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Sechs Jahre in türkischer Haft Der vergessene Deutsche

Mehr als sechs Jahre saß Patrick Kraicker aus Hessen in der Türkei in Haft. Nun erhebt er schwere Vorwürfe gegen die türkische Justiz: Er sei zu einem Geständnis gezwungen und im Gefängnis geschlagen worden. Wie plausibel sind die Vorwürfe?

Von: Ulrich Hagmann, Oliver Mayer-Rüth

Stand: 16.07.2024

Sechs Jahre in türkischer Haft: Der vergessene Deutsche

Über 6 Jahre hat Claudia Schmuck auf Ihren Sohn gewartet. Jetzt ist er endlich entlassen worden aus türkischer Haft.

"Ich hoffe, mein Sohn kommt gesund hier an. Ich kann ihn in die Arme nehmen und nachher mit nach Hause nehmen. Was soll ich dazu sagen? Der Albtraum hat ein Ende, und ich freue mich natürlich riesig."

Claudia Schmuck, Mutter von P. Kraicker

Mit 29 wurde Patrick Kraicker verhaftet, 6 lange Jahre hat er in türkischen Gefängnissen verbracht.

"Wahnsinn, Wahnsinn, mir fehlen auch ein bisschen die Worte. Ich habe in den sechs Jahren kein Deutsch gesprochen. Ich war halt in den ganzen 6 Jahren der einzige Deutsche. Ich hatte keinen Kontakt zu jemand anderen, genau genommen in den letzten zwei Jahren in Ankara war ich komplett alleine, Isolation, Isolationshaft, das war eine schwere Zeit."

Patrick Kraicker

Rückblick: Am Tag der Verurteilung im Herbst 2018 berichtet die Tagesschau ausführlich über ihn: "Ein türkisches Gericht hat einen 29- jährigen Deutschen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu einer Gefängnisstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten verurteilt." (Ausschnitt Tagesschau 26.10.2018)

Patrick Kraicker hat dem immer widersprochen. Niemals habe er habe sich einer Terrororganisation anschließen wollen. Er sei zum Wandern in die Türkei gekommen. Wie ist es wieder frei zu sein.

"Da ist für mich eine Neuheit, der Geruch, der Geruch, den ich rieche. Den hatte ich lange nicht mehr. Das Grün, die Blätter, die Leute, die vorbeilaufen, die Hunde, die Tiere. Ich habe gerade einen Vogel beobachtet, wie er da sein Essen weggenommen hat. Sehr vermisst alles, ja."

Patrick Kraicker

Er will über seine Erlebnisse in türkischer Haft sprechen. Im Interview mit report München. Wie schwer das für ihn ist zeigt sich, als ihm seine Mutter den Tagesschau-Bericht vom Tag seiner Verurteilung zeigen will:

Gespräch

Patrick Kraicker: "Ne kann ich nicht ankucken..."
Mutter:"Das sind noch so schwierige Sachen..."
Patrick Kraicker: "Sobald ich meine Mutter von damals seh in Videos..."
Mutter: "Das ist noch zu früh..."

"Das war in den letzten zwei Jahren was die Hölle als ich wurde psychologisch gefoltert. Ich wurde geohrfeigt. Es wurde in die Zelle gegangen, wenn ich angefangen habe, abends oder nachts zu schlafen, wurde dann  gegen die Zelle geschlagen, mit metallenen Gegenständen, dass ich nicht einschlafen kann."

Patrick Kraicker

Er kann diese Vorwürfe nicht beweisen hat keine Zeugen. Aber ist es plausibel, was er berichtet? In den letzten Jahren häufen sich Berichte und Warnungen über Menschenrechtsverstöße in der Türkei.

Das Anti-Folter-Komitee des Europarates, türkische Menschenrechtsorganisationen und der Ausschuss für Menschenrechte des Bundestages berichten von Folter und unfairen Prozessen. Ähnliches sagt auch Patrick Kraicker: Er sei entführt und mit verbundenen Augen ins türkisch-irakische Grenzgebiet geschafft worden.

"Dann wurde ich dann richtig geschlagen und auf Englisch, you fucking Terrorist, und während dessen immer geschlagen und in die Seite geschlagen. Ich war zum dem Zeitpunkt, so fertig. Das kann man sich nicht vorstellen, dass ich dann halt alles unterschrieben habe was sie mir vorgelegt haben."

Patrick Kraicker

Ein Geständnis. Die Türkei Expertin von Amnesty International Deutschland hat sich das Urteil genau angesehen.

"Ich kenne Patrick Kraicker nicht, und ich kann nicht sagen, was er gemacht hat oder nicht gemacht hat. Was man natürlich aus allem, was mir bekannt ist, an Dokumenten vorliegt, kann man nur sagen, dass es ein absolut unfairer Prozess war, in dem er verurteilt worden ist."

Amke Dietert, Türkei Expertin, Amnesty International Deutschland

Hat ihn denn die deutsche Botschaft in der Türkei unterstützt?

"Eine Sachbearbeiterin in Istanbul, die hat sich eingesetzt für mich. Die hat mir Klamotten geschickt, die hat mir Bücher geschickt. Die hat mir auf Briefe persönliche Briefe geschickt, nicht über die Botschaft. Mit der bin ich auch nach wie vor noch in Kontakt. Und als ich dann nach Annkara verlegt wurde,  hat sich alles geändert. Die haben zu wenig gemacht. Die hätten, die hätten da wesentlich mehr tun können, glaube ich."

Patrick Kraicker

Patrick Kraicker wurde konsularisch betreut. Zum Foltervorwurf äußert sich das Auswärtige Amt offiziell nicht. Und ganz allgemein und unabhängig vom Fall Kraicker fügt der Sprecher an:

"Wenn wir Hinweise hätten auf Haftbedingungen, die dergestalt sind, dass sie nicht hinnehmbar sind, dann würden wir so etwa gegenüber dem entsprechenden Staat und den entsprechenden Behörden thematisieren und ansprechen."

Christian Wagner, Sprecher Auswärtiges Amt

Endgültig aufklären könnten den Fall die türkischen Behörden. Eine Anfrage von report München bleibt jedoch unbeantwortet. Amnesty International hält die Aussagen für plausibel und verweist auf Berichte über:

"Misshandlungen in Gefängnissen, Schläge von Wärtern, also in einem Ausmaß, dass es zu Knochenbrüchen und Kopfverletzungen kommt."

Amke Dietert, Türkei Expertin, Amnesty International Deutschland

Seine Familie ist für ihn der größte Rückhalt.

"Aber es dauert halt noch ein bisschen. Noch bin ich nicht angekommen. So habe ich das Gefühl. Aber jetzt bin ich. Ich habe meine Mutter und mich, das ist für mich sehr wichtig."

Patrick Kraicker

Er hat schon wieder angefangen zu arbeiten, will eine Therapie und endlich wieder ein normales Leben führen.

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