Raffael - Kunststar der Renaissance
Er ist so bekannt, dass er nicht einmal einen Nachnamen braucht: der italienische Maler Raffael (1483 -1520). Bereits seinen Zeitgenossen galt er als "Gott der Malerei". Doch warum wurde gerade er so vergöttert? Autorin: Julie Metzdorf (BR 2020)
VON: Julie Metzdorf
Ausstrahlung am 20.2.2024
SHOWNOTES
Credits
Autorin dieser Folge: Julie Metzdorf
Regie: Eva Demmelhuber
Es sprachen: Irina Wanka, René Dumont
Technik: Christian Schimmöller
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Andreas Henning (Kunsthistoriker und Renaissance-Experte, ehem. Kurator Staatsgemäldesammlungen Dresden)
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
(Musikeinsatz)
ERZÄHLERIN:
Am 6. April 1520 stirbt in Rom der Maler Raffael Sanzio auch Santi genannt. Er ist gerade 37 Jahre alt, unverheiratet und ohne Kinder. Die Zeitgenossen sind erschüttert. Im Grabspruch heißt es, im Moment seines Todes hätte die Erde vor Trauer gebebt und weil sie fürchtete, über den Verlust selbst zu sterben. Beigesetzt wird Raffael im altehrwürdigen Pantheon.
OT 1 Andreas Henning
Dass Raffael im Pantheon begraben wurde auf eigenen Wunsch, das zeigt die Ausnahmestellung, die er in Rom innehatte und die Zeitgenossen, die seinen Tod beschreiben, bzw. die Begleiterscheinungen seines Todes, das ist auffällig, dass es da schon auch immer um noch eine andere Dimension geht.
ERZÄHLERIN:
Dr. Andreas Henning, Experte für italienische Malerei:
OT 2 Andreas Henning
unglaubliche Es wird ja unmittelbar in den zeitgenössischen Berichten, Tagebucheinträgen, Briefen, Christus-Referenzen deutlich, also es wird verglichen, dass es ein Erdbeben gab, dass der Papst seine Gemächer verlassen musste, weil sich Risse im Bauwerk gezeigt haben, also dass die Erde erschüttert war. Also Überhöhungen, die aber eben auch einen Grund haben müssen, dass Raffael auf seine Zeitgenossen so gewirkt hat.
ERZÄHLERIN:
Die genaue Todesursache ist unklar. Manche Quellen vermuten, er habe sich bei Ausgrabungen des antiken Roms das Sumpffieber zugezogen und interpretieren seinen Tod als Rache des Hades, weil Raffael die alte Stadt dem Vergessen entreißen wollte. Der Kunsthistoriker Giorgio Vasari verbreitet in seiner Biographie des Malers aus dem 16. Jahrhundert das Gerücht, Raffael sei an einer Geschlechtskrankheit gestorben, die er sich bei einer seiner zahlreichen Affären zugezogen haben soll. Doch Vasari kannte Raffael nicht mehr persönlich, hatte aber immerhin mit zahlreichen seiner Kollegen gesprochen. Allerdings weisen andere Quellen explizit auf den sehr sittlichen Lebenswandel Raffaels hin.
Bereits zu Lebzeiten galt er als Gott der Malerei, und diese Verehrung setzt sich über viele Jahrhunderte hindurch fort – anders als etwa Michelangelo und Leonardo, die von der Nachwelt erst im 19. und 20. Jahrhundert in den Malerolymp erhoben wurden.
OT 3 Andreas Henning
(Raffael) (Es) ist dieser Ausnahmekünstler der Themen so formuliert, dass offenkundig jede Generation neu hinschauen kann und für sich darin neue Dinge und Werte und Anregungen entdeckt. Zugleich ist Raffael der Künstler, der in seiner Biografie gezeigt hat, dass man einen Teil der Kunst auch lernen kann. ((Dass man also nicht nur als Genie aus dem Nichts auf den Markt kommt, sondern dass man sich eben durch Perugino durch die Auseinandersetzung mit Leonardo, Michelangelo auch entwickeln kann. … und insofern ist er ein vorbildlicher Künstler auch dafür, wie man Künstler werden kann.))
ERZÄHLERIN:
Geboren wurde Raffael im Jahr 1483, das genaue Datum ist nicht bekannt. Seine Heimatstadt Urbino ist eine kleine Stadt, in der Kunst und Literatur großgeschrieben wurden. Sie liegt in den italienischen Marken etwa auf der Höhe von Florenz. Raffaels Vater arbeitete zunächst als Goldschmied, später als Maler. Doch er starb früh, Raffael soll gerade einmal 11 Jahre alt gewesen sein, seine Mutter hatte er bereits mit 8 Jahren verloren. In der Werkstatt des Malers Perugino machte Raffael eine Ausbildung. Sein Ausnahmetalent zeigte sich früh. Bereits nach wenigen Jahren soll er seinen Meister überflügelt haben.
ERZÄHLERIN:
Mit Anfang 20 ging Raffael nach Florenz, um dort Michelangelo und Leonardo zu studieren und ihnen nachzueifern. Eines seiner frühen Meisterwerke dieser Zeit ist die sogenannte „Pala Baglioni“. Das Bild zeigt die Grablegung Christi:
SPRECHER:
Zwei Männer tragen den Leichnam des Heilands auf einem weißen Leintuch, im Hintergrund ist der Berg Golgatha mit den drei leeren Kreuzen zu sehen, links das Ziel ihres Wegs, die dunkle Grabkammer. Die zahlreichen Figuren um das Geschehen herum sind zutiefst bewegt – körperlich und emotional: Maria Magdalena hat die Hand Christi ergriffen, scheint ihm noch etwas zuzurufen; einer der Jünger hat grollend die Augen zum Himmel erhoben; und seine Mutter Maria ist ohnmächtig zusammengebrochen.
ERZÄHLERIN:
Aus einem eigentlich eher statischen Bildmotiv macht Raffael hier eine dramatische Bilderzählung.
OT 4 Andreas Henning
Raffael ist ja ein Künstler, der unglaublich aufgesogen hat, was in seiner Zeit existierte, um daraus etwas eigenes zu machen und die Grablegung ist ein unglaublich erzählerisches Altarbild geworden, wo man beispielsweise die Schwere des Körpers Christi, der da zu Grabe getragen wird, ganz unmittelbar spüren kann, das sind wirkliche Individuen, Persönlichkeiten, die da diesen Christus tragen und auch eine Last spüren.
SPRECHER
Außerdem gelingt es Raffael hier, zwei Geschichten auf einmal zu erzählen: In dem Bild zeigt er einerseits den Tod Christi als historisches Geschehen. Zugleich zieht er das konkrete Ereignis auf eine allgemeine Ebene: Wir sehen einen von vielen geliebten jungen Verstorbenen; das Unverständnis seiner Zeitgenossen über diesen viel zu frühen Tod und die Qualen seiner Mutter.
ERZÄHLERIN:
In dieser allgemeinen Version kann wohl jeder das Drama des Geschehens nachempfinden. Und zwar nicht nur mit Jesu Mutter mitfühlen, sondern auch mit der Auftraggeberin, Atlanta Baglioni: Ihr eigener Sohn war jung im Kampf umgekommen. Indem er die Gefühle der Umstehenden betont, holt Raffael das Bibelgeschehen in seine eigene Zeit.
OT 5 Andreas Henning
Raffael versucht, christliche Themen, theologische Themen für seine Zeit, für die Menschen verständlich zu machen, also er ringt darum eine Ausdruckskraft zu finden, die nicht nur rein symbolisch ist, die sich nicht nur in Attributen erschöpft, die man lesen kann, wo man ein Wissen heranträgt… sondern sein Ansatz ist, etwas sinnenfällig machen zu wollen.
ERZÄHLERIN:
Sinnfällig im Sinne von: spürbar, für den Betrachter leicht nachvollziehbar. Die Zeitgenossen sind überwältigt von dem Gemälde, von nun an stehen dem jungen Maler Tür und Tor der mächtigsten Häuser offen. Schon bald wird er an den Hof von Papst Julius II. nach Rom berufen. Dort lassen sich die berühmtesten Männer der Zeit von ihm porträtieren, Grafen, Bankiers, Kardinäle, der Papst höchstpersönlich. Sie schätzen ihn nicht nur als Maler, sondern auch als Mensch und Gesprächspartner.
OT 6 Andreas Henning
Ich denke, dass Raffael eine Persönlichkeit war, die sehr interessiert an seiner Zeit an den Neuentwicklungen seiner Zeit war, der auch sehr, sehr viel begriffen hat offenkundig auch mit vielen Beratern, Theologen diskutiert hat… und zugleich muss er aber auch eine extrem soziale Person gewesen sein. Es gibt Berichte, dass wenn er aus seiner Werkstatt zum Papst gegangen ist ein großes Ehrengeleit ihm gegeben wurde, einfach, weil man ihn als Mensch auch so sehr geschätzt und verehrt hat.
ERZÄHLERIN:
Raffael ist gerade einmal Mitte 20, da bekommt er den Auftrag seines Lebens: er soll die sogenannten „Stanzen“, die Privatgemächer des Papstes im Apostolischen Palast ausmalen. Es handelt sich um große, halbkreisförmige Wandfresken, fast 8 Meter breit und 5 Meter hoch. Er beginnt in der Bibliothek des Papstes und malt dort „Die Schule von Athen“:
SPRECHER:
Das Gemälde zeigt einen monumentalen Innenraum mit hohem Tonnengewölbe und Marmorfußboden. Im Zentrum stehen die Philosophen Platon und Aristoteles miteinander ins Gespräch vertieft. Neben ihnen und auf den Stufen zu ihren Füßen stehen, sitzen und liegen die wichtigsten Denker, Wissenschaftler, Mathematiker und Künstler von der Antike bis zur Renaissance: Pythagoras etwa, vor einer Schiefertafel mit einem musiktheoretischen Diagramm darauf; Diogenes, barfuß und in einfacher Kleidung; Heraklit, den Kopf nachdenklich auf die Hand gestützt, mit der anderen Hand schreibend. Insgesamt befinden sich auf dem Bild mehr als 60 Personen.
OT 7 Andreas Henning
Er stellt diese Figuren in den Gruppen so lebendig und im Gespräch, in der Diskussion, im gegenseitigen diskutieren, zeichnen zum Teil so lebendig miteinander in Bezug, dass man als Betrachter unmittelbar daran teilhaben kann. Das ist glaube ich, das Entscheidende, die Teilhabe des Betrachters. Man kann sich hineinversetzen und mitdenken, miterleben. Man ist im Grunde mit Teil dieser Szene, die da dargestellt ist.
ERZÄHLERIN:
Zusammengenommen stehen all die berühmten Denker für die Wahrheit bzw. die Vernunft als eines der höchsten Prinzipien des menschlichen Geistes.
Die ersten Arbeiten gefallen dem Papst so gut, dass er die von anderen Malern gerade erst fertig gestellten Fresken wieder abschlagen lässt, damit Raffael alles ausmalen kann. Eine enorme Aufgabe, die er allein gar nicht hätte stemmen können.
OT 8 Andreas Henning
Raffael … war hochgradig gut organisiert, zumindest ist er einer der ersten Künstler die eine große Werkstatt führen und da auch Arbeitsschritte delegieren, um überhaupt dieses enorme Oeuvre in nur 37 Jahren schaffen zu können; und er ist ein Künstler, der auch sehr wach ist für neue Techniken, neue Medien, denken Sie an den Kupferstich, die Möglichkeit eigene Bildfindungen mit dem Kupferstich zu verbreiten, anders als das Gemälde oder das Fresko, was ja immer nur ein einem Ort ist, aber mit dem Kupferstich, den ich in vielen, vielen Abzügen verbreiten kann das ist ein Medium, das er sofort begriffen hat und seit 1512 Kupferstecher in seinem Atelier beschäftigt hat, um seine Ideen noch weiter zu streuen, also natürlich ein Geschäftsmann, ein guter Organisator, ein Sozialgenie, interessiert an seiner Zeit, fähig zu denken, zu begreifen und natürlich souverän im Umgang mit den künstlerischen Mitteln.
ERZÄHLERIN:
Zusätzlich zur Ausmalung seiner Gemächer ernennt der Papst Raffael auch noch zum leitenden Architekten des Neubaus von Sankt Peter, dem prestigeträchtigsten Bauwerk der damaligen Zeit.
(Musik)
ERZÄHLERIN:
Doch wer war dieser überaus begabte junge Mann wirklich? Was wissen wir über den Menschen Raffael? Eine frühe Gönnerin nennt ihn „rücksichtvoll und liebenswürdig“. Tatsächlich hatte er am Hof von Urbino eine gute Erziehung genossen, verfügte über gewandte Umgangsformen, und wusste sich auch im schwierigen Ambiente des päpstlichen Hofes sicher zu bewegen.
SPRECHER:
Zwei Selbstporträts sind überliefert. Sie zeigen einen jungen Mann mit feinen Gesichtszügen, das Haar halblang, die Augen braun. Er wirkt ruhig, selbstsicher und neugierig.
ERZÄHLERIN:
Über sein Privatleben ist relativ wenig bekannt. Raffael blieb kinderlos. Er war lange mit der Nichte eines Kardinals verlobt, allerdings starb die ihm Zugedachte noch vor der Hochzeit. Spätere Quellen wollen wissen, dass er einen ausufernden Lebensstil pflegte. Eines seiner bevorzugten Modelle – Margherita Luti – soll auch seine Geliebte gewesen sein. Indizien dafür liefert eines seiner schönsten Gemälde:
SPRECHER:
Mit entblößtem Oberkörper sitzt „La Fornarina“ – wie die Bäckerstochter nach dem Beruf ihres Vaters genannt wurde – vor einem Busch. Die Umgebung ist dunkel, das Weiß ihrer Haut scheint vom Mond beleuchtet. Ihre Haare hat die junge Frau mit einem Tuch hochgebunden, vor dem Bauch liegt ein durchsichtiges Stück Stoff. Spannend ist der goldene Reif, den sie am Oberarm trägt: Auf diesen Reif hat Raffael seine Signatur gesetzt. Ein Indiz dafür, dass sie seine Geliebte war – einer völlig Unbeteiligten hätte er kaum seinen Namen auf ihren Schmuck geschrieben.
ERZÄHLERIN:
Andreas Henning hält es zumindest für nicht ganz abwegig, dass Raffael durchaus mehr Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht gemacht hatte als seine langjährige Verlobung und Kinderlosigkeit vielleicht vermuten lassen.
OT 9 Andreas Henning
Logisch, er ist ein Renaissancemensch und er entdeckt die Welt. Und da gehört natürlich nicht nur die Natur, nicht nur die Architektur, die Theologie, sondern gehört natürlich auch der menschliche Körper dazu, auch die Frau. Und insofern finde ich jetzt überhaupt keinen Widerspruch, Raffael auf der einen Seite mit den hochtheologischen Themen auch als Sinnenmensch mir vorzustellen. Das ist im Grunde zwingend sogar - ((sonst hätte er den Menschen in all seiner Persönlichkeit, in seiner Individualität, wie wir ja ihn in seinen Bildern sehen können, in den Porträts, in den Historiendarstellungen oder Altarbildern, das sind ja Mensch, da sind ja fast moderne Menschen haben, die wir sehen. Das geht nur, wenn man in Interesse hat für das Duo, für das Gegenüber, für seine Mitmenschen. … Und dazu gehört der Körper, das ganze Innenleben, die Seele, der Geist, die Persönlichkeit gehört auch dazu. Und insofern, glaube ich, war Raffael sicherlich auch dem Leben zugetan.))
ERZÄHLERIN:
Tatsache ist, dass viele von Raffaels Madonnen so aussehen wie jene römische Bäckerstochter. So auch die Sixtinische Madonna, die Raffael parallel zu den Arbeiten in den Stanzen des Papstes ab 1512 malte. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Altarbild von dem sächsischen Kurfürsten gekauft und befindet sich heute in Dresden.
SPRECHER:
Maria schreitet aufrecht über der mittleren Achse des Bildes über die Wolken, das Jesuskind im Arm, ihr Schleier bauscht sich im Wind und umrundet ihren Kopf, sie schreitet auf den Betrachter zu, in Richtung irdische Welt. Bei aller Schönheit strahlt ihr Gesicht einen tiefen Ernst aus. Zu Füßen der Madonna knien Papst Sixtus II – daher der Name „sixtinische Madonna“ – und die heilige Barbara. Das gesamte Gemälde ist von Gegensätzen durchwirkt: männlich und weiblich, jung und alt, die aktive Geste des Papstes und eine völlig in sich versunkene Barbara.
OT 10 Andreas Henning
Es ist ja nicht nur das klassische … Bildthema Maria mit Heiligen, das ist ein Bild-Thema, was seit 100 Jahren durchläuft und wofür es eine ganz normale Bildlösung gibt, nämlich Maria in der Mitte auf einem Thron, und Raffael hätte es genauso machen können, aber nein, er entscheidet sich für ein Ereignisbild, er entscheidet sich Maria schreiten zu lassen und das Jesuskind zur Erde also zur Inkarnation tragen zu lassen, wenn wir so wollen, haben wir hier ein Weihnachtsbild, nämlich die Geburt Christi und in ihrer Ernsthaftigkeit liegt schon das Wissen, was am Ende dieser Inkarnation passieren wird, nämlich am Lebensende Tod und Passion, Auferstehung Christi.
SPRECHER
Eine in den Wolken schwebende Maria übergibt ihr Kind der Welt, wo es am Kreuz sterben wird. Raffael hat hier die überirdische und die weltliche Sphäre miteinander verbunden – und so einmal mehr einen völlig neuen Bildtypus geschaffen.
ERZÄHLERIN:
Eine ganz eigene Karriere haben die beiden Engelchen unten auf der Brüstung gemacht. Auf Kaffeetassen, Regenschirmen und Kissenbezügen gedruckt sind sie zu den Stars eines jeden Museumsshops geworden.
SPRECHER
Auf dem originalen Gemälde lümmeln sie am unteren Bildrand herum und erinnern eher an irdische Kinder als an himmlische Engel. Einer der beiden stützt gelangweilt sein Kinn in die Hand, der andere hat den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Sie warten. Einerseits darauf, dass Maria den Menschen das Jesuskind übergibt, andererseits aber auch auf den Beginn der Messfeier, während der sich die Hostie in das Fleisch Christi verwandelt.
OT 11 Andreas Henning
Diese Engel sind extrem ungewöhnlich, die gibt es vor Raffael nicht, normalerweise spielen und musizieren die Engel, spielen mit dem Jesuskind. Und hier warten sie und ich glaube, dass das dazu geführt hat, dass sie so offen sind für jegliche Art von Deutung, also hier kann seine Empfindungen reinprojizieren und folglich können diese Engel auch für die verschiedensten Produkte verwendet werden.
ERZÄHLERIN:
Auch nach dem Tod Julius II. bleibt Raffael unter Leo X. päpstlicher Hofkünstler und fertigt beispielsweise die Vorlagen für den Teppichzyklus der Sixtinischen Kapelle.
Leo der X. überträgt ihm außerdem die Oberaufsicht über alle antiken Denkmäler Roms. Fortan leitet Raffael die Ausgrabungen in der Stadt und wirkt so auch als Archäologe. Am wichtigsten aber bleibt die Malerei. Etwa ab 1516 arbeitet er an der Transfiguration.
SPRECHER:
Das fast vier Meter hohe Gemälde zeigt im oberen Teil Christus in weißen Gewändern. In einer mandelförmigen Wolke schwebt er dem Himmel entgegen. Die ausgebreiteten Arme lassen seinen Körper dabei wie ein Kreuz wirken. Flankiert wird er von zwei Propheten mit den Gesetzestafeln in ihren Armen. Unter ihm haben sich drei Apostel zu Boden geworfen, geblendet von der hellen Erscheinung halten sie sich die Augen zu.
Im unteren Teil des Bildes ist die Heilung eines besessenen Knaben zu sehen. Im Gegensatz zu dem streng symmetrisch angeordneten oberen Bildhälfte mit Christus geht es hier chaotisch und ungestüm zu: Die Apostel starren auf einen Knaben, der, von seinen Eltern gehalten, offenbar gerade einen Anfall erleidet. Zwei von ihnen sind in Rot gekleidet und dadurch besonders hervorgehoben, sie deuten mit ihren Händen auf Christus: er ist es, der diesen Knaben heilen wird.
OT 12 Andreas Henning
Ich würde sagen, dass Raffael ein hochinnovativer Künstler ist … Er hat zeitlebens versucht die Bildthemen, die ja oft über Jahrhunderte schon tradiert waren, neu zu begreifen, sinnfällig zu greifen für seine Zeit verständlich zu machen, insbesondere die theologischen Themen, da gehört auch die Transfiguration dazu … wo er die Doppelnatur Christi als Gott und Mensch zugleich sinnfällig macht.
ERZÄHLERIN:
Neben der meisterlichen Ausführung ist Raffaels Stärke vor allem die „idea“, die „invenzione“, wie es in der Renaissance heißt, also die „Bilderfindung“.
SPRECHER:
Ein Porträt, das nur in einem Stich überliefert ist, zeigt Raffael in einen Umhang gewickelt in seinem Atelier auf einer Stufe lagernd. Links neben ihm lieg eine Palette und drei Gefäße, rechts eine noch unberührte Leinwand. Seine Hände – und das ist absolut untypisch für Malerporträts – sind nicht zu sehen, sie sind in den Umhang gewickelt. Gezeigt wird hier nicht die praktische Ausübung der Malerei, sondern die geistige Tätigkeit als wesentliches Element des Schaffensprozesses. Raffael verkörpert hier das Credo der Renaissance: Idee und Erfindung sind Voraussetzung für das künstlerische Schaffen, ja sie sind sogar wichtiger als die handwerkliche Ausführung.))
ERZÄHLERIN:
Die Transfiguration ist Raffaels letztes Bild. Am 6. April 1520 stirbt er mit nur 37 Jahren. Bevor er im Pantheon beigesetzt wird, wird er unter der Transfiguration aufgebahrt, also unter seinem eigenen Bild des gen Himmel aufsteigenden Christus. Die Zeitgenossen interpretieren die Parallelen zwischen Raffaels und dem Leben Christi als Beweis für seine Göttlichkeit. Wie Christus ist auch Raffael an einem Karfreitag gestorben, beide waren etwa im gleichen Alter, kinderlos und unverheiratet. Seither ist sein Ruhm ungebrochen. Hin und wieder trifft man Menschen, die ihn für einen kitschigen Madonnenmaler halten. Aber das liegt nicht an Raffael.
OT 13 Andreas Henning
Also wer bei Raffael nur das Süßliche sieht, der hat nicht hingeschaut. Denn Raffaels Bilder sind vielschichtig, Raffaels Figuren sind Individuen, genauso wie wir uns heute als Ich-Begabte Wesen begreifen, das können wir in diesen Bildern 500 Jahre zurück schon verfolgen, da beginnt das. … Und insofern würde ich sagen, … lasst uns alle zu Raffaels Bildern reisen und die Sachen im Original anschauen, denn man muss sich davorstellen. Man muss da vorgehen, vor- und zurücktreten, um wirklich eine sinnliche Erfahrung dieser Werke zu kommen. Sie sind fürs Auge gemalt. Das ist das Besondere und das großartige bei Raffael. Insofern müssen wir einfach unsere Augen öffnen und sie wahrnehmen.