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Isaac Newton - Genie, Gelehrter, Wissenschaftler

Isaac Newton brachte mit seinen Erkenntnissen Mathematik wie Physik maßgeblich voran. Doch der englische Universalgelehrte war auch schwierig, er lag mit Freunden und Kollegen ständig im Streit. Autor: Lukas Grasberger (BR 2019)

Isaac Newton - Genie, Gelehrter, Wissenschaftler | Bild: picture alliance / Mary Evans Picture Library
22 Min. | 5.2.2024

VON: Lukas Grasberger

Ausstrahlung am 5.2.2024

SHOWNOTES

Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Irina Wanka, Stefan Merki, Carsten Fabian
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Florian Freistetter, Physiker und Autor „Newton – Wie ein Arschloch das Universum neu erfand";
Thomas Udem, Prof., Max-Planck-Institut für Quantenoptik;
Stefan Zieme, Wissenschaftshistoriker und Physiker, HU Berlin;
Stefan Geier, Astronom, Grantecan, La Palma

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

ZITATOR

„Ich weiß nicht, wie ich der Welt erscheinen mag; aber mir selbst komme ich nur wie ein Bub vor, der am Strand spielt und sich damit vergnügt, ein noch glatteres Kieselsteinchen oder eine noch schönere Muschel als gewöhnlich zu finden - während das große Meer der Wahrheit gänzlich unerforscht vor mir liegt."

SPRECHERIN

Sätze, die so bescheiden wie weise klingen. Überliefert sind diese Sätze von Sir Isaac Newton, dem bereits wohlhabenden und anerkannten englischen Naturforscher und Philosophen, am Ende seines Lebens. Doch Isaac Newton, dieser strahlende Stern, Fixpunkt und Orientierung für Generationen nachgeborener Naturwissenschaftler, hatte auch eine dunkle Seite: Streitsucht, Egoismus und die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, standen Zeit seines Lebens seiner intellektuellen Brillanz entgegen.

MUSIK kurz hoch  

SPRECHERIN

Der zwiespältige Charakter des 1643 geborenen Isaac Newton könnte in einer Kindheit begründet liegen, in der die unbeschwerten Momente am Strand wohl nicht die prägenden waren, mutmaßt der Physiker Florian Freistetter, der 2017 eine Biografie über Isaac Newton veröffentlicht hat. 

Musik aus

O-Ton 1 Florian Freistetter, Autor „Newton: Wie ein Arschloch das Universum neu erfand“

„...Man kann nur mit den biografischen Daten arbeiten, die´s gibt: Und da hat Newton tatsächlich eine schwierige Kindheit gehabt. Newton hat auch in seinen Tagebüchern geschrieben, wie schwer es für ihn war, mit seinem Stiefvater und seiner Mutter klarzukommen.“

Musik

SPRECHERIN

Er habe Mutter und Stiefvater Smith bedroht, sie samt ihrem Haus anzuzünden, notierte der junge Newton in seinem Tagebuch. Dieser Furor dürfte auch damit zu tun gehabt haben, dass seine Mutter und sein Stiefvater Isaac Newton zur Großmutter abgeschoben hatten. Ein traumatisches Erlebnis für das Kind sieht darin der US-Wissenschaftshistoriker Richard. S. Westfall. Wahrscheinlich sei es diese Abwesenheit an elterlicher Zuwendung gewesen, schreibt Westfall in seiner Newton-Biografie, welche ihn zu einer extrem neurotischen Persönlichkeit gemacht habe, die sich – zumindest in ihren mittleren Jahren – permanent am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegt habe. 

MUSIK 

SPRECHERIN

Nach dem Tod des Stiefvaters kam der nunmehr zehnjährige Isaac zurück in sein Elternhaus im mittelenglischen Dorf Woolsthorpe. Die zweifache Witwe Newton – Isaacs Vater war bereits vor seiner Geburt gestorben – hoffte, der Sohn würde das familieneigene Bauerngut übernehmen. Doch längst hatte ein anderes Erbe das Interesse des Buben geweckt: Sein Stiefvater, ein Dorfpfarrer, hatte eine umfangreiche Hausbibliothek hinterlassen. Der kleine Isaac zog sich gerne in die Welt der Bücher zurück. Und während andere Kinder gemeinsam im Wald herumtobten, grübelte Isaac Newton über Konstruktionszeichnungen, entwarf eine Windmühle, die auch tatsächlich gebaut wurde, oder ließ - allein in seinem Zimmer – eine Maus eine Tretmühle antreiben. 

O-Ton 2 Freistetter

„Man kann das schon so ein bisschen vergleichen auch mit diesem Klischee des sozial unfähigen Nerds, das ja heute immer noch in der Welt existiert“  

SPRECHERIN

...sagt der Newton-Biograf Florian Freistetter. Als Naturwissenschaftler hält er wenig von allzu psychologisierenden Deutungen – zumal nach so langer Zeit. Vielmehr habe ein Zusammenspiel an äußeren Umständen und innerem Entdeckerdrang Isaac Newtons Lebensweg in eine bestimmte Richtung gelenkt.  

O-Ton 3 Freistetter

„Diese große Neugier. Dass das dann noch durch die Isolation seines familiären Hintergunds vielleicht noch verstärkt wird. (…) Solche Charaktere, die vielleicht aus welchen Gründen auch immer ein bisschen Probleme haben mit der Gesellschaft, ein bisschen Probleme haben, sich anzupassen, die vielleicht eher 

allein sein wollen, ihr Ding machen: Die finden in der Wissenschaft, damals vermutlich, und heute immer noch, so ne Art geschützten Raum. Weil´s im Wissenschaftsbetrieb eben vor allem darauf ankommt, was man weiß.“

SPRECHERIN    

Der geschützte Raum, in dem Isaac Newton seine weitreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ausbrüten konnte, sollte wiederum für mehrere Jahre ein Zimmer in seinem Elternhaus werden. Zwar durfte er – auf die Intervention eines Onkels hin – eine weiterführende Schule besuchen. Zwar absolvierte Newton die darauffolgenden drei Jahre ein Studium in Cambridge - doch bereits 1665 wurden Studenten wie angehende Akademiker in Zwangsurlaub geschickt. Die große Pest wütete - und der frisch gebackene Bachelor Newton kehrte in die ländliche Abgeschiedenheit seines Elternhauses zurück. Dort schloss er die Fensterläden, bohrte ein Loch hinein - und setzte ein Prisma so in den eindringenden Lichtstrahl, dass die Farben an der gegenüberliegenden Wand erschienen. 

MUSIK

ZITATOR

„Es war zuerst eine sehr angenehme Unterhaltung, die lebhaften und kräftigen Farben zu betrachten, die dadurch hervorgebracht wurden. Als ich sie aber nach einiger Zeit sorgfältiger beobachtete, erstaunte ich, dass ihre Form länglich war. Ich hätte erwartet, dass sie kreisförmig wäre Beim Nachmessen fand ich, dass dieses farbige Bild fünfmal länger war als breit. In mir erwachte das lebhafteste Verlangen, die Ursache dieses enormen Missverhältnisses zu entdecken.“

SPRECHERIN

...erinnert sich Isaac Newton ein paar Jahre später in seiner „Neuen Theorie über das Licht und die Farben“. Die Abhandlung enthält die Beweisführung, dass das weiße Licht – anders als bis dahin vermutet - aus einer Mischung von farbigem Licht besteht. Diese Erkenntnisse aus der Optik sollten später in Newtons gleichnamiges Hauptwerk zu diesem Thema einfließen. Besonders umstritten darin war die so genannte Teilchen-Theorie, erklärt der Münchner Physik-Professor Thomas Udem. 

O-Ton 4 Prof. Thomas Udem, Max-Planck-Institut für Quantenoptik

„Newton war der Meinung, dass Licht aus Teilchen besteht. Er hat die „Korpuskeln“ genannt – und hat auch zum ersten Mal erklärt, dass weißes Licht zusammengesetzt ist aus farbigem Licht. (…) Und er hat sich das so erklärt, dass es verschieden große Korpuskeln gibt, die zu verschiedenen Farben gehören. Und das Gegenprogramm zu dieser Theorie sozusagen war die Wellentheorie. Also einige Leute haben geglaubt, dass Licht aus Wellen besteht – und nicht aus Teilchen, die durch die Gegend fliegen. Und das war quasi ein zwei, drei Jahrhunderte andauernder Disput“ 

SPRECHERIN

Nicht hinreichend erklären konnte Isaac Newton mit seiner Teilchen-Theorie, dass sich zwei Lichtquellen unter bestimmten Bedingungen gegenseitig auslöschen - oder dass sich Licht in zwei Strahlen unterschiedlicher Polarisation aufspalten kann. Dies gelang erst dem englischen Augenarzt und Physiker Thomas Young. Aufgrund seiner Erkenntnisse setzte sich erst nach 1800 die Sichtweise durch, dass das Licht aus Wellen bestehe.   

O-Ton 5 Udem 

„Es hat dann noch sehr lange gedauert, bis sich die Wellentheorie über den Newton hinweggesetzt hat, und sehr stark etabliert hat. Der Grund war einfach Newtons unglaubliche Autorität.“

SPRECHERIN

Welle – oder doch Teilchen? Endgültig entschieden scheint die Fragestellung, die Isaac Newton aufs Tapet der optischen Physik brachte, aber bis heute nicht. Thomas Udem:

O-Ton 6 Udem

„Ironischerweise muss man sagen, dass die Quantentheorie das wieder umgeworfen hat. Und die Quantentheorie beschreibt das Licht jetzt quasi als so ein Hybrid. Das ist quasi gleichzeitig ne Welle und ein Teilchen. Also man hat jetzt quasi einen Kompromiss gefunden...“ (lacht)

SPRECHERIN

Zu Kompromissen war Isaac Newton seinerzeit nicht bereit: Er ging seinem Erkenntnisdrang nach, koste es, was es wolle – auch um den Preis der eigenen Gesundheit, sagt der Buchautor Florian Freistetter.

O-Ton 7 Freistetter Teil 1

„Jedes Mittel war Newton recht, um mehr über die Welt herauszufinden. Er war dabei rücksichtslos gegen andere – er war aber genauso rücksichtslos gegenüber sich selbst. Er hat eben auch vor Selbstversuchen nicht zurückgeschreckt: Eines der Dinge, die er herauszufinden wollte, war, wie das Auge funktioniert. Und Newton hat die Frage interessiert: Was passiert, wenn der Augapfel sich verformt? Wie ändert das den Sinneseindruck? Das wusste man nicht, Newton wollte das wissen – also hat er das einfach ausprobiert. 

MUSIK

SPRECHERIN

Mit einem Versuch, dessen Imitation man nicht empfehlen kann... Aber er zeigt beispielhaft, wie Newtons Erkenntnisdrang jegliche natürliche Vorsicht, Furcht und Panik überlagert. 

O-Ton 7 Freistetter Teil 2

Und zwar, indem er sich so ne dicke, stumpfe Nadel am Augapfel vorbei quasi ins Auge gestochen hat. Und dann von hinten mit dieser Nadel gegen seinen Augapfel gedrückt hat, um zu sehen, was passiert.“    

ZITATOR

„Es erschienen einige weiße, dunkle, farbige Kreise, die am deutlichsten waren, wenn ich mein Auge weiter mit der Haarnadelspitze rieb. Wenn ich hingegen Auge und Haarnadel stillhielt, aber weiter auf das Auge drückte, verblassten die Kreise und verschwanden oft, bis ich Auge oder Haarnadel wieder bewegte.“  

MUSIK

SPRECHERIN

Trotz der Hartnäckigkeit dabei, Dinge experimentell zu erkunden, verlor sich Isaac Newton nie in Details, behielt stets den großen Zusammenhang im Blick. Hier ein theoretisches Problem – dort die praktische Lösung: 

Für Newton zwei Seiten derselben Medaille. So wurden zu seiner Zeit Teleskope zur Betrachtung von Sternen populär. Üblicherweise waren es Linsenteleskope, mit denen die Beobachter dabei gen Himmel blickten. Das Vergnügen dabei wurde indes getrübt durch störende, farbige Säume am Rande des Blickfelds. Diese Aberrationen traten auf, da die Linse die einzelnen Farben des Lichts unterschiedlich stark bricht. Ein Problem, das Isaac Newton wohl bekannt war, sagt der Physiker und Wissenschaftshistoriker Stefan Zieme.

O-Ton 8 Stefan Zieme, Physiker und Wissenschaftshistoriker, HU Berlin

„Das Newton-Teleskop trägt noch immer seinen Namen und ist ja von ihm 1668 bei der Royal Society vorgestellt worden.

SPRECHERIN

Das Prinzip des Newton-Teleskops ist so einfach wie bestechend: Das Licht wird durch zwei Spiegel durch den Tubus - die Röhre des Teleskops gelenkt.    Teleskope, die das Licht nicht brechen, sondern mit Hilfe von Spiegeln reflektieren, sind heute weltweit im Einsatz, erklärt Stefan Geier, der als Astronom am Observatorium „Roque de los muchachos“ auf der Kanareninsel La Palma arbeitet. 

O-Ton 9 Stefan Geier, Astronom am Observatorium Roque de los muchachos“

„Am Ende vor dem Tubus ist eben der so genannte Hauptspiegel, der das Licht auffängt und reflektiert. Und weiter oben im Tubus sitzt dann der so genannte 

Sekundärspiegel drin, der das Licht dann aus dem Tubus rausreflektiert – und dort sitzt dann das Okular, wo man dann quasi durchschaut.“

SPRECHERIN 

Die großen Teleskope am Observatorium der Kanareninsel beruhen auf Weiterentwicklungen des von Newton genutzten Prinzips: Für den Physiker wie für den Astronomen Stefan Geier ist und bleibt Isaac Newton eine wichtige Referenz.

O-Ton 10 Geier

„Die ganze Himmelsmechanik - die Umläufe der Planeten im Sonnensystem – lässt sich sehr gut mit der Newtonschen Mechanik erklären. Auf der Erde haben wir die Anziehungskraft, die uns am Boden hält – und die ist wunderbar durch´s Newtonsche Gravitationsgesetz beschrieben. Auf der Erde funktioniert das wunderbar...die ganzen alltäglichen Dinge. Selbst die Statik von Gebäuden – das alles funktioniert nach den Gesetzen der Newtonschen Physik.“

O-Ton 11 Udem

„F gleich M x A. Kraft gleich Masse mal Beschleunigung...“

MUSIK

SPRECHERIN

...fasst der Physikprofessor Thomas Udem das wohl bekannteste der drei Newtonschen Bewegungsgesetze in eine Formel. Grundlegende Gesetze zur Bewegung, die sowohl am Himmel, wie auch auf der Erde gültig sind: Damit bricht Newton mit der traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden Lehre.

ATMO APFEL FÄLLT AUF WIESE

O-Ton 12 Freistetter 

„Damals war´s durchaus noch normal, sich vorzustellen: Es gibt halt Kräfte, Physikgesetze, die auf der Erde wirken. Es gibt andere Gesetze, die im Himmel wirken. Und die haben erst einmal nix miteinander zu tun. 

Und was Newton gezeigt hat– und was wirklich seine große Leistung war, war zu zeigen, dass es wirklich so etwas wie universelle Gesetze gibt: Also ein Gesetz, eine Regel, eine Kraft, die überall gilt, die die gleichen Phänomene am Himmel wie auf der Erde beeinflusst. Das hat er aufgrund dieses Vergleichs: Also der Apfel, der von der Erde angezogen wird, Mond am Himmel – und allen Gedanken, die daraus gefolgt sind, abgeleitet.“

SPRECHERIN

Da ist er endlich, der mythenumrankte Apfel - dessen Fall vom Baum Isaac Newton auf die Erdanziehungskraft gebracht haben soll. Newton selbst nährte diese Legende, indem er dem Autoren seiner Memoiren, William Stukeley, von der inspirierenden Kraft der Obstbäume im Garten erzählte. Dass Newton mit dem Apfel quasi der Erkenntnisblitz getroffen hat – diese populäre Variante der Geschichte hält Florian Freistetter für Unsinn: Auf seiner Professur für Mathematik, die Isaac Newton 1669 in Cambridge antrat, habe er seine Theorie zur Gravitation über Jahre hinweg entwickelt. Die Anekdote vom Apfel nährt außerdem das Bild vom genialischen Wissenschaftler, der alleine in seiner Kammer oder der Einsamkeit der Natur zu seinen Erkenntnissen gelangt. Auch das ist falsch, sagt der Wissenschaftshistoriker Stefan Zieme. Er beschäftigt sich an der Berliner Humboldt-Universität mit der Kultur- und Wissensgeschichte von Astronomie, Mathematik und Physik. Newton hatte gleichsam ein globales Informations-Netzwerk, erklärt Thomas Zieme.

O-Ton 13 Stefan Zieme

„Alle haben ne Abhängigkeit, und bewegen sich in nem Netz von Personen: Das sieht man auch an der „Principia“. Das Werk entsteht ja nicht aus der Luft. 

Newton beschreibt zum Beispiel, wie sich die Gezeiten überall auf der Welt verhalten. Wie ändern sich Pegelstände im Golf von Tomkin? Das ist irgendwo im südchinesischen Meer. Er kennt überall Leute. Er kennt Arthur Storer zum Beispiel, der in Amerika wahrscheinlich Baumwollplantagen besessen hat, und Arthur Storer schickt Newton astronomische Daten von der Beobachtung eines Kometen.(...) Die braucht er auch für seine Naturphilosophie, um Erklärungen für seinen mathematischen Kosmos zu finden. Das heißt, diese Daten können ihm nur zur Verfügung stehen, weil es eben auch ein expansorisches Verhalten des Britsh Empires gibt.“  

MUSIK

SPRECHERIN

Um an Messwerte für die „Principia“ zu gelangen, an Daten, die sein Hauptwerk über die „Mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie“ untermauern, ging Isaac Newton absolut skrupellos vor. Seinem Kollegen Robert Hooke, der ihn in der Frage der Planetenbewegung erst auf die richtige Spur brachte, verweigerte Newton jede Anerkennung. Noch schlimmer erging es John Flamsteed – ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter Isaac Newtons in Sachen Mechanik. Der Hofastronom Flamsteed beobachtete im Gegensatz zum Theoretiker Newton ständig die Sterne, und führte darüber akribisch Buch. Ein wahrer Schatz an Daten, auf die Newton sofort und umfassend zugreifen wollte.   

O-Ton 14 Freistetter

„Und Flamsteed wollte ihm die nicht direkt geben. Newton hat das aber nicht 

akzeptiert, der wollte die Daten sofort haben, und hat gesagt, frei übersetzt: 

Flamsteed, du hörst auf mit dem, was du jetzt machst du beobachtest für mich, du gibst mir meine Daten, und alles andere ist mir egal. (…) Newton hat sich, mit seinen Kontakten, die er zum Königshaus gehabt hat, zu einer Art Oberaufseher der Sternwarte ernennen lassen. 

Er hat dann Flamsteed unter Androhung der Verhaftung wegen Landesverrates gezwungen, seine Daten rauszugeben, hat Daten dann auch geklaut... Im Wesentlichen läufts darauf hinaus, dass Newton das Lebenswerk von Flamsteed, diesen Katalog, ruiniert hat.“

SPRECHERIN

Bekannter als der Streit mit Flamsteed ist die Auseinandersetzung Isaac Newtons mit dem deutschen Mathematiker und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz. Diese sollte als „Prioritätsstreit“ in die Wissenschaftsgeschichte eingehen. 

MUSIK

ZITATOR 1 Leibniz

„Ich denke, es wäre ein lächerliches Schauspiel, wenn Gelehrte, die höhere Grundsätze vertreten als andere Menschen, sich wie Fischweiber gegenseitig beschimpften."

SPRECHERIN

...schrieb Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1700, der Nachstellungen durch Newton bereits überdrüssig. Wer hat nun die mathematische Methode der Infinitesimalrechnung wirklich erfunden? 

Eine Methode, mit der man zum Beispiel Flächeninhalte oder Volumeninhalte 

mathematisch exakt berechnen kann, auch wenn die Umrandung oder Oberfläche beliebig komplex ist. Ebenso kann man mit dieser Methode die Krümmung oder Neigung beliebig komplexer Oberflächen exakt berechnen. 

Für Isaac Newton war dieses Verfahren mehr als graue Theorie – es war sein wissenschaftliches Handwerkszeug.     

O-Ton 15 Udem 

„Für die Newtonsche Mechanik ist die Infinitesimalrechnung quasi maßgebend. Also ohne die kann man diese Theorien quasi gar nicht aufstellen. 

Das heißt, er musste quasi erst seine Mathematik erfinden, bevor er seine Theorien machen konnte.“

SPRECHERIN

Mehrere Jahrzehnte tüftelte Isaac Newton an der Infinitesimalrechnung – seiner dritten großen Theorie neben derjenigen des Lichts und der Gravitationstheorie. Während sein Widersacher Leibniz die Überlegungen zum so genannten Calculus bereits im Jahr 1684 veröffentlichte, hielt Newton seine Erkenntnisse unter Verschluss. 

O-Ton 16 Freistetter

„Erst später, als Newton dann schon sehr berühmt war, Präsident der Royal Society...also wirklich ein einflussreicher Mann war. Erst dann hat Newton diesen Priotitätsstreit wieder aufflammen lassen, hat Leibniz beschuldigt er hätte plagiiert, er hätte abgeschrieben...Selbst als Leibniz schon tot war, (...) hat Newton nochmal Veröffentlichungen geschrieben und nochmal quasi auf den toten Leibniz nachgetreten. Heute wissen wir: Newton war der Erste der das herausgefunden 

hat, aber Leibniz war der, der diese Mathematik wirklich auf eine Weise formuliert 

hat, die wirklich praktisch war. Also wenn wir heute Infinitesimalrechung betreiben, dann tun wir das so, wie Leibniz das damals entwickelt hat. Newtons Methode war 

nicht so leicht anwendbar, weil er sich keine Gedanken über die Öffentlichkeitsarbeit, über die Wirkung, über die Einsatzfähigkeit seiner Arbeit gemacht hat.“         

SPRECHERIN

Isaac Newton formulierte sogar absichtlich kompliziert, um sich nur mit echten Kennern der Materie auseinandersetzen zu müssen. Kritik, womöglich aus unberufenem Munde, fasste Newton als Beleidigung auf; Diskussionen mit Laien galten ihm als verschwendete Lebenszeit. Der Berliner Physiker Stefan Zieme konstatiert...

O-Ton 17 Zieme 

„...dass Newton oftmals nicht daran interessiert war, minutiös alle seine Dinge zu erklären und sich in Debatten zu äußern, sondern eher diese Zeit für sich allein haben wollte. Vermutlich auch, um andere Interessen zu verfolgen: 

Um alchemische Experimente zu machen...“  

MUSIK

SPRECHERIN

Naturforscher wie Newton gelangten zwar nach und nach an mehr Wissen, wie und warum sich Dinge bewegen. Woraus aber diese Dinge genau bestanden, lag für sie weitgehend im Dunkeln. Wie andere Wissenschaftler bediente sich auch Newton noch der Alchemie, um den „Stein der Weisen“ zu finden, der normales Metall in Gold verwandeln könnte. 

Vielleicht fühlte er sich deswegen 1695 bemüßigt, dem englischen Königshaus einen Rat zu übersenden, wie die Münzen des Empire fälschungssicher produziert werden können. Im Jahr darauf wurde Isaac Newton – wohl mit Hilfe von Beziehungen - zum Chef der Münzprägeanstalt ernannt. Doch statt sich auf diesem lukrativen Posten einen gemütlichen Lebensabend zu gönnen, peitschte er eine komplette Neuprägung der britischen Währung durch. Isaac Newton konnte auch in diesem Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte, nicht aus seiner Haut. Dies zeigte sich besonders bei seiner Jagd auf die berüchtigten Falschmünzer.

O-Ton 18 Freistetter

„Er hat da wirklich alles getan, er hat tagelang Leute verhört. Und am Ende sind die Leute zum Tode verurteilt worden. Natürlich haben viele dann auch Newton Petitionen geschrieben, Briefe geschrieben, ob man sie nicht vielleicht verschonen kann – was Newton aber komplett egal war. Jeden den er geschnappt hat: 

Die sind dann zum Tode verurteilt worden: Also auch da war er so rücksichtslos und hartnäckig, wie er in seiner wissenschaftlichen Arbeit war.“    

MUSIK

SPRECHERIN

Von seinen Pflichten als Professor war Isaac Newton bereits 1701 zurückgetreten. Die wissenschaftliche Tätigkeit stellte er aber keineswegs ein: 

Newton wirkte bis zu seinem Tod im Jahr 1727 als Präsident der Wissenschaftler-Vereinigung Royal Society. Das herrschaftliche Haus, das er in London bewohnte, beherbergte ein kleines Observatorium. Dort widmet sich der so unverträgliche wie tief religiöse Einzelgänger, der nie geheiratet hat, weiter seinen Studien – und wachte akribisch über sein wissenschaftliches Erbe. 

Newtons Vermächtnis für die Nachwelt ist umfangreich – und zum großen Teil immer noch für Forscher wie Praktiker relevant: Die Beschreibung der Schwerkraft, die neue Theorie des Lichts, die Entwicklung des Spiegelteleskops, wie wir es heute kennen:  Der Wert von Isaac Newtons Werk für die Wissenschaft ist so unermesslich wie unbestritten.  

Radiowissen | Bild: Getty Images / BR
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