube, die Politiker juckt das nicht so richtig."

report München: "Wie würden denn Politiker dich am besten erreichen?"

Aaron, 19: "Gute Politik machen."

Gregor, 19: "Ich denke, die richtigen Ansätze sollten zur richtigen Zeit auf den richtigen Medien sein."

Conrad, 21: "Also ich glaube, da würde jeder Social Media sagen und am Ende ist es das glaube ich auch. Das ist ja auch nicht mehr so, dass das nur für junge Leute ist."

Hamburg und Erfurt - vermeintlich unterschiedliche Städte - aber die Jugendlichen hier berichten das Gleiche: Sie fühlen sich von den meisten Parteien nicht angesprochen. Dabei gehören sie zu den 4,8 Mio. jungen Deutschen, die bei der Europawahl zum ersten Mal wählen dürfen. 

Manuskript des report-Films zum Druck

Manuskript als PDF:


2

Kommentieren