Liselotte von der Pfalz - Ungeschminktes aus Versailles
Die Heiratspolitik hat Liselotte von der Pfalz an den Hof von Versailles verschlagen. Über das Leben am Hof von Sonnenkönig Ludwig verfasste sie Zehntausende von heute noch berührenden Briefen an ihre deutsche Verwandtschaft. (BR 2016) Autorin: Prisca Straub
VON: Prisca Straub
Ausstrahlung am 19.12.2023
SHOWNOTES
Credits
Autorin dieser Folge: Prisca Straub
Regie: Eva Demmelhuber
Es sprachen: Ruth Geiersberger, Axel Wostry, Rahel Comtesse
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Petra Hermann-Boeck
Im Interview:
Prof. Dr. Helen Watanabe-O’Kelly, Kulturwissenschaftlerin, Universität Oxford.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Bei Straßburg, an der Grenze zu Frankreich: Eine prächtige Kutsche hält. An Bord - eine hemmungslos heulende Prinzessin. Denn jetzt heißt es Abschied nehmen. Elisabeth Charlotte, genannt Liselotte von der Pfalz, sagt ihrem Vater Lebewohl. Sie wird Kurfürst Karl I. Ludwig und ihre gesamte Familie nie wieder sehen.
SPRECHERIN
Es ist ein herzergreifender Novembertag im Jahr 1671. Die 19-jährige Liselotte ist auf dem Weg nach Frankreich - zu ihrer Trauung: Sie ist an den Hof des Sonnenkönigs verheiratet worden. Und ihr zukünftiger Mann ist kein Geringerer als der Bruder von Ludwig XIV.
MUSIK
SPRECHER
Wie bei politisch arrangierten Hochzeiten üblich, sind sich die Eheleute bisher kein einziges Mal begegnet. Der Heiratsvertrag? Längst unterschrieben! Und ein Ergebnis zäher Verhandlungen: Denn die Pfalz ist ein kleines, von politischen Großmächten umringtes Land. Die Prinzessin aus Heidelberg nach Versailles zu verheiraten - noch dazu für eine vergleichsweise bescheidene Mitgift - das ist ein Kabinettstück der absolutistischen Diplomatie.
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Sie war aus politischen Gründen eine gute Partie. Geld war nicht groß da. Sie heiratete den Bruder von Ludwig XIV., Philippe d'Orléans, und er hätte eigentlich eine höherstehende Prinzessin heiraten können. Aber Ludwig XIV. hatte ein Auge auf die Pfalz. Die er dann auch nachher tatsächlich erobert hatte. Aber aus politischen Gründen war sie ihm angenehm.
SPRECHERIN
Professor Helen Watanabe-O’Kelly ist Kulturwissenschaftlerin. Sie lehrt deutsche Literatur in Oxford. Ihr Spezialgebiet: 'Marrying Cultures'. Dabei geht es um adlige Hochzeitskulturen im europäischen Vergleich.
SPRECHER
Liselotte, die blondgelockte Prinzessin, ist also eine attraktive Bündnispartnerin. Dank der brisanten geografischen Lage der Pfalz als Pufferstaat zwischen Frankreich und den deutschen Fürstentümern. Doch nicht nur das: Ludwig XIV. will seinen verwitweten, jüngeren Bruder Philipp so schnell wie möglich wieder verheiratetet sehen. Der 30-jährige Prinz hat nämlich noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen:
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Man muss auch sagen, dass der Herzog von Orléans, also der Mann von Liselotte, der war schon Witwer. Der hatte Töchter gezeugt, keinen Sohn. Er brauchte einen Sohn. Er brauchte eine also Ehefrau, um einen Sohn zu haben. (lacht) Und er war schwul! Also es war nicht zu erwarten, dass er 18 Kinder in die Welt setzt.
MUSIK
SPRECHERIN:
Die Staatsraison hat also entschieden. Da helfen jetzt auch keine Tränen! So überquert die Kutsche die Grenze nach Frankreich - Liselotte verliert ihr Land, ihren Hof, ihre Vertrauten - und ihren Glauben. Denn die Prinzessin muss sogar zum Katholizismus übertreten. Schmerzvoll für die Calvinistin, doch auch darauf kann das Arrangement keine Rücksicht nehmen. Helen Watanabe-O’Kelly:
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Sie war dazu da, um der Dynastie ihres Ehemannes ihren Körper zur Verfügung zu stellen. Das war ihre Hauptpflicht und bestand darin, männliche Erben auf die Welt zu bringen. Sie wusste das von klein auf. Sie hoffte auch, dass das vielleicht kein brutaler Trinker wäre oder eben ein Mann - 50 Jahre älter! Aber andere Gründe wogen dann immer schwerer.
MUSIK
SPRECHER
Auf den ersten Blick kann Liselotte sich glücklich schätzen: Der Herzog von Orléans ist nur gut zehn Jahre älter als sie selbst - und steht durchaus nicht im Ruf, ein Grobian zu sein. Im Gegenteil:
SPRECHERIN
Der kleine, rundliche Mann, der so hohe Schuhe trägt, dass er wie auf Stelzen läuft, ist liebenswürdig und elegant. Herausgeputzt mit Schminke, Puder, Armbändern und Schleifen …
SPRECHER
Und Philippes Homosexualität?
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Sie hat das mit Sicherheit nicht gewusst. Ich weiß auch nicht, ob ihr Vater das gewusst hat. Es scheint, dass es sie auch nicht so sehr gestört hatte – also die Homosexualität an sich.
MUSIK
ZITATORIN
Er hat zwar keine Neigung zu Frauen. Aber wir vertragen uns gar wohl!
SPRECHER
Ein anderes Mal klagt sie allerdings:
ZITATORIN
Monsieurs Leben finde ich so übel nicht, nur ist ihm nichts zu teuer für die Burschen!
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Was sie sehr gestört hatte, das war, war, dass ihr Mann seine Liebhaber viel höher schätzte als er sie schätzte - und ihnen unglaubliche Summen geschenkt hatte: Juwelen und, und, und – alles Mögliche.
SPRECHER
Trotzdem unterm Strich:
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Die ersten zehn Jahre oder so, die waren gar nicht so schlimm.
SPRECHER
Bald stellt sich nämlich ein Arrangement ein, mit dem Liselotte glänzend zurecht kommt:
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Madame, wie sie immer am französischen Hof genannt wurde, war dankbar, dass sie nicht mehr mit ihm schlafen musste, nachdem sie drei Kinder auf die Welt gebracht hatte. Der Ehemann hat zu ihr gesagt: 'Wollen wir jetzt nicht 'lit à part', also, getrennte Betten, getrennte Schlafzimmer? Und sie sagte sich: 'Gott sei Dank!' Sex genießen war für die arme Madame gar nicht drin! Es kann sein, mit einem ganz anderen Mann wäre das für sie anders gewesen.
SPRECHERIN
Ein eigener Liebhaber? Undenkbar für Liselotte! Nach der Königin ist sie als Schwägerin von Ludwig XIV. die zweite Frau im Königreich. Also, es bleibt dabei: Nach drei Kindern - getrennte Schlafzimmer. Mit 25 Jahren.
MUSIK
ZITATORIN
Wenn man Jungfer wieder kann werden, nachdem man in neunzehn Jahren nicht bei sein Mann geschlafen hat, so bin ich es gar gewiss wieder.
SPRECHER
Monsieur und Madame gehen auch tagsüber zumeist getrennte Wege:
SPRECHERIN
Er liebt rauschende Feste, sie das Reiten. Er hat eine Schwäche für Juwelen, sie für die Jagd. Er mag Musik, Tanz und ganz besonders das Glücksspiel, sie ihre Bibliothek und Spaziergänge bei jedem Wetter. Die prunkvollen Toiletten ihres Gemahls sind so gar nicht nach Liselottes Geschmack. Sie scheut sogar den Aufwand, sich Locken drehen lassen. Macht aber nichts, sagt Helen Watanabe-O’Kelly:
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Die Vorstellungen damals von Liebe zwischen Mann und Frau waren anders: Gegenseitig Respekt, gegenseitig durchaus Zuneigung. Und man hatte auch nicht so sehr getrennt zwischen öffentlich und privat. Das ist auch eine Sache vom Ende des 18. ins 19. Jh. Die private, intime Sphäre und die öffentliche Sphäre, nein! Das war eigentlich alles öffentlich: Man gebar seine Kinder öffentlich. Am Hof von Ludwig XIV. beim Lever: Er stand auf, zog sein Nachthemd aus, stand nackt da, bekam dann seine Kleidungsstücke gereicht, hat sich angezogen. Ich glaube, wenn man Ludwig XIV. gefragt hätte: 'Ja, privat, was machen Sie privat?' Hätte er gesagt: 'Privat? Ich bin da, um gesehen zu werden!'
MUSIK
SPRECHER
Ludwig XIV. findet Gefallen an der pfälzischen Außenseiterin, die sagt, was sie denkt, laut in der Messe lacht und sich kategorisch weigert, von den Leibärzten des Königs zur Ader gelassen zu werden. Die neue Madame mit ihrem lebhaften Wesen und dem erfrischenden Witz bringt Schwung in die stickigen Appartements.
SPRECHERIN
Es sind glänzende Jahre am Hof von Versailles - Molière führt seine Komödien auf, Racine seine Tragödien. Lully schwingt den Taktstock und täglich wird eine Oper aufgeführt - oder zumindest ein Cembalo-Konzert.
SPRECHER
Liselotte führt ein aufregendes, aber auch ein streng reglementiertes Leben. Ihr bleibt nicht das Geringste verborgen: Weder die Amouren ihres eigenen Mannes, noch die des Königs: Mit Madame de Montespan, seiner offiziellen Mätresse, hat der König acht Kinder! Und all die unzähligen Geliebten und Favoritinnen - sogar von Liselottes Ehrenjungfern kann der König nicht die Finger lassen. Doch Liselotte ist diplomatisch und klug genug, sich niemals einzumischen.
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Ein Hof, das war ein absoluter Hexenkessel von Geflüster. Alle haben alles gewusst, sofort! Also dass man etwas hätte geheim hätte halten können, das wäre sehr, sehr schwierig gewesen. Ludwig XIV. hat sie offensichtlich gemocht. Und sie kamen sehr gut miteinander aus. Und das war ein großes Glück für sie, dass so ein wichtiger Mensch, um den der ganze Hof kreiste, dass er sie mochte und sie eigentlich auch beschützte.
MUSIK
ZITATORIN
Ich gehe fast alle Tage mit dem König auf die Jagd. Und vorgestern hat er mir ein über die Maßen schönes Pferd verehret.
SPRECHERIN
Bei einem Unfall auf einem Ausritt kümmert sich der König sogar höchstpersönlich um Liselottes Blessuren:
ZITATORIN
Der König war selber der erste bey mir, so bleich wie der Todt. Und ob ich ihm versicherte, dass mir gar kein Wehe gethan undt nicht auf den Kopff gefallen were, so hatt er doch keine Ruhe gehabt, biss er mir selber den Kopff auff alle Seitten visirt undt endtlich funden, dass ich ihm wahr gesagt hatte. Hatt mich selber hir in mein Cammer geführt undt ist noch etlich Zeitt bey mir blieben, umb zu sehen, ob ich auffs wenigst nicht taumblich were.
SPRECHER
Ihre ersten zehn Jahre bei Hofe - bis etwa 1680 - im Rückblick werden sie Liselottes beste und heiterste Jahre gewesen sein.
SPRECHERIN
Woher die Nachwelt so genau Bescheid weiß (MUSIK ENDE)? Die deutsche Prinzessin am Hof des Sonnenkönigs führt eine ausführliche Korrespondenz. Schon in jungen Jahren ist Liselotte (MUSIK) eine eifrige Briefeschreiberin. Doch was sie als ältere und schließlich als alte Dame täglich zu Papier bringt, stellt alles in den Schatten:
SPRECHER
Liselotte schreibt von morgens bis abends. In ihrer großen, etwas ungelenken Schrift füllt sie Seite um Seite - und schläft nicht selten über ihrem Briefpapier ein. Rund 60.000 Briefe hat sie verfasst - erhalten geblieben ist davon rund ein Zehntel.
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Die Fürstin hatte erstmals viele zeremonielle Briefe zu schreiben. Man gratulierte zu Geburtstagen, zu Namenstagen, zur Genesung von Krankheiten, zu Hochzeiten. Man hat Kondolenzbriefe geschrieben, das gehörte dazu. Und man hat geschrieben an Personen, die man nie kennengelernt hatte. Und dann gab es dann mehr so persönliche Briefe an Menschen, die man wirklich kannte. An Personen aus der näheren Familie. Also für Liselotte war das mit Sicherheit ein Ventil. Heutzutage hätte sie vielleicht wahnsinnig viel telefoniert. Manchmal sagt sie, also sie schreibt sie in einem Brief, sie hat angefangen: 'Oh ich muss jetzt weg, weil grade Abendessen ist!' Und dann kommt sie zurück und sagt: 'So, das war das Abendessen, ich schreibe jetzt weiter!' (lacht) Das war wie: 'Ich ruf Dich in einer halben Stunde an!'. Und das war wirklich ein Ventil für Emotionen, für Gefühle.
MUSIK
SPRECHERIN
Denn Liselotte ist einsam. Inzwischen muss man sagen. Denn nach 1680 sind ihre Aktien gefallen. Ihr Stern ist am Sinken. Ein Grund dafür: Die zahlreichen Günstlinge ihres Gatten haben begriffen, wie viel leichter es ist, Monsieur auszunehmen, wenn man den Einfluss von Madame beschneidet. Und das tun sie. Ganz gezielt.
SPRECHER
In offenherzigen und immer öfter auch verdrießlich und scharfzüngigen Briefen beschwert sich Liselotte über die "Cabale", deren Opfer sie jetzt wird. Verleumdung, Intrigen und Lügen bringen ihre exklusive Position beim König ins Wanken. Man macht sich lustig über ihre Kleidung, ihren Akzent. Ihr Ehemann, der Herzog, unternimmt nichts, um das Geschwätz zu stoppen.
ZITATORIN
Die Cabale macht mir so viele Runzeln, dass ich das ganze Gesicht voll davon habe!
SPRECHER
Die Intrigen sind ein Dauerthema.
ZITATORIN
Trost habe ich von nöthen, denn Ich bin wider so leünisch wie ein alter Hundt!
SPRECHER
Und dann auch das noch! Liselotte begeht den Fehler ihres Lebens:
MUSIK ENDE
SPRECHERIN
Nach dem Tod der Königin im Jahr 1683 sagt Ludwig XIV. sich endgültig los von Madame de Montespan. Die neue Favoritin heißt Madame de Maintenon. Die stets in Schwarz gekleidete Erzieherin seiner Kinder wird seine letzte offizielle Maitresse und sogar heimliche Ehefrau. Die skandalöse, weil ungleiche Verbindung sorgt für Kopfschütteln in ganz Europa. Doch für Liselotte ist die höfische Karriere von Madame de Maintenton schlimmer als alle blutsaugenden Günstlinge Monsieurs zusammen. Die Oxforder Kulturwissenschaftlerin Helen Watanabe-O’Kelly:
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Eine Bürgerliche! Unmöglich für Liselotte! Eine bürgerliche Witwe, die Witwe Scarron, die Hofmeisterin seiner unehelichen Kinder war, und die dann zu seiner zweiten Ehefrau wurde! Und wenn Liselotte nur hätte über ihren eigenen Schatten springen können und sagen können: 'Ist mir egal, dass sie eine Bürgerliche ist! Sie ist eigentlich eine gute Lebensgefährtin für den König!', und hätte die Maintenon zu ihrer Freundin gemacht, die zweite Hälfte ihres Lebens wäre ganz anders gewesen! Aber das konnte sie nicht.
MUSIK
ZITATORIN
Dieser Mausdreck! Der Teufel in der Hölle könnte nicht schlimmer sein!
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Wie sie über sie redet, das ist doch furchtbar! Zottel und Vettel und Hexe und Sack! Wirklich geschimpft - und hat sie regelrecht gehasst. Und das einzige, was eine Prinzessin hatte, war ihre Geburt, ihr Geblüt. Das haben die alle gehütet wie der Schatz, den sie überhaupt hatten. Man hat die Heimat verloren. Man hat den Vater, die Mutter nie wieder gesehen, den Bruder wahrscheinlich auch nicht. Man durfte Personal von zu Hause also ganz wenig mitnehmen. Man war in einer fremden Umgebung, hat eine fremde Sprache gesprochen. Und das einzige, was man selber hatte, was man nicht wegnehmen konnte, das war: 'Ich bin geboren als die und die und die!' Für Liselotte: 'Ich bin die Enkelin von der Winterkönigin! Ich bin aus der Sippe des englischen Königshauses! Ich bin verwandt mit …!' Und dann kommt diese Bürgerliche!
SPRECHER
Wäre sie ein politischer Kopf gewesen, Liselotte hätte sich wohl ganz anders verhalten.
MUSIK
SPRECHERIN
Ganz besonders unangenehm für Liselotte wird es, als man sie damit konfrontiert, dass ihre Briefe abgefangen werden.
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Häufig hat man auch Briefe geschrieben an eine Cousine, im sicheren Wissen - und das war auch gewollt - dass diese Briefe vorgelesen wurden im Kreis der Freundinnen, im Kreis der vielleicht Damen, Hofdamen dieser Cousine. Aber es gab dann das sogenannte schwarze Kabinett, 'le cabinet noir', wie Bundesnachrichtendienst. also man hat die Briefe sorgfältig aufgemacht, und den Siegellack schmelzen lassen und konnte das alles lesen, kopieren und dann wieder zumachen und dann dem Adressaten zustellen. Also ich weiß nicht, inwiefern sie wirklich bewusst war, dass der König sehr gut unterrichtet ist, wie sie schreibt über zum Beispiel Madame de Maintenon.
MUSIK
SPRECHER
Liselottes Schmach ist perfekt, als Madame de Maintenon die pikantesten Verwünschungen aus ihren Briefen öffentlich zum Besten gibt. Es kommt zu einer tränenreichen Aussprache: Liselotte muss sich bei der verabscheuungswürdigen Bürgerlichen entschuldigen.
SPRECHERIN
So herrscht Waffenstillstand bis zum Tod Ludwigs im Jahr 1715. Doch Freundinnen werden die beiden Frauen nie. Als die Maintenon vier Jahre später ebenfalls stirbt, macht Liselotte keinen Hehl aus ihrer Genugtuung:
ZITATORIN
Die alte Schrump ist verreckt!
SPRECHER
Doch bevor sie diese Prüfung überstanden hat, muss Liselotte eine noch viel ärgere Qual überstehen: Nach dem Tod ihres Vaters und Bruders lässt Ludwig XIV. zu den Waffen greifen: 1688 wird das Land ihrer Kindheit zerstört.
ZITATORIN
Niedergebrannt mit Stumpf und Stiel.
SPRECHERIN
Die Verwüstungen, die die französische Armee in der rheinischen Pfalz anrichtet, sind verheerend. Das Heidelberger Schloss wird in die Luft gejagt, das Land - systematisch dem Erdboden gleichgemacht.
SPRECHER
Liselotte kann nichts unternehmen, um ihren Landsleuten zur Hilfe zu eilen. Im Gegenteil: Seine Ansprüche auf die Pfalz begründet der König ausgerechnet mit seiner Verwandtschaft zu ihr.
ZITATORIN
Ich bin sozusagen meines Vaterlands Untergang!
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Das war für sie ein furchtbares Schicksal! Dass ihr Land, ihre geliebte Pfalz - Heidelberg liebte sie so sehr! - dass das zerstört wird, und zwar von dem Hof, an dem sie war! Aber diese geteilten Loyalitäten, das hatten sehr viele fürstliche Gemahlinnen. Also die eigene Dynastie lag einem am Herzen, und man musste sich identifizieren mit der Dynastie des Ehemanns. Und das war manchmal sehr schwierig!
MUSIK
SPRECHERIN
Als 1701 ihr Ehemann stirbt, ist Liselottes Schicksal mal wieder ungewiss. Wohin soll sie sich wenden? Etwa zurück in die Pfalz?
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Das Schloss in Heidelberg? Ruinen! Das war unglaublich! Mannheim! Der Krieg hatte so gewütet! Und man muss auch denken, sie war gar nicht wohlhabend auch. O.k., Ludwig XIV. hat sie dann gerettet. Ganz wichtig für jede fürstliche Gemahlin war der Heiratskontrakt. Der Ehevertrag. Da wurde festgelegt, was die Mitgift war. Und die Mitgift wurde dann investiert, um diese Zeit als Witwe zu finanzieren. Und bei ihr war das alles, alles gar nicht so genau. Und dann natürlich hat ihr Ehemann Unsummen verschlungen. Weggeben an seine Geliebten. Und es gab eine Zeit, wo sie wirklich gefürchtet hatte, arm zu sein. Und Ludwig XIV. hat ihr geholfen und dann ihr Sohn. Aber wohin hätte sie gehen können? Sie wollte auch nicht in ein Kloster. Das war auch ein Vorschlag. Nachdem sie Witwe wurde, und da hat sie gesagt: 'Also ich geh doch nicht in ein Kloster!' Das wäre für sie auch der lebende Tod gewesen.
MUSIK
SPRECHER
Liselotte bleibt also am französischen Hof bis an ihr Lebensende - gut 20 Jahre später - 1722 - da ist sie 70 Jahre alt. Sie hat nahezu alle Mitglieder der königlichen Familie überlebt. Und seit Kurzem sind ihre Aktien wieder gestiegen.
MUSIK ENDE
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Ludwig XIV. hatte vier Generationen von Nachkommen, die alle vor ihm weggestorben sind. Und dann der kleine Ludwig XV. wurde dann zu seinem Nachfolger. Aber man brauchte einen Regenten, und das war dann der lebende Sohn von Liselotte und von Monsieur, also von dem Herzog von Orléans.
MUSIK
SPRECHERIN
Philipp II. von Orléans wird also Regent für den noch unmündigen König Ludwig XV. Und damit ist Madame, die Mutter des Regenten, plötzlich erste Dame im Staat. Doch Liselotte konnte sich noch nie für Politik begeistern. Und nie war ihr die Staatsraison gleichgültiger als jetzt:
ZITATORIN
Ich bin alt. Ich habe Ruhe vonnöten. Frauen in meinem Alter knirschen und knarzen an allen Ecken und Enden. Mein Sohn - Gottlob! - hat Verstand, die Sache ohne mich auszuführen.
SPRECHER
Liselotte wendet sich jetzt ausschließlich ihrer Korrespondenz zu. Manchmal sind es zehn Briefe am Tag. Sie liefert unschätzbare Einblicke in das Alltagsleben des höfischen Absolutismus - die fulminante Briefchronistin hinterlässt ein einmaliges Vermächtnis! Die Oxforder Kulturwissenschaftlerin Helen Watanabe-O’Kelly:
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Unschätzbar! Und das war eine kluge Frau! Früher hat man sie ganz falsch gesehen. Man hat gedacht, ach ja, das ist so ein ungehobeltes Wesen irgendwie aus der deutschen Provinz. Überhaupt nicht so! Was ich an ihr sehr bewundere, das ist dieser Mut: 'Ich gebe nicht auf! Ich habe weiterzuleben, bis Gott mich zu ihm ruft. Das war so die Haltung. Und diese Beharrlichkeit, und diesen Mut und dieses Durchhaltevermögen: also getrennte Ehefrau, Witwe, und dann Mutter des Regenten von Frankreich! Alle sterben vor ihr weg quasi: (lacht) Vater, Bruder, Halbbruder, Karl Lutz, der erste kleine Sohn. Und sie sagt: 'Gottes Wille, ich muss es ertragen!'
SPRECHERIN
Ertragen konnte sie es, weil sie nicht nur am Hof, sondern auch in der Welt ihrer Korrespondenz leben konnte. Liselotte von der Pfalz ist eine der größten Briefschriftstellerinnen überhaupt und gilt Historikern heute als beste Quelle für Ungeschminktes aus Versailles.
ZITATORIN
Madame sein, ist ein ellendes [sic!] Handwerk!
O-TON Helen Watanabe-O’Kelly
Wenn sie vielleicht eine Bürgerliche gewesen wäre, hätten wir vielleicht eine begnadete Romanschriftstellerin gehabt!