Deutsche Wirtschaft in der Krise Die Zukunftssorgen des Mittelstands
Menschen verlieren ihren Job, werden in den vorzeitigen Ruhestand gedrängt, ihre Arbeitsverträge nicht verlängert. Für viele ist der Abstieg dramatisch; so wie in der bayerischen Industriestadt Schweinfurt. Experten verlangen eine Wende in der Wirtschaftspolitik.
So hat er sich das Ende nicht vorgestellt. Melvin Dolata, seit über 20 Jahren arbeitet er bei einem Automobil-Zulieferer in Schweinfurt in Nordbayern. Guter Job, gutes Geld. Jetzt werden in der Region Tausende von Stellen abgebaut. Auch Dolata ist betroffen.
Die Firma hat ihm einige Vorschläge auf den Tisch gelegt, um seinen Arbeitsvertrag frühzeitig zu beenden. Was erwartet er?
"…dass ich von dem Geld, was die mir jetzt angeboten haben, dass ich davon leben kann. Dass ich einfach davon leben kann, dass ich keine Angst haben muss, ja. Und das haben ja auch viele. Viele haben Angst."
Melvin Dolata, Industriearbeiter
Wenn er jetzt in Altersteilzeit geht, wie hoch ist dann seine spätere Rente? Soll er unterschreiben oder nicht? Das will er heute beim Sozialverband VDK klären.
"Es bestehen halt trotzdem Ängste, weil die Menschen sich überlegen müssen, welche der unterschiedlichen Varianten nehmen sie denn in Anspruch. Sei es jetzt ein Aufhebungsvertrag oder dass ein Alters-Teilzeit-Vertrag geschlossen wird oder dass man halt früher in Rente geht mit Abschlägen."
Martina Walter-Bagley, VDK-Geschäftsführerin
Regulär kann er 2030 in Altersrente gehen. Um wieviel würde seine Rente sinken, wenn er den Altersteilzeitvertrag unterschreibt. Das wird er gleich erfahren.
"Für mich ist halt wichtig, was ich netto auf die Hand bekomme und das, was ich ausgeben kann."
Melvin Dolata, Industriearbeiter
Automobil-Zulieferindustrie steckt in der Krise
Die Region rund um Schweinfurt ist ein Zentrum der Automobil-Zulieferindustrie. Die steckt in der Krise. Viele Firmen haben massiven Stellenabbau angekündigt. Was das bedeutet, zeigt sich wenige Kilometer mainaufwärts.
Die Kleinstadt Ebern lebt seit Jahrzehnten von der großen Fabrik am Ort. Hier werden vor allem Teile für Verbrenner-Modelle produziert. Deswegen auch hier: Stellenabbau.
Ulla Hofmann und ihr Sohn Tevin sind betroffen. Die alleinerziehende Mutter war 12 Jahre in der Fabrik. Der Sohn schließt dort gerade seine Ausbildung ab.
"Ich kenne den Betrieb halt, weil ich bin damit aufgewachsen. Meine Eltern haben da gearbeitet. Jeder wollte da rein. Und jetzt ist es halt sehr schnell bergab gegangen. Wirklich rasant."
Tevin Hofmann, Auszubildender Mechatronik
Noch versucht die Firma Beschäftigte mit freiwilligen Programmen und Abfindungen zum Gehen zu bewegen. Ulla Hofmann hat kürzlich einen Auflösungsvertrag unterschrieben.
"Die Leute, die jammern alle, und keiner ist mehr zufrieden. Und haben halt alle Angst. Also, die Angst ist groß. Was wird aus der Firma? Bleibt die überhaupt noch bestehen? Wenn die Firma jetzt quasi zumacht, dann bleibt auch nicht viel übrig. Dann kann ja sein, dass wir dann überhaupt nichts mehr kriegen."
Ulla Hofmann, Industriemechanikerin
Sorgen um die persönliche Zukunft und um die Region - Ulla Hofmann und ihr Sohn machen sich auf den Weg zu einer Versammlung des Betriebsrats.
Er hat die Versammlung einberufen: Thomas Werner, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende hat wenig Hoffnung. Er berichtet von Äußerungen der Führungsebene, wie:
"Bitte nennen Sie mir einen Grund, warum ich in Deutschland investieren soll. Es gibt keinen Grund. Es ist ein ‚High-Cost-Country', die Strompreise sind hoch, die Leute sind viel krank. Solche Sachen kriegt man da zu hören. Die Lohnkosten sind viel zu hoch."
Thomas Werner, stellv. Betriebsratsvorsitzender Valeo Power Divison
Solche Töne hört man hier nicht. Eine Wahlkampfveranstaltung der Grünen in Berlin vor ein paar Tagen. Wenig Selbstkritik an seiner Wirtschaftspolitik, Robert Habeck lobt lieber seine Klimapolitik.
"Und wir sind weit vorangekommen beim Ausbau der erneuerbaren Energien etwas, was wahrscheinlich niemand uns zugetraut hätte, dass wir 60 Prozent erneuerbare Energien erreichen."
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (Wahlkampfveranstaltung)
Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
In Nürnberg macht sich die Professorin und Wirtschaftsweise Veronika Grimm große Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
"Deutschland ist seit 2019 gar nicht gewachsen. Die EU insgesamt vier Prozent, die USA sogar zwölf Prozent. Also das zeigt schon, es ist was im Argen in Deutschland. Die Investitionen gehen auch runter. Die Auslastung in der Industrie ist schlecht und die Exporte ziehen nicht so an, wie das traditionell bei der Erholung der Weltwirtschaft der Fall war."
Prof. Veronika Grimm, Sachverständigen Rat für Wirtschaft
Der Vergleich der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts Deutschlands mit den USA zeigt: Deutschlands Wirtschaft wird abgehängt - schon in der Merkel-Ära. Nach dem Einbruch ab 2019 kommt die deutsche Wirtschaft nicht mehr in Schwung. Die der USA schon.
Das beobachtet auch Caroline Trips, Präsidentin der IHK Würzburg-Schweinfurt, Chefin eines Unternehmens mit 350 Angestellten. Sie ist unterwegs zu einem Treffen mit Unternehmerinnen und Unternehmern aus der Region:
"Sinn und Zweck ist es, zu motivieren, für Unternehmertum zu begeistern und für Deutschland zu kämpfen. Und die Unternehmer auch mal zu Wort kommen zu lassen, was ihre Sorgen, Nöte sind."
Caroline Trips, Präsidentin IHK Würzburg-Schweinfurt
Viele sind gekommen, zum Zukunftsmarsch. Es geht um Aufbruch und Optimismus. Aber auch darum was bremst: Hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie. Was halten sie von den Aussagen des Wirtschaftsministers?
"Ich glaube, wir haben im Wirtschaftsministerium so viele Gesetze, Verordnungen, europäische Verordnungen und so weiter umgesetzt, um das ganze Land wieder in Fahrt zu bringen, wie - ich behaupte jetzt mal frech, ohne das nachgelesen zu haben - kein anderer Wirtschaftsminister davor."
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
"Mein erster spontaner Gedanke ist, dass wir nicht unbedingt mehr Verordnungen und Gesetze brauchen, um die Wirtschaft anzukurbeln, sondern vielleicht eher das Gegenteil. Weniger Hindernisse durch Gesetze als mehr davon."
Anna Meusert, Wirtschaftsjunioren Schweinfurt
"Aus der Unternehmerinnenperspektive, wir könnten jeden Tag 10 Vorschläge machen, um 10 weitere jeden Tag abzuschaffen."
Christina Diem-Puello, Verband der Unternehmerinnen (in Deutschland)
Wird es da der Wirtschaft besser gehen?"
"Natürlich."
Caroline Trips, Präsidentin IHK Würzburg-Schweinfurt
"Definitiv, weil alleine die Zeit, die uns als Unternehmerinnen und auch das Geld dabei verloren geht, fehlt uns, um wieder ins Innovieren zu kommen, fehlt uns, unsere eigenen Ideen in unseren Unternehmen voranzubringen."
Christina Diem-Puello, Verband der Unternehmerinnen (in Deutschland)
Zahl der Insolvenzanträge seit 2021 bis Ende 2024 fast verdoppelt
"Im Wesentlichen ist es so, dass man sich nicht darauf einigen konnte, tatsächlich eine Reformagenda anzustrengen, die uns wieder voranbringt. Man braucht schon einen großen Wurf und man braucht auch konsequente Maßnahmen, auch in den sozialen Sicherungssystemen, auch mit Blick auf das Wachstum, dass Deutschland wieder vorankommt."
Prof. Veronika Grimm, Sachverständigen Rat für Wirtschaft
Für Melvin Dolata wird es jetzt ernst. Die VdK-Geschäftsführerin hat die Vorschläge für Altersteilzeit durchgerechnet. Im günstigsten Fall bekäme er, ab 2030 eine Nettorente von:
Gespräch bei der VdK
Martina Walter-Bagley, VDK-Geschäftsführerin: "Das wären also dann auf die Hand 1290 circa, was Sie dann im Monat hätten."
Melvin Dolata, Industriearbeiter: "Das ist nicht viel, ne?"
Martina Walter-Bagley, VDK-Geschäftsführerin: "Nein."
Melvin Dolata, Industriearbeiter: "Ich habe ja schon 1200 Euro Auslagen mit Versicherung, mit Miete und das Ganze, ne. Da hast du ein ganzes Leben lang gearbeitet und auf einmal, zack, nix."
In Ebern ist Thomas Werner der stellv. Betriebsratsvorsitzende auf dem Weg zum Gewerkschaftshaus. Hier haben sich Betroffene und Betriebsräte versammelt. Auch Tevin und Ulla Hofmann sind da.
"Wir haben uns in den letzten sieben, acht Jahren von der der Belegschaft halbiert."
Thomas Werner, stell. Betriebsratsvorsitzender FTE Valeo
Stimmen aus der Belegschaft
"Ganze Generationen unserer Familien haben da gearbeitet. Und mittlerweile hat man eigentlich schon wirklich, weiß nicht..."
"Also gestandene Mannsbilder sind fertig mit der Welt..."
"Die haben Tränen in den Augen, weil sie wissen, dass sie hier keine Zukunft mehr haben."
"Es sind ja jetzt nicht nur die Menschen, die bei uns arbeiten, sondern da hängt ja auch noch eine Familie hintendran. Da hängen Geschäfte dran in der Region."
Gerne hätten wir mit Robert Habeck über diese Problematik gesprochen. Aber er hat keine Zeit. Schriftlich weist sein Ministerium auf die erfolgreiche Bekämpfung der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hin. Zudem habe Habeck deutlich gemacht, dass weitere Schritte zur Belebung der Wirtschaft notwendig seien.
Ob Habecks Ansätze seinen Arbeitsplatz zurückbringen, bezweifelt Melvin Dolata. Er fühlt sich ausgegrenzt, abgestempelt. Früher war er Kampfsportler, hat eine Ehrenmedaille der Stadt Schweinfurt - daraus schöpft er Kraft.
"Ich muss wieder kämpfen. Ich muss wieder ran. Und das Beste draus machen."
Melvin Dolata, Industriearbeiter
Im Sport hat er gelernt: Nach Niederlagen gilt aufstehen und weiter machen.
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B, Donnerstag, 20.Februar 2025, 20:23 Uhr
6. Völlig daneben
Sehr einseitiger Bericht! Es wird nicht erwähnt das die Industrie Hundertausende Euros an jeden einzelnen Mitarbeiter als Abfindung zahlt. Das wäre wichtig in dem Beitrag gewesen. Die Arbeiter haben immer Fürstlich verdient plus Erfolgsprämie, Plus zusätzliche Altersvorsorge. Auch Dank ihrer starken Gewerkschaft. Da konnten viele andere Zweige nicht mithalten.
Die Automobilindustrie ist blind in die Krise gerannt. Elektromobilität verschlafen. Das wurde vor vielen Jahren versäumt! Da waren nicht die grünen Schuld!
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Die Redaktion, Donnerstag, 20.Februar 2025, 14:30 Uhr
5. Schweinfurt als Beispiel
Die Industriestadt Schweinfurt und die gesamte Region sind nur ein Beispiel für die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. Tatsache ist: Verbände und Experten fordern Reformen, um die Wirtschaft Deutschlands wieder voranzubringen. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
Kommentar-Richtlinien bearbeitet.
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W.Gerber, Mittwoch, 19.Februar 2025, 09:12 Uhr
4. Wirtschaft in der Krise
Hallo, die Krise der Autoindustrie und der Zulieferer sind ersteinmal von den Managern und dem abschöpfen von z.b.Quant,Schaeffler.,usw. das sind nur die bekanntesten .Die teure Energie: Stillgelegte Kraftwerke in der dunkelphase hochfahren um die energiekosten in den griff zu bekommen,wird verhindert durch ein Gesetz von Altmaier/Merkel CDU 2020.Reservekraftwerke erst über 4000Euro MWh der höchste Preis war 1000Euro MWh im Nvember 2024.Der Wirtschaftsminister ist handlungsunfähig durch den Finanzminister und die Klagen der CDU gegen den Haushalt vor einem Jahr.Die meiste Bürokratie entstand unter Merkel/Altmaier und die CDU sorri nicht mit Steinen schmeißen im Glashaus .Merz muß das auch noch lernen und Herr Söder auch!!
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Manfred Peter Willems , Mittwoch, 19.Februar 2025, 04:23 Uhr
3. Die Zukunftssorgen des Mittelstands
Der Bericht stellt die wirtschaftliche Krise in Schweinfurt als alleiniges Versagen von Bundeswirtschaftsminister Habeck dar – einseitig, politisch motiviert und faktisch verzerrt. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass auch der bayerische Wirtschaftsminister Herr Aiwanner sowie die bayerische Landesregierung mitverantwortlich sind. Entscheidungen auf Landesebene, wie die Blockade von Stromleitungen, die zu überhöhten Strompreisen führen, und langanhaltende strukturelle Versäumnisse in der Automobilindustrie, die seit Jahren bekannt sind, werden ignoriert. Es ist falsch, die Verantwortung ausschließlich auf einen Bundesminister abzuwälzen, wenn auf regionaler Ebene essenzielle Aufgaben nicht erfüllt werden. Zudem verschweigt der Bericht, dass schon unter der früheren Merkel-Regierung – etwa während der Amtszeit von Wirtschaftsminister Altmaier – ähnliche Probleme bestanden. Diese Berichterstattung vermittelt den Zuschauern falsche Informationen und verzerrte Fakten, was letztlich
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Jürgen Müller, Dienstag, 18.Februar 2025, 22:23 Uhr
2. Rezession in Deutschland
Was soll der Bericht über Schweinfurt bezwecken? Was soll Habeck tun?
Seit den späten 90er Jahren haben die Wirtschaftsvertreter die Signale ignoriert und sich politische Einmischung verbieten. Gewinne wurden nicht für Investitionen verwendet um zukunftsfähig zu werden. Jetzt wird ein Wunder verlangt von Politikern, um das eigene Versagen im "Weiter so" zu verbergen. Und Report macht mit. Schade
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