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Quantenphysik - Wahr, aber verrückt

In der Quantenwelt sind Dinge möglich, die völlig absurd erscheinen. Teilchenpaare sind etwa auf rätselhafte Weise miteinander verbunden, trotz riesiger Distanz zwischen ihnen. Die Quantenphysik hat unser gesamtes Weltbild verändert. (BR 2020) Autor: David Globig

Quantenphysik - Wahr, aber verrückt | Bild: colourbox.com
22 Min. | 31.10.2023

VON: David Globig

Ausstrahlung am 2.11.2023

SHOWNOTES

Credits
Autor/in dieser Folge: David Globig
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Katja Amberger, Florian Schwarz
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Prof. Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker;
Prof. Harald Lesch, Theoretische Astrophysik, Ludwig-Maximilians-Universität München;
Dr. Kurt Bräuer, Physiker, Tübingen;
Prof. Harald Weinfurter, Physik, Ludwig-Maximilians-Universität München;
Dr. Rupert Ursin, Experimentalphysiker, Wien

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN:

Ein Basketballspiel in seiner entscheidenden Phase. Mit dem Ball dribbelt der Angreifer an die Drei-Punkte-Linie. Dort stoppt er – und zielt.

ATMO Basketballspiel (weniger Geräusche auf dem Spielfeld, Ball wird nicht mehr geprellt, Publikum wartet gespannt), darüber

SPRECHERIN:

Den Korb fest im Blick wirft er genau im richtigen Winkel und mit der passenden Geschwindigkeit. Gebannt verfolgt das Publikum die Flugbahn des Balls...

GERÄUSCH Applaus, darüber

SPRECHERIN:

... bis er schließlich im Korb landet. Dass wir die Flugbahn eines Objekts exakt vorausberechnen können; und dass wir dadurch, dass wir dieses Objekt beobachten, jederzeit genau wissen, wo es sich gerade befindet: Das ist für uns eine völlig normale Alltagserfahrung.

SPRECHERIN:

Was beim Basketballspiel funktioniert, das klappt genauso ein paar Nummern größer: Auch die Bahnen der Planeten, die um die Sonne kreisen, können wir präzise bestimmen. Doch wenn wir uns umgekehrt in die Welt der kleinsten Teilchen begeben, in die Welt der Atome, Elektronen und Photonen, dann sieht die Sache plötzlich ganz anders aus.

SPRECHER:

Die Quantentheorie - Ein Abschied von alten Gewissheiten

SPRECHERIN:

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren sich die Physiker ziemlich einig: Die Prinzipien, nach denen die Welt 'funktioniert', die haben wir verstanden. Besonders Galileo, Kepler und Newton hatten mit ihren Erkenntnissen entscheidend dazu beigetragen. Für wie vollständig die Forscher ihr Weltbild hielten, schilderte Max Planck 1942 in einem kurzen Film. Er erinnerte sich an die Worte, die ihm sein Münchner Physikprofessor Philipp von Jolly gut 60 Jahre zuvor mit auf den Weg gegeben hatte. Damals wollte Planck sein Studium in Berlin abschließen.

01 O-TON Planck (Selbstdarstellung von 1942):

"Er sagte mir nämlich: 'Theoretische Physik, das ist ja ein ganz schönes Fach, obwohl es gegenwärtig keine Lehrstühle dafür gibt. Aber grundsätzlich Neues werden Sie darin kaum mehr leisten können. Denn mit der Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie ist wohl das Gebäude der theoretischen Physik ziemlich vollendet. ((Man kann wohl hier und da in dem einen oder anderen Winkel ein Stäubchen noch auskehren, aber was prinzipiell Neues, das werden Sie nicht finden."))

SPRECHERIN:

Ein kolossaler Irrtum, wie sich einige Jahre später zeigen sollte. Und es war ausgerechnet Max Planck, der - eher unfreiwillig – eine Revolution der Physik einleitete. Dabei wollte er nur eine scheinbar einfache Frage beantworten: In welcher Farbe leuchtet ein Körper, den man stark erhitzt? Wann glüht er dunkelrot, wann sieht man Weißglut? Dabei fand Planck im Jahr 1900 eine Formel, die besagte, dass ein Material Energie nur in Form winzigster Portionen aufnehmen und abgeben kann. Planck nannte diese Energie-Pakete "Quanten". Für ihn war das erst einmal nur so etwas wie ein Rechentrick. Doch Forscher wie Albert Einstein und Niels Bohr griffen die Idee in den folgenden Jahren auf. Sie zeigten, dass z.B. Licht tatsächlich in Form solcher kleinen Portionen unterwegs ist: den Lichtquanten oder Photonen. Das widersprach völlig dem damaligen physikalischen Weltbild, erklärt der Wissenschaftshistoriker Prof. Ernst Peter Fischer.

02 O-TON Fischer 01:

"Man wusste seit so etwa 1800, dass das Licht eine Welle ist. ((Damals hatte ein Engländer namens Thomas Young bewiesen, dass Licht interferieren kann, dass Licht plus Licht Dunkelheit ergeben kann. Mit anderen Worten: Licht ist eine Wellenbewegung.)) Und die Physiker dachten, das ist entschieden. Mit dem Quantum bekommt das Licht wieder so einen Teilchencharakter, nicht. Da kommen so einzelne Wellenpakete. Und diese Wellenpakete sind aber dann als Teilchen zu deuten."

SPRECHERIN:

Dass in der Natur etwas nicht kontinuierlich abläuft, sondern in winzigen Quanten-Stufen: Viele Physiker empfanden diese Vorstellung damals regelrecht als Zumutung. Doch nur so lassen sich etliche physikalische Phänomene erklären.

Für den jungen dänischen Physiker Niels Bohr war die Quantentheorie Ausgangspunkt für ein anschauliches Atommodell. Bohr nahm an, dass die Elektronen wie die Planeten in unserem Sonnensystem um den Atomkern kreisen: auf ganz bestimmten Bahnen. Sie können allerdings von einer Umlaufbahn auf eine andere wechseln, wenn sie ein Licht- oder Energiequant aufnehmen - oder es abgeben. Das ist übrigens der vielzitierte "Quantensprung".

Allzu lange hatte Bohrs Atommodell allerdings nicht Bestand. Ab Mitte der 1920er Jahre krempelte ein anderer junger Wissenschaftler, Werner Heisenberg, das physikalische Weltbild noch einmal komplett um.

03 O-TON Fischer 02:

"Er hatte plötzlich die Idee, dass man aufhören müsste, die Physik der Atome von alltäglichen Modellen her zu konstruieren. Also z.B. von der Annahme ausgehend, dass die Elektronen eine Bahn haben. Vielleicht gibt es gar nicht so etwas wie die Bahn eines Elektrons; denn beobachten kann man die ja nicht."

SPRECHERIN:

Heisenberg bildete deshalb ein mathematisches Schema, in das unter anderem die Frequenz, also die "Farbe" des Lichts einging, das ein Atom aussenden kann. Diese Frequenz lässt sich beobachten. Damit begründete er die "Quantenmechanik" – nur, um kurze Zeit später etwas noch Revolutionäreres zu formulieren: die Unschärfe- bzw. Unbestimmtheitsrelation.

Erinnern wir uns an das Basketballspiel

GERÄUSCH Basketballspiel, darüber

SPRECHERIN:

Wir sehen in jedem Moment genau, wo sich der Ball befindet - und mit welcher Geschwindigkeit er Richtung Korb fliegt. Mit Messgeräten könnten wir die Werte sogar exakt ermitteln.

Heisenberg erkannte, dass das in der Welt der kleinsten Teilchen nicht geht. Wenn man dort etwa die Geschwindigkeit eines Elektrons exakt misst, dann kann man seinen Ort gleichzeitig nur ungenau bestimmen – und umgekehrt. Wie müssen wir uns also z.B. Elektronen in einem Atom vorstellen?

04 O-TON Lesch 01:

"Das wichtigste ist, dass man nicht mehr genau weiß, wovon man eigentlich spricht. Weil man keine klare Lokalisation mehr vornehmen kann: Das ist da, und das ist auch zu einer bestimmten Zeit genau an diesem Ort. Dass all diese Genauigkeiten auf einmal schwammig wurden, also dass man nur noch statistische Aussagen machen kann."

SPRECHERIN:

... betont der Astrophysiker Harald Lesch. Er ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Man kann also nur noch angeben, in welchem Bereich sich ein Elektron wahrscheinlich aufhält. Das Planetenmodell hat damit endgültig ausgedient. Und versucht man, die Eigenschaften von Elektronen, Photonen usw. zu beschreiben, wird die Sache richtig merkwürdig, erklärt Dr. Kurt Bräuer. Er hat am Institut für Theoretische Physik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen lange Zeit Studierende in die Grundlagen der Quantenmechanik eingeführt. Die Eigenschaften etwa eines Elektrons sind nämlich nicht eindeutig.

05 O-TON Bräuer 02:

"Es hat ganz viele Aspekte und man kann es so anschauen und so anschauen. Und wie es dann erscheint, als Teilchen oder Welle, das hängt vom Beobachter ab."

SPRECHERIN:

Bzw. davon, wie man es beobachtet oder was man misst. Erst durch diese Messung bekommt ein Elektron – oder auch ein Photon, also ein Lichtquant - seine Eigenschaften. Daraus ergeben sich ziemlich seltsame Konsequenzen.

SPRECHER:

Welle, Teilchen, Quantenspuk – Erstaunliche Phänomene im Mikrokosmos

SPRECHERIN:

In der Quantenwelt gelten völlig andere Gesetze als in der makroskopischen, klassischen Welt; also der Welt, mit der wir es tagtäglich zu tun haben. Besonders deutlich wird das beim sogenannten Doppelspalt-Versuch. Man nehme: eine Quelle, die Elektronen aussendet – einzeln, ein Elektron nach dem anderen. Außerdem braucht man einen Schirm, auf dem jedes Elektron, das dort auftrifft, einen kleinen Lichtblitz erzeugt. Diese Blitze aufzeichnen zeichnet man auf. Zwischen Quelle und Schirm kommt dann noch eine Blende mit zwei Spalten - parallel zueinander. 

Anschließend schaltet man die Elektronenquelle ein und schaut, was passiert, wenn die winzigen Teilchen Richtung Schirm rasen.

06 O-TON Bräuer 05:

"Und dann denkt man natürlich: Okay, jetzt kann das Elektron entweder durch den einen Spalt oder den anderen durch. Und ich sehe hinten auf meinem Schirm praktisch das Schattenmuster von der Blende. Einfach da, wo die durchgehen, da gehen die auf den Schirm und sonst ist der Schirm dunkel. Und das ist nicht der Fall."

SPRECHERIN:

Zeichnet man die Lichtblitze über längere Zeit auf, dann erscheint statt zweier meist etwas unscharfer, leuchtender Flächen, die ineinander übergehen, eine deutlich sichtbare Struktur: Viele helle und dunkle Streifen nebeneinander. Es ist ein typisches Interferenz-Muster, das anzeigt: Hier überlagern sich Wellen. Trifft Wellenberg auf Wellenberg, wird daraus ein höherer Berg. Das bedeutet: heller Streifen. Trifft Wellenberg auf Wellental, löschen sie sich gegenseitig aus. Es entsteht: ein dunkler Streifen. D.h. jedes einzelne Elektron scheint als Welle durch beide Spalte zu laufen.

07 O-TON Bräuer 07A + 07B:

"Wie kann das sein? Also, ich weiß doch, Elektronen sind Teilchen. Ich guck einfach. Ich mach einen Detektor, der nachguckt, ob das Elektron durch den unteren oder oberen Spalt geht. Und jetzt wird das ein bisschen verrückt."

SPRECHERIN:

Denn baut man diesen Detektor, also eine Messvorrichtung ein, die registrieren kann, wo das Elektron entlangfliegt, und startet den Versuch erneut, dann ist plötzlich alles anders.

08 O-TON Bräuer 07C:

"Wenn man das macht, gell, man sieht dann tatsächlich: In 50 % der Fälle spricht mein Detektor an, mein Wege-Detektor, sonst nicht. Dann ist aber auch das Muster weg."

SPRECHERIN:

Sobald man also misst, welchen Weg ein Elektron nimmt, verhalten sich die Elektronen wie Teilchen. Mal geht eines durch den einen Spalt, mal durch den anderen. Ohne Wege-Detektor zeigt die Verteilung der Elektronen auf dem Leuchtschirm deren Wellencharakter. Es gibt demnach mehr als eine korrekte Beschreibung des Elektrons - auch wenn sich diese Beschreibungen scheinbar widersprechen. Niels Bohr hat dafür den Begriff "Komplementarität" geprägt. Die unterschiedlichen Eigenschaften lassen sich aber nicht gleichzeitig registrieren.

Welle - Teilchen: Diesen "Dualismus" können Forscher sogar bei erstaunlich massiven Objekten nachweisen. ((Der Physiker Prof. Harald Weinfurter von der Ludwig-Maximilians-Universität München erläutert.

09 O-TON Weinfurter 11:

"Die Gruppe von Markus Arndt an der Uni Wien, die führen Experimente durch, bei denen sie Interferometrie mit Materie machen. Aber jetzt nicht mit einzelnen Atomen, sondern mit riesengroßen Molekülen. Und diese Moleküle werden immer größer, größer, sind schon organische Moleküle, wie sie auch in unserem Körper regelmäßig vorkommen."

SPRECHERIN:

Photonen, Elektronen, Atome, Moleküle - in dieser Welt der Quanten fällt eine entscheidende Rolle dem Beobachtenden zu. Er legt durch seine Beobachtung, seine Messung, die Eigenschaften der winzigen Objekte fest. 

Solange er nicht misst, ist z.B. ein Elektron nur so etwas wie die Summe oder die Überlagerung "aller Möglichkeiten, die es sein kann", beschreibt Ernst Peter Fischer.

10 O-TON Fischer 03:

"Die Physiker haben dafür den hübschen Ausdruck des Superpositionsprinzips. D.h. es ist ein kreativer Akt des Wissenschaftlers, der die Natur schafft. Das ist übrigens die eigentlich sensationelle Entdeckung, die in der Quantentheorie drin steckt: Die Beteiligung des Beobachters ist ja nicht, dass er das Experiment stört, sondern die Phänomene erschafft."

SPRECHERIN:

... aus dieser "Summe aller Möglichkeiten". Er legt einen Zustand fest. Wobei "beobachten" sich nicht auf Messungen bei Experimenten beschränkt. Auch die Wechselwirkung der Quantenobjekte mit ihrer Umgebung ist so etwas wie eine Messung, eine Beobachtung. Irgendwann geht so ihr quantenmechanischer Zustand verloren.

Bis das passiert stellen die Quantenphänomene unseren am Alltag geschulten Verstand allerdings auf eine ziemlich harte Probe. Z.B. auch dadurch, dass Atomkerne in der Lage sind, auf geradezu magische Weise Barrieren zu durchdringen. Man spricht vom Tunneleffekt. Er spielt unter anderem in Sternen wie unserer Sonne eine Rolle, erklärt Harald Lesch, wenn bei der Kernfusion aus Wasserstoff Helium wird.

11 O-TON Lesch 12:

"Wie können zwei Teilchen miteinander zu einem neuen Atomkern verschmelzen, wo sie doch beide positiv geladen sind z.B.? Und positive Ladungen stoßen sich ab. Und zwar umso stärker, je näher sie beieinander sind."

SPRECHERIN:

... was eigentlich verhindern müsste, dass sie verschmelzen. Und trotzdem klappt es. Weil – der Quantenmechanik sei Dank – die Teilchen unbestimmt sind. D.h. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kommen sie sich eben doch nahe genug.

12 O-TON Lesch 12B:

"Und so entsteht z.B. in der Sonne bei einem Zusammenstoß von einer Trillion Zusammenstößen, und eine Trillion ist immer eine Eins mit 18 Nullen. Also d.h. mit einer sehr, sehr geringen Effizienz entstehen immer wieder neue Atomkerne."

SPRECHERIN:

... wodurch die Energie frei wird, der wir das Sonnenlicht und somit unsere Existenz verdanken.

Dass sich Teilchen an Orten aufhalten, die ihnen – zumindest nach den Gesetzen der klassischen Physik - eigentlich "verboten" sind, das macht auch technische Anwendungen möglich, wie das Rastertunnelmikroskop. Man kommt bis auf die Größe einzelner Atome... Mit seiner Hilfe lassen sich selbst einzelne Atome abbilden.

Und da wäre noch eine dieser "Verrücktheiten" aus der Quantenwelt:

13 O-TON Ursin:

"Die Quantenmechanik sagt vorher, dass zwei Teilchen miteinander in Verbindung bleiben – über unendlich lange Distanzen."

SPRECHERIN:

Erklärt der österreichische Experimentalphysiker Dr. Rupert Ursin. Er forscht mit genau solchen Teilchen - man bezeichnet sie als "verschränkt". 

Ein Laser und ein spezieller Kristall genügen z.B., um verschränkte Photonen-Paare zu erzeugen. Die kann man nun in zwei verschiedene Richtungen losschicken. Möglichst weit.

14 O-TON Ursin:

"Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, quantenmechanische Verschränkung, quantenmechanische Phänomene nicht nur im Labor nachzuweisen, über die Distanzen von einigen Metern, die man im Labor nachweisen kann, sondern über sehr weite Distanzen."

SPRECHERIN:

Von einer Insel zur nächsten etwa, oder von einem Satelliten zur Erde. An einem dieser Photonen misst man nun die Schwingungsebene des Lichts, die Polarisation. Damit legt man von den möglichen Schwingungsrichtungen eine fest. Aber nicht nur bei diesem Photon, sondern im selben Augenblick auch bei dem weit entfernen anderen. So, als seien sie eine Einheit. Das würde selbst über eine Entfernung von mehreren Lichtjahren funktionieren. Nutzen kann man das unter anderem, um für verschlüsselte Verbindungen einen digitalen Schlüssel zu verteilen – einen Schlüssel, der sich nicht unbemerkt abfangen lässt, betont der Physiker Prof. Harald Weinfurter.

15 O-TON Weinfurter 16A:

"Die Informationen, die ein möglicher Abhörer, der bei dieser Erzeugung dann irgendwie attackiert haben könnte, erhalten hat, die kann man messen. 

SPRECHERIN:

Denn jede Beobachtung, jede Messung durch eine dritte Person ändert den Zustand der Quantensysteme.

Verschränkung spielt auch bei Quantencomputern eine wichtige Rolle. Genauso wie die Superposition, also diese merkwürdige Überlagerung von Zuständen, die sich eigentlich ausschließen. Anders als "normale" Bits sind Quanten-Bits während der Berechnung nicht auf den Wert 1 oder 0 festgelegt. Das geschieht erst, wenn der Rechner am Ende ein Ergebnis ausliest.

Noch sind Quantencomputer in erster Linie Forschungsobjekte. Andere Quantentechnologien hingegen haben längst in unserem Alltag Einzug gehalten: vom Laser über die Atomuhr bis zur Magnetresonanztomographie in Arztpraxen und Kliniken.

Doch die Quantentheorie hat auch noch etwas ganz anderes bewirkt: Sie hat unsere Weltsicht verändert.

SPRECHER:

Neu betrachtet - Wie Quantenphänomene für einen anderen Blick auf die Dinge sorgen

SPRECHERIN:

Woher kommen wir? Und warum ist die Welt so, wie sie ist? Es sind ganz grundlegende Fragen, die die Quantenphysik berührt. Das fängt schon damit an, dass es uns gar nicht gäbe, wenn nur die Gesetze der klassischen Physik gelten würden, betont Harald Lesch.

16 O-TON Lesch 9:

"Die Quantenmechanik erklärt vor allen Dingen die Stabilität der Materie, warum die Elektronen eben nicht in den Atomkern hineinfallen. Eigentlich müssten sie im Affenzahn in den Kern rein spiralieren; und da müssten sich Neutronen bilden. Tun es aber nicht."

SPRECHERIN:

Und weil sie es nicht tun, sondern die Atome stabil sind, existiert diese Welt - und gibt es uns.

Die Quantenmechanik erklärt den Aufbau der Atome, ihre Position im Periodensystem der Elemente, ihre chemischen Eigenschaften.

Und dank der Quantenphysik können wir exakt berechnen, welche elektromagnetische Strahlung Atome unter bestimmten Bedingungen abgeben: Licht, aber auch Radiowellen. Das eröffnet völlig neue Perspektiven beim Blick ins All.

17 O-TON Lesch 8A:

"Damit können wir zum Beispiel die Rotations-Kurven von sehr weit entfernten Galaxien messen. Wir können das gesamte Universum durchmustern damit. Also ohne die Quantenmechanik hätten wir gar keine Instrumente, um das Universum dermaßen zu untersuchen, wie wir es heute können. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit, überhaupt Astrophysik machen zu können."

SPRECHERIN:

Woher kommen wir? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Aber auch: Was können wir wissen? Das sind nicht nur naturwissenschaftliche Fragen, sondern genauso philosophische. Etwa für Werner Heisenberg waren Physik und Philosophie nicht voneinander zu trennen. Er machte sich unter anderem Gedanken darüber, ob klassische philosophische Konzepte auch in Zeiten der Quantenmechanik noch Bestand haben. Wenn es z.B. um den Aspekt geht, was denn ein Quantenobjekt wirklich ist; etwa ein Elektron, das mal so und mal ganz anders erscheinen kann – je nachdem, wie man es durch seine Beobachtung festlegt.

Hier wird es auch für Harald Lesch philosophisch.

18 O-TON Lesch 10:

"Es gibt Eigenschaften, die wir diesem Objekt zuordnen können. Aber was es tatsächlich ist, wissen wir nicht. Im besten kantschen Sinne könnte man davon sprechen: Wir werden nie erfahren, was das 'Ding an sich' eigentlich ist."

SPRECHERIN:

Niels Bohr glaubte ebenfalls, dass Erkenntnisse aus der Quantenphysik auch jenseits der Naturwissenschaften eine wichtige Rolle spielen. Er sah z.B. in der Komplementarität ein allgemeines erkenntnistheoretisches Prinzip. Also, dass zwei komplementäre Eigenschaften sich zu widersprechen scheinen, man aber beide braucht, um etwas korrekt zu beschreiben. So wie beim Licht, das eben Wellen- und Teilchencharakter hat. Bohr übertrug dieses Prinzip unter anderem auf die Biologie und Psychologie.

Auch der Physiker Wolfgang Pauli sah Parallelen zwischen der Quantenphysik und der Psychologie. Über Jahre tauschte er sich mit dem Psychologen C. G. Jung aus, erklärt Kurt Bräuer.

19 O-TON Bräuer:

"Und der sagt, eigentlich ist die Welt und unsere Existenz uns gar nicht bewusst, sondern, so wie die Spitze von einem Eisberg, dringen Inhalte ins Bewusstsein. Also etwas, was gar nicht fassbar ist, das sich aber auf ganz unterschiedliche Weise im Bewusstsein äußert und sich dann manifestiert."

SPRECHERIN:

Ähnlich, wie sich eine physikalische Eigenschaft eines Quantenobjekts erst durch eine Messung manifestiert – aus der "Summe aller Möglichkeiten, die es sein kann".

((Ideen aus der Quantenphysik haben aber auch Künstler aufgegriffen: So spielt z.B. in der Musik von John Cage der Zufall eine wichtige Rolle. Begriffe wie "Quantisierung" und "Komplementarität" wurden zur Anregung für Skulpturen an. Und auf der documenta in Kassel waren einmal Quantenexperimente des österreichischen Physikers Anton Zeilinger zu sehen.))

Immer wieder muss die Quantenphysik allerdings auch für pseudo-wissenschaftliche Erklärungen herhalten – für Dinge, die mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun haben, ärgert sich Harald Weinfurter.

20 O-TON Weinfurter:

"Der ganze Missbrauch, muss ich wirklich sagen, der mit Quanten-Blabla betrieben wird: Es ist einfach fürchterlich."

SPRECHERIN:

Aber da es nun mal in der Welt der kleinsten Teilchen ein ganzes Stück verrückter zugeht, als wir es aus unserem Alltag gewohnt sind, lässt sich eben so mancher vom Wort "Quanten" blenden.

Und es gibt da noch einen – naja, Missbrauch ist vielleicht zu viel gesagt: das besonders bei Politikern und in der Wirtschaft beliebte Wort "Quantensprung", für einen großen Fortschritt. Die Entdeckung des Quantensprungs war zwar revolutionär, aber letztlich ist er nur das, was ein winziges Elektron in einem winzigen Atom vollführt.

((21 O-TON Lesch 13:

"Naja, rein qualitativ ist das ja ein vernünftiger Begriff. Also, dass man sagt, okay, da findet etwas völlig Neues statt. Aber quantitativ ist es natürlich ziemlich mickrig. Insofern sollte man mit der Verwendung dieses Begriffes eher vorsichtig sein."))

Radiowissen | Bild: Getty Images / BR
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