Sozialer Wandel in Berlin Luxussanierung am Kiez

Die Berliner Innenstadt verändert ihr Gesicht: Ob Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, die Viertel mit Altbaubestand sind attraktiv für Menschen mit hohem Einkommen. Die Folge: Die Mieten steigen und die angestammte Bevölkerung wird in schlechtere Wohngegenden abgedrängt.

Von: Moritz Pompl

Stand: 12.09.2016

Bild: picture-alliance/dpa|Lothar Ferstl

"Es ist schreiendes Unrecht und wir werden es der ganzen Welt sagen dass hier Unrecht geschieht!"

Magnus Hengge, Grafikdesigner in Berlin

Eine Demo in Berlin Kreuzberg, nahe der Oberbaumbrücke, die über die Spree nach Friedrichshain führt. Am Mikrofon steht Grafikdesigner Magnus Hengge. Mit seinem gebügelten Hemd und dem akkurat getrimmten Ofenrohr-Bart sieht er nicht aus wie einer, der auf einer Demo gegen Gentrifizierung spricht. Aber was in seinem Kiez passiert, will er nicht länger hinnehmen.

"Es geht verdammt nochmal um Menschen und nicht um Geld."

Magnus Hengge, Grafikdesigner in Berlin

Deshalb hat Magnus Hengge zusammen mit anderen Bewohnern des Viertels eine Initiative gegründet, "Bizim Kiez". Bizim ist türkisch und heißt "unser". Es ist eine Anspielung auf einen türkischen Gemüseladen, der 2015 nach 30 Jahren dicht machen musste.

"Und dieser Laden heißt Bizim Bakal. Unser Laden. Und er ist halt für ganz viele Leute in Kreuzberg so ein wichtiger Laden gewesen weil er so ein familiengeführter Gemüseladen war, und weil das ein Laden war, wo einfach Deutsche und Türken vollkommen selbstverständlich miteinander im Gespräch waren. Das war also so richtig eine Art Nachbarschaftstreffpunkt eigentlich."

Magnus Hengge, Grafikdesigner in Berlin

Aber der verschwand, weil der Hauseigentümer ein lukratives Geschäft witterte, und neu vermieten wollte - ohne den alten Ladenbesitzer überhaupt zu fragen, sagt Hengge. Es ist bei weitem kein Einzelfall in Berlin, und es betrifft nicht nur Gewerbeflächen, sondern auch Wohnungen in vielen Stadtteilen. Egal ob Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Neukölln oder eben Kreuzberg:

Bild: picture-alliance/dpa|Jens Kalaene

Überall in diesen attraktiven Innenstadtbezirken mit vielen Altbauten wurde und wird luxussaniert, und überall sind die Mieten massiv gestiegen. Wenn neu vermietet wird, dann meist deutlich über dem ortsüblichen Mietspiegel. Da bringt auch die Mietpreis-Bremse nichts, sagt der Stadtforscher Andrej Holm von der Humboldt-Universität Berlin.

"Sie garantiert nur Mieten knapp über dem Durchschnitt. Das heißt, sie nützt letztendlich auch nur den Haushalten mit Einkommen knapp über dem Durchschnitt. Das Problem haben wir aber bei denen die weniger als der Durchschnitt verdienen."

Stadtforscher Andrej Holm von der Humboldt-Universität Berlin

Genau die werden verdrängt, wenn saniert und modernisiert wird. Stattdessen ziehen Leute in den Kiez, die sich die Mieten leisten können. Soziologen sprechen von Gentrifiern: Menschen mit guter Ausbildung und hohem Einkommen. Oft kommen sie als kinderlose Paare und gründen dann eine Familie - sprich: Sie bleiben dauerhaft, anders als zum Beispiel Studenten, die meist nach ein paar Jahren wieder wegziehen.

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Mit den Gentrifiern beginnt sich dann auch der ganze Kiez zu verändern: Es kommen schicke Boutiquen, Szene-Kaffees mit Latte Maciato und Biolimonade, und gehobene Restaurants. Die ärmeren Menschen, stellt der Soziologe Sigmar Gude fest, werden an den Rand gedrängt.

"Sie versickern sozusagen in Wohnungen an lauten Straßen, in Hinterhöfen und so weiter. Im großen Umfang in Überbelegung."

Sigmar Gude, Soziologe

Bild: picture-alliance/dpa|Jens Kalaene

Sprich: viele Menschen unter einem Dach. Städtische Sozialwohnungen sind Mangelware, und die Verwaltung, sagt Gude, habe die Entwicklung verschlafen. Statt selber Wohnungen zu kaufen hat sie auf private Investoren gesetzt. Und die wollen natürlich möglichst viel Gewinn rausholen. Was das Problem speziell in Kreuzberg und Friedrichshain noch verschärft, sagt Magnus Hengge, sind die vielen Touristen dort - manchmal fühlt sich das für ihn ein bisschen wie Ballermann an:

"Das sind so ein paar Straßen, die vor ein paar Jahren noch eine völlig vergessene Straße war, wo inzwischen einfach nur noch ein Fastfood-Ding neben dem anderen ist. Und inzwischen sind die Mieten da auch extrem."

Sigmar Gude, Soziologe

Bild: picture-alliance/dpa|Britta Pedersen

Zu radikalen Mitteln gegen die Gentrifizierung wie manche Linksautonomen würde er nicht greifen. Autos anzünden zum Beispiel, oder die Fassaden sanierter Häuser mit Farbbeuteln bewerfen und die Fenster einschmeißen. Auch das passiert in Berlin immer wieder.

Magnus Hengge will mit seiner Initiative "Bizim Kiez" weitermachen mit dem friedlichen Protest. Wenn er sich den aktuellen Wahlkampf rund um das Abgeordnetenhaus in Berlin anschaut, dann hat er zumindest ein bisschen Hoffnung, dass es was bringt.

"Die ganzen Mieterproteste in der ganzen Stadt haben es geschafft, das wenn nicht sogar zum Hauptthema im Wahlkampf zu machen. Und ohne diese Proteste wäre das mit Sicherheit nicht so gelaufen."

Magnus Hengge, Grafikdesigner in Berlin