Das EU-Lieferkettengesetz Die Befürchtungen des Mittelstands
Die EU will Menschenrechte und Umweltstandards in der ganzen Welt schützen. Die EU-Lieferkettenrichtlinie wurde noch kurz vor der Wahl verabschiedet. Doch wer zahlt den Preis? Deutsche Mittelständler fürchten Bürokratie, Kosten und eine Klagewelle.
Baunach in Franken. Hier entwirft das mittelständische Unternehmen Edmund Lutz Mode. Viele Kleidungsstücke lässt der Geschäftsführer in Asien herstellen. Er verkauft die Ware an deutsche Einzelhandelskonzerne. Dieser Teil der Arbeit macht hier allen Spaß.
Doch bis das Oberteil bei seinen Abnehmern ankommt, muss das Unternehmen einen Berg an Formularen bearbeiten.
In der Textilbranche wird seit Jahren zunehmend darauf geachtet, dass Umweltstandards und Arbeitnehmerrechte weltweit eingehalten werden. Lutz' Kunden verlangen dazu umfangreiche Dokumentationen. Auch, um dem deutschen Lieferkettengesetz zu entsprechen. Immer wieder gebe es neue Anforderungen, so Thomas Lutz
"Man weiß halt nicht, was von oben im Kaskadeneffekt vom Konzern nach unten übertragen auf uns Mittelständler im Zweifelsfall negative Effekte haben könnte."
Thomas Lutz, Geschäftsführer
Konkret entsteht ein Kleidungsstück in mehreren Schritten. Das ist die sogenannte Lieferkette.
Sie umfasst alle beteiligten Firmen - auch im Ausland. Diejenigen, die die Faser herstellen, den Stoff weben oder stricken und das Kleidungsstück nähen. Ein mittelständischer Zulieferer verkauft schließlich das Produkt an Einzelhandelskonzerne. Und die müssen sorgfältig prüfen, dass zum Beispiel nirgendwo Kinderarbeit oder Umweltverstöße stattfinden.
In der Firma Lutz prüft und dokumentiert Jörg Weid, ob alle Vorschriften eingehalten werden. Und das für rund 500 Produkte im Jahr.
"Es sind zwischen 4 und 8 Stunden pro Produkt, vom Zeitaufwand her, damit alles eingegeben ist, dass das dann passt."
Jörg Weid, Mitarbeiter
Ob er das aktuelle Produkt bis Feierabend schafft, werden wir später sehen.
Kleine und mittelständische Unternehmen müssen sich unterdessen schon auf ein neues Bürokratie-Monster vorbereiten: Die sogenannte EU-Lieferketten-Richtlinie. Neu: die Klagemöglichkeit. So könnten zum Beispiel Näherinnen aus Bangladesch, die zu unbezahlten Überstunden gezwungen werden, gegen den großen Konzern klagen, der das T-Shirt schließlich verkauft.
Thomas Lutz befürchtet, dass Zulieferer in Mithaftung geraten.
"Was der Großkunde mit dem kleineren Zulieferer macht, das sind bilaterale Verträge. Da wird natürlich jeder versuchen, möglichst wenig Haftung bei sich im Haus zu halten. Klar wird der, der auf der Verpackung steht, die möglichen Klagen oder Beschwerden bekommen, bloß das wird die Kette durchgereicht."
Thomas Lutz, Geschäftsführer
Wahlkampf fürs EU-Parlament. Tiemo Wölken ist SPD-Abgeordneter. Er hat sich für die Einführung der EU-Lieferkettenrichtlinie stark gemacht und sagt, die Konzerne dürfen kleine und mittlere Unternehmen nicht in die Mithaftung nehmen.
"Kleine mittlere Unternehmen sind nicht im Anwendungsbereich. Die Weitergabe von Haftungsverpflichtungen haben wir ausgeschlossen und sorgen dafür, dass große Unternehmen ihre Verantwortung selber wahrnehmen. Und insofern glaube ich, dass wir in ein ausgewogenes Gesetz geschaffen haben."
Tiemo Wölken, SPD Europaabgeordneter
Macht es sich der SPD-Mann da zu einfach? Fachanwälte und Vertreter von Industrieverbänden gehen davon aus, dass große Unternehmen bei Klagen Kosten auf kleine und mittlere Unternehmen durchaus umwälzen werden.
"Große Unternehmen sind ja per se angehalten mit den kleinen Unternehmen ein umfassendes Vertragswerk abzuschließen, (...) und sicherlich wird es dort auch Normen und Bestimmungen geben, dass bei entsprechenden Verstößen auch eine entsprechende Haftung vereinbart wird."
Philipp Kärcher, Kanzlei Watson Farley & Williams
"Es kann sich auch durch die Zulieferketten ergeben, dass Haftung umverteilt wird und dann kann es auch kleine und mittlere Unternehmen treffen, die im Zweifel wenig Einfluss darauf haben, was ganz unten in einer Lieferkette passiert."
Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer Gesamtmetall
Das deutsche Lieferkettengesetz bietet bisher keine (zivilrechtliche) Klagemöglichkeit gegen Unternehmen - das wird sich jetzt ändern.
"Das Besondere des EU-Lieferkettengesetzes ist es natürlich, dass jetzt erstmals eine Klagemöglichkeit wegen Verstößen gegen Umwelt- und Menschenrechte geschaffen wird. Und wenn sich hiermit Geld verdienen läßt, wird wahrscheinlich auch eine entsprechende Klagewelle entstehen."
Philipp Kärcher, Kanzlei Watson Farley & Williams
"Die nächste Stufe ist, dass sich ausländische Rechtsanwaltskanzleien Fälle heraussuchen, die öffentlich skandalisieren und dann Klage erheben."
Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer Gesamtmetall
Zurück bei der Firma Lutz. Jörg Weid hat sein heutiges Bürokratie-Pensum gemeistert. Die EU-Lieferkettenrichtlinie wird ihm wohl ab 2027 noch mehr Arbeit bescheren.
"Des ist Bürokratie. Wo wir nicht drumherum kommen. Ist halt so. Da können wir nichts machen. Aber es sichert den Arbeitsplatz. Von daher, der Job ist sicher. Mit der Gesetzgebung ist das kein Problem."
Jörg Weid, Mitarbeiter
Thomas Lutz ist zuversichtlich, die neuen Herausforderungen zu schaffen. Doch viele Unternehmerkollegen zweifeln zunehmend.
"Also ich denke, viele sagen, das tue ich mir nicht mehr an, das ist too much. Auch von der Haftung und dem ganzen Kosteneinsatz."
Thomas Lutz, Geschäftsführer
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