Mythos Mond - Wie beeinflusst uns der Erdtrabant?
Er ist ein "herausgerissenes Kind" der Erde, ihr "natürlicher Satellit" und "treuer Begleiter" - und für die Menschheit von überragender Bedeutung: Ohne den Mond würde es uns vermutlich gar nicht geben. Doch wie genau wurde er zum Geburtshelfer für das Leben auf der Erde und wie hilft er bis heute, es zu bewahren? Von Martin Schramm
VON: Martin Schramm
Ausstrahlung am 15.5.2024
SHOWNOTES
Credits
Autor dieser Folge: Martin Schramm
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Andreas Neumann, Rahel Comtesse, Clemens Nicol
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Harald Lesch, Professor für Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München.
Dipl.-Geol. Ulrich Köhler, Planetengeologe am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Der Weltraum - vor viereinhalb Milliarden Jahren. - Ein Protoplanet, Vorläufer der heutigen Erde, hat eine schicksalhafte Begegnung:
Er kollidiert mit einem anderen Himmelskörper. Ein gigantischer Knall, bzw. eine Art „Streifschuss“, der Masse aus dem Mantel der Erde reißt - und dafür sorgt, dass sie fortan einen „treuen Begleiter“ hat, einen „natürlichen Satelliten“: den Mond.
SPRECHERIN
So oder so ähnlich könnte sich das damals abgespielt haben. Und auch wenn manches Detail noch im Dunklen liegt, uns dieser treue Begleiter bis heute noch jede Menge Rätsel aufgibt - fest steht: Ohne den Mond würde es uns Menschen vermutlich gar nicht geben - zumindest hätte sich einiges auf der Erde ganz anders abgespielt.
MUSIK: Howling moon 0‘15
GERÄUSCH: Erdbeben
ZITATOR
Der Geburtshelfer - oder: Das herausgerissene Kind der Erde
SPRECHER
Er ist ein Riese. Mit seinem Durchmesser von fast dreieinhalb Tausend Kilometern misst er mehr als ein Viertel des Erddurchmessers.
SPRECHERIN
Und dieses Verhältnis „Mond - Erde“ ist ein Superlativ in unserem Sonnensystem. Kein anderer Planet dort hat einen größeren Begleiter - im Verhältnis zu seiner eigenen Größe - sieht man mal von „Zwergplaneten“ wie Pluto und seinem Mond Charon ([ˈkaːrɔn] [ˈçaːrɔn] [çˈaːʁɔn]) ab.
SPRECHER
Die Erde hat, wie der Astrophysiker Harald Lesch gerne sagt, also einen Mond, der ihm Dienstgrad-mäßig gar nicht zusteht. Doch wie kommt das?
MUSIK: Apollo 0‘40
GERÄUSCH: Baustelle
SPRECHERIN
Dieses Rätsel hat die Astronomen lange Zeit beschäftigt. Und ein wichtiges „Puzzleteil“, um es zu lösen, sind Gesteinsproben vom Mond.
SPRECHER
Im Rahmen der Apollo-Missionen wurde dieses Gestein mit Hämmern, Bohrern, Schaufeln, Rechen und Zangen eingesammelt, in Tüten gesteckt und zur Erde gebracht. - Und die Analyse dieses Materials hatte es in sich:
01-O-TON Lesch Analyse
„Die Analyse des Mondgesteins, immerhin 400 Kilogramm, ergibt ganz eindeutig: Das Mondgestein ist so wie das Erdmantel-Gestein, nur ohne flüchtige Elemente. Das heißt, der Mond ist in seiner Zusammensetzung der Erde unheimlich ähnlich. Aber was fehlt, sind die Elemente, die bei einem starken Einschlag verschwinden, weil es heiß wird.“
SPRECHERIN
Erklären lässt sich das eigentlich nur durch das bereits eingangs geschilderte „Kollisions-Szenario“: ein anderer Planet, der rund 20 % der Erdmasse hatte, muss mit der Urerde kollidiert sein:
02-O-TON Lesch Kollisionsszenario
„Und der musste deswegen so schwer sein, wenn man das betrachtet, der Mond ist ja ein Körper, der außerhalb der Erde ist und ein Einschlag, der zu schwach ist, da fällt das Material einfach wieder auf die Erde runter. Es muss also genügend Bewegungsenergie drin sein, dass das Zeug so weit raus geschleudert wird, dass es nicht wieder auf die Erde zurückfällt. Daher die große Masse. Dieser Einschlag durfte, aber nicht so gedacht, nicht so gewesen sein, also irgendwie zentral volles Rohr sozusagen, sondern der muss streifend gewesen sein. Und dann bildet sich in einem Abstand von 60.000 Kilometer, also zehn Erdradien, bildet sich ein Gesteins-Ring - und innerhalb von wenigen Monaten, es gibt verschiedene Computersimulationen. Die einen sagen innerhalb von wenigen Monaten, die anderen sagen innerhalb von wenigen Jahren, ist aber angesichts der Tiefe der Zeit, in die wir da hineinblicken, auch wurscht, bildet sich der Mond.“
MUSIK: Earthquake 0‘42
SPRECHER
Eben aus jenem Material, das durch den heftigen Streifschuss vor allem aus der Erdkruste gelöst, stark erhitzt und in eine Erdumlaufbahn geschleudert wurde - um sich dort zusammenzuballen und zu einem Begleiter der Erde zu formen.
SPRECHERIN
Der Mond ist also vermutlich so etwas wie ein „herausgerissenes Kind“ der Erde. - Kein Begleiter, den die Erde irgendwie aus dem Weltall „eingefangen“ hat, oder der sich wie ein „Wassertropfen“ von der Urerde abgespalten hat - oder was sonst noch an möglichen Theorien kursierte.
SPRECHER
Und dieses Kind entfaltet zu seiner Mutter eine wechselvolle Beziehung: Mond und Erde ziehen sich gegenseitig regelrecht an - ganz ohne Magie:
03-O-TON Lesch Gravitation
„D.h. das Erde-Mondsystem beeinflusst sich gegenseitig, und zwar exakt in der Art und Weise, dass die Erde den Mond so anzieht, wie der Mond die Erde anzieht. Actio gleich Reactio. Gute alte Newtonsche Physik. Wir brauchen hier keinen Einstein. Wir brauchen gar nix. Wir haben zwei Massen, die sich gegenseitig beeinflussen. Und der Mond heute im mittleren Abstand von 400.000 km beeinflusst über seine Masse die Massenbewegungen auf der Erde, in der Erde, und die Massebewegung der Erde selbst. Das mal grundsätzlich.“
SPRECHERIN
Und dieser Gravitation, also Schwerkraftwirkung, verdanken wir dann Phänomene wie „Ebbe und Flut“ -
SPRECHER
- und eine Art „Knetmaschineneffekt“:
04-O-TON Lesch Knetmaschine
4:30 „Es gibt also tatsächlich zwei Wasserhügel, und die drehen sich um die Erde und zwar deshalb, weil die Erde sich unter ihnen weg dreht. Und das gleiche, was fürs Wasser gilt, gilt auch fürs Gestein. Während man es beim Wasser schön sehen kann - man stellt sich einfach in die Nordsee. Wartet sechs Stunden, und wenn man eben noch im Trockenen stand, wird man dann je nach dem wie weit man ins Watt hinausgelaufen ist, wird einem das Wasser bis zum Hals stehen. Ich kann nur warnen davor. Das Wasser kommt extrem schnell. Und das gleiche gilt also auch fürs Gestein. Das Gestein wird im Mittel um 30 cm angehoben. Und zwar überall auf der Welt. Das ist praktisch so eine ganz große Knetmaschine, die dadurch entsteht, dass die Erde sich am Mond vorbei dreht - und der Mond sich aber gleichzeitig noch einmal im Monat exakt einmal um den Mond herumdreht.“ 5:25
SPRECHERIN
Diese Effekte haben sich im Laufe der Zeit allerdings stark verändert: Der Mond geht nämlich langsam aber sicher auf Distanz zu seiner Mutter, strebt jedes Jahr um ca. eine Daumenlänge, etwa 3,8 Zentimeter von ihr weg.
GERÄUSCH: Meer
SPRECHER
Was andererseits bedeutet: Gerade in seiner Frühzeit vor Milliarden von Jahren war der Mond der Erde erstaunlich nahe – und die Gezeitenkräfte unglaublich heftig. - Ulrich Köhler, Planetengeologe am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt:
05-O-TON Köhler Leben
“Und da ist ein interessanter Aspekt zu betrachten: in der Zeit hat sich das Leben auf der Erde entwickelt, also vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahre. Etwas mehr vermutlich. Und das heißt der Tidenhub war sehr viel stärker. Und wenn man eben davon ausgeht, dass das Meer auf der Erde sich die Mineralstoffe geholt hat durch eben die Gezeiten an der Küste, die immer wieder die Gesteine verwittert haben. Und das gelöste Material dann im Meerwasser - das Meersalz ist das einfachste Beispiel - dass das sehr gute Voraussetzungen geschaffen hat, dass das Leben im Ozean entstanden ist.“
SPRECHERIN
Hinzu kommt ein weiterer Effekt: Die Erde wird durch den Mond regelrecht ausgebremst. Sprich: ohne Mond würde sich die Erde wesentlich schneller um die eigene Achse drehen - nicht in 24 Stunden wie heute - sondern eher in 9 bis 10 Stunden.
GERÄUSCH: Wind
SPRECHER
Mit drastischen Folgen auch für das Leben auf der Erde. - Harald Lesch:
06-O-TON Lesch Flache Bewohner
„Was hat das zu bedeuten – nun, wenn die Erde sich wesentlich schneller drehen würde, dann hätten wir sehr viel schnellere Strömungen in der Hochatmosphäre. Sogenannte schnelle Jetstreams. Die wären nicht 300, 400 km schnell, die wären 800, 900 km schnell. Und diese schnellen Strömungen übersetzen sich auf die tiefere Atmosphäre. Wir hätten hier Windgeschwindigkeiten zwischen 300 und 400 km - auf dem Boden! Wenn es also Lebewesen gäbe - dann wären die in jeder Hinsicht sehr flach. Und da ist der Zusammenhang: Also ohne den Mond würde es sicherlich keine aufrecht gehenden Homo sapiens geben. Wahrscheinlich nur Scholle, Scholle flach. Es hätte sich sicher auch Leben entwickelt, weiß ich nicht, - aber es wäre ganz anders geworden. In diesem Sinne hat der Mond für uns eine überragende Bedeutung.“
MUSIK: It will be fine (reduced) 0‘28
SPRECHERIN
Der Mond wurde aber nicht nur zum Geburtshelfer für das Leben auf der Erde - er hat auch geholfen, das Leben auf der Erde bis heute zu bewahren:
SPRECHER
Wie die Ausleger bei einem Segelschiff stabilisiert er mit seiner relativ großen Masse nämlich auch die Neigung der Erdachse - Ulrich Köhler:
07-O-TON Köhler Der Stabilisator
„Er sorgt mit seiner Bahn um die Erde dafür, dass die Erdachse relativ stabil im Raum orientiert ist. D.h. die Energieeinstrahlung der Sonne folgt einem klaren Muster, seit vielen Milliarden Jahren und verändert sich kaum. Und dadurch haben wir relativ stabile Bedingungen, die das frühe Leben sicherlich geschätzt hat. Und das macht natürlich einen großen Unterschied aus, wann wir Eiszeiten haben, wann wir Warmzeiten haben, wie das, was es sich auf der Erde verteilt und all diese Dinge. Also der Mond – ein schöner kleine Stabilisator für das Leben auf der Erde. Und das ist eine ganz wichtige Funktion.“
MUSIK: The great gig in the sky 0‘21
ZITATOR
Der Mann im Mond - oder: The Dark side of the Moon
SPRECHER
Erste, relativ genaue Mondkarten zeichnet u.a. der Italiener Giovanni Battista Riccioli - Mitte des 17. Jahrhunderts. Durch sein Teleskop erkennt er hellere und dunklere Bereiche, die er als “Terrae” und “Maria” bezeichnet, also als “Länder” und “Meere” - wohl in der Annahme, dass es tatsächlich Wasser und Ozeane auf dem Mond geben könnte.
SPRECHERIN
Heute sind wir schlauer: bei diesen angeblichen „Mond-Meeren“ handelt es sich um dunkle Tiefebenen, gerahmt von Gebirgszügen. Also um große, extrem flache Beckenstrukturen, mit weiten Ebenen aus erstarrter Lava. Staubtrocken. Von Wasser erstmal keine Spur.
MUSIK: Go through the cold (reduced) 0‘42
SPRECHER
Diese Tiefebenen formen auch das typische Mondgesicht - bzw. den „Mann im Mond“ - der in anderen Kulturen schon mal als „Krokodil im Mond“, als „Mondhase“ - oder auch als „Frau im Mond“ gesehen wird, die Brennholz auf dem Rücken trägt.
SPRECHERIN
Doch wie immer man diese Krater auch interpretiert. Eines ist seltsam: Warum schauen wir von der Erde aus eigentlich immer in das gleiche „Mondgesicht“? Warum verschwindet es nicht, oder zeigt sich mal von der Seite?
SPRECHER
Die Antwort lautet: „gebundene Rotation“. Die Gezeitenkräfte haben den Mond in seiner Rotation völlig eingebremst. Der dreht sich dadurch exakt einmal um seine eigene Achse, wenn er sich exakt einmal um die Erde dreht. Deshalb sehen wir immer die gleiche Seite des Mondes, seine „Vorderseite“.
MUSIK: Nocturnal research red 0‘41
SPRECHERIN
Was jede Menge Spekulationen über die von uns abgewandte und dadurch irgendwie auch geheimnisvolle Rückseite hervorrief. Die daher auch gerne mal als „The Dark Side of the Moon“ bezeichnet wurde - was natürlich Unsinn ist. Denn es mag dort vielleicht noch so manches verborgen sein - dunkel ist es dort aber nicht immer. Sprich: die „dunkle Seite“ des Mondes ist regelmäßig auch seine „helle Seite.“ Es gibt also auch auf dem Mond Tag und Nacht.
SPRECHER
Doch die Menschheit musste ganz schön lange warten, bis das Geheimnis um die Rückseite gelüftet wurde.
08-O-TON Köhler Abgewandte Seite
„Ja, da muss man sich bis in die 1960er-Jahre zurückversetzen und natürlich auch noch viel, viel früher. Das war schlichtweg ein Rätsel, wie die Mondrückseite aussehen würde, was würden wir dort erwarten? Und es war tatsächlich eine sowjetische Raumsonde, die Ende der 1950er-Jahre zum ersten Mal über die Mond Rückseite geflogen ist und Bilder zur Erde dann übertragen hat - und gezeigt hat, dass es dort etwas anders aussieht als auf der Mondvorderseite. Und seither wird es natürlich wissenschaftlich diskutiert, warum das so ist. Und eine richtige Antwort muss man ehrlicherweise sagen haben wir bis heute nicht.“
SPRECHER
Kleine grüne Männchen waren auf den Bildern zwar nicht zu sehen, auch keine großen. Doch die Forscher staunten nicht schlecht über die Geografie der Rückseite: Im Gegensatz zur Vorderseite gibt es dort fast keine dunklen Tiefebenen, sondern vor allem kraterreiche “Hochländer.”
SPRECHERIN
Doch wie ist das zu erklären? - Entstanden sind diese Becken auf der Vorderseite vermutlich, als Meteoriten die noch dünne Kruste des Mondes durchschlagen haben, Magma an die Oberfläche drang und die Krater flutete.
SPRECHER
Die Kruste auf der Rückseite ist allerdings deutlich dicker als die auf der Vorderseite: fast doppelt so dick. Und damit vermutlich zu dick, um dem Magma den Weg nach oben frei zu geben.
SPRECHERIN
Warum die Kruste auf der Rückseite so viel dicker ist - dieses Rätsel hat man bislang aber nicht wirklich gelöst.
MUSIK: The universe 0‘28
SPRECHER
Ansonsten steht der Mond im Vergleich zur Mutter Erde recht schutzlos da: Er hat kein Magnetfeld, das ihn vor geladenen Teilchen schützt, die von der Sonne kommen. Und: er hat keine Atmosphäre. Folglich gibt es auch keine Wolken, kein Wasser an der Oberfläche, kein Leben - und es fehlt ein Schutzschild gegen Beschüsse aller Art:
09-O-TON Köhler Schutzschild
„Na ja, das ist ein interessanter Aspekt. Denn, wenn der Mond keine Atmosphäre hat, wird er praktisch von den kleinsten Mikrometer großen Staubteilchen, die noch so im Sonnensystem herumschwirren, praktisch unmittelbar getroffen. Und das sind hohe Geschwindigkeiten, mit denen diese kleinen Teilchen auf die Mondoberfläche prasseln. Die Verglühen bei uns allesamt in der Erdatmosphäre. Wenn es größere millimetergroße Teilchen sind, dann sehen wir das als Sternschnuppen. Und ganz große Körper - kommt man vielleicht mal ein kleiner Meteorit auf der Erde an. Und so was. Aber beim Mond kommt das alles ungebremst und trifft auf die Gesteine der Mondoberfläche. Und pulverisiert die nach und nach, im Laufe der Jahrmillionen und in dem Fall sogar Jahrmilliarden.“
SPRECHERIN
Der Mondboden besteht dadurch aus einem ganz besonderen Staub, dem sogenannten „Regolith“, auf dem die Astronauten der Apollo-Missionen entsprechend scharfkantige Fußabdrücke hinterließen, wie in Zementpulver.
SPRECHER
Die Tatsache, dass dem Mond die Atmosphäre fehlt, hat aber noch weitere Auswirkungen: Sie macht ihn zu einem Himmelskörper der brutalen Extreme:
10-O-TON Köhler Extreme
„Dadurch, dass sie keine Atmosphäre hat, ist es in der Sonne richtig sauheiß, muss man so sagen. Das heißt, Astronauten brauchen entsprechende Kühlsysteme, und die Instrumente müssen vor zu hohen Temperaturen geschützt werden. Und sobald es allerdings Nacht wird und die Nacht dauert ja eben 14 Tage, da lässt die Temperatur sehr schnell nach. Und da geht es dann weit unter minus 100 Grad Celsius runter, weil eben auch wiederum die Wärme des Tages nicht durch eine Atmosphäre in die Nacht mitgenommen werden kann.“
SPRECHERIN
Eine riesige Herausforderung also für Habitate aller Art, die einmal auf dem Mond entstehen könnten: eine perfekte Isolierung wäre unerlässlich, um in der Eiseskälte nicht zu erfrieren. Vor allem weil die Nächte auf dem Mond eben endlose zwei Wochen dauern.
MUSIK: Futuristic workflow (red) 0‘32
SPRECHER
Für Aufregung sorgte schließlich die Entdeckung, dass dieser kalte, tote Brocken, der uns da begleitet, so staubtrocken wie immer angenommen, offenbar gar nicht ist. Eine Sonde lieferte tatsächlich Hinweise auf Wasser - u.a. in den Kratern am Südpol des Mondes, in die nie ein Lichtstrahl vordringt.
11-O-TON Köhler Wasser
„Und dort vermutet man Eis, also Wassereis. Und das hat man eigentlich spektral, mit Raumsonden in der Umlaufbahn schon nachgewiesen. Und da möchte man hin, um dieses Wassereis nutzen zu können. Zum einen eben für eine länger besiedelte Station, die eben genutzt wird für Wissenschaft und für Materialforschung. Und all diese Dinge, die man eben jetzt 50 Jahre nach Apollo machen möchte. Und zum anderen, um Treibstoff zu gewinnen, weil Wasser Eis lässt sich spalten in Wasserstoff und Sauerstoff. Und dann haben sie einen veritablen Raketentreibstoff. Und mit dem könnten sie eine Rakete betanken, die vom Mond dann zum Mars fliegt, weil sie dann nur ein Sechstel der Anziehungskraft beim Start überwinden müssen, um diese Rakete auf Spur zu bringen.“
SPRECHERIN
Und die Mengen, die dort vermutet werden, sind durchaus veritabel: ein paar Füllungen des Bodensees könnten es schon sein.
MUSIK: Mystic 1 0‘13
ZITATOR
Mond-Mythen - oder: Einfach nur ein schöner Brocken
SPRECHERIN
Der Mond hat für uns eine überragende Bedeutung. So viel steht fest, auch wenn wir ihm noch lange nicht alle Geheimnisse entlockt haben.
SPRECHER
Und zu den zahlreichen ungelösten Fragen, die der Mond uns immer noch aufgibt, gesellen sich dann auch noch eine ganze Reihe „Legenden und Mythen“ um die angebliche „Macht des Mondes“.
MUSIK: Well and warm 1‘10
SPRECHERIN
Hartnäckige Annahmen, dass der Mond unser Leben beeinflusst - auch jenseits aller Schwerkraft-Effekte wie Ebbe und Flut, und der Tatsache, dass es je nach Neu- oder Vollmond nachts mal heller und mal dunkler ist.
SPRECHER
Ratgeber bieten Hinweise an, wann man sich am besten operieren lässt, die Haare schneidet, am leichtesten abnimmt, im Garten arbeitet oder Bäume fällt.
SPRECHERIN
Manche Zeitgenossen sind auch fest davon überzeugt, dass sowohl Geburtenraten als auch Verkehrsunfälle vom Mond beeinflusst werden.
SPRECHER
In der Regel lassen sich derartige Zusammenhänge weder statistisch erhärten - noch ist klar, welche Kräfte dabei eigentlich am wirken sein sollen. Für Forschende ist dieser „Mondglaube“ daher nicht nur kaum nachvollziehbar - sie staunen auch, wie wenig derartige Ratschläge kritisch hinterfragt werden. - Der Astrophysiker Harald Lesch:
12-O-TON Lesch Aufklärung
„Alle diese Diskussion über kosmische Energien, ob das nun der Mond ist oder die Sterne oder was auch immer, haben nicht einen einzigen statistischen Test bis heute bestanden. Und wenn ich mir überlege, dass wir im Allgemeinen beim Kauf zum Beispiel eines Staubsaugers, eines Bügeleisens, eines Autos, Qualitätsüberprüfungen vornehmen - und danach fragen: Ja, haben wir denn - gibt es da TÜV-Untersuchungen? Hat die Stiftung Warentest dazu was zu sagen? Wir aber auf der anderen Seite bei solchen Weltbildern offenbar völlig undifferenziert uns einfach irgendwas erzählen lassen und sagen: Ja, Mensch, meine Oma, die hat ja damals auch schon immer gesagt, also der Mond, der Mond. Dann muss ich sagen, dann sind wir doch noch einen weiten Weg entfernt von dem, was Kant schreibt, was Aufklärung ist.“ 19:45
SPRECHERIN
Auch der zwar gesicherte, aber an sich schon eher kleine Schwerkrafteffekt ist eben nicht überall zu beobachten. Er führt nur deshalb zu Ebbe und Flut, weil die Ozeane riesig sind.
SPRECHER
Bei Seen ist bereits kein Effekt mehr zu erkennen. Geschweige denn bei uns Menschen selbst: die Gravitation und damit das Gewicht eines Menschen ändert sich durch den Mond zwischen Voll- und Neumond angeblich gerade mal um 0,000035 %.
SPRECHERIN
Mit anderen Worten: Die Wirkung ist so gut wie nicht messbar:
13-O-TON Lesch winzig
„Also man muss sich darüber im Klaren sein. Die Gravitationskraft ist ein Produkt. Und zwar von zwei Massen, die miteinander in Wechselwirkung treten. Also nehmen wir mal mich - 76 kg. Das ist wenig. Also ich bin jetzt nicht unter dem Einfluss des Mondes - ich bestehe ja wie jeder Mensch aus 70, 80 % Wasser. Das Wasser in mir wird durch die Schwerkraft des Mondes nicht besonders angezogen. Weil meine kleine Masse multipliziert mit der großen Masse des Mondes – meine kleine Masse ist das Problem - wenn ich so schwer wäre wie die Erde. Dann würde ich den Mond spüren. Aber solange ich nur so ein winziges Teilchen bin. Und das wird natürlich noch schlimmer, wenn man auf die molekulare Ebene runtergeht, dann bleibt gar nichts mehr übrig.“
MUSIK: Hopeful view 0‘49
SPRECHER
Unterm Strich fällt das Fazit eines Astrophysikers in Sachen Mondmystik daher erwartungsgemäß nüchtern aus:
14-O-TON Lesch - Schöner Brocken
„Das Ding ist 400.000 Kilometer von uns entfernt. Erstmal möchte ich mal wissen, ob irgendjemand sich vorstellen kann wie viel 400.000 Kilometer sind, es ist lange. Ich habe einen amerikanischen Apollo-Astronauten mal gefragt, hat gesagt: Es sind dreieinhalb Tage, du fliegst dreieinhalb Tage durch absolut nichts. Und bist froh wenn du dann mal wieder was siehst. Es ist wirklich lang. Es ist wirklich weit weg. Dieses Ding macht nichts anderes, als einfach nur schwer zu sein. Der Mond ist nicht geladen, also elektrisch irgendwie, der hat keinen Magnetfeld, nix. Da ist gor nix. Das ist einfach nur ein schöner Gesteinsbrocken. Gott sei Dank, dass wir ihn haben. Aber sonst ist da nichts dran.“