Radikalisierung Kinder als Propaganda-Werkzeug für ein salafistisches Frauennetzwerk
"Wer Kinder sieht, der spendet mehr", sagt ein ausstiegswilliger islamistischer Gefährder im BR-Interview. Er spricht über ein deutschlandweites Frauennetzwerk, das mit Hilfe von Kindern auf Facebook für die Freilassung verurteilter Dschihadisten kämpft.
Von: Sabina Wolf und Joseph Röhmel
Stand: 07.03.2018
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Kinder und Jugendliche werden in Deutschland im islamistischen Kampf eingesetzt und gezielt zu Propagandazwecken missbraucht. Reporter des BR-Politikmagazins Kontrovers sind auf ein Frauennetzwerk gestoßen, das mittels sozialer Medien deutschlandweit agiert.
Verkauf von Bastelpüppchen
Die Namen der Facebook-Gruppen mit jeweils mehr als 2.000 Mitgliedern, in denen die Frauen sich aufhalten und zum Teil als Verwalterinnen auftreten, sind Programm: "Aseerun Spendengruppe" und "Free our Sisters". Hier wird für die Freilassung verurteilter Dschihadisten geworben – unter anderem mit Kinderzeichnungen sowie Videos mit Kindern. Außerdem wird über den Verkauf von Bastelpüppchen versucht, Erlöse zu generieren, die den Islamisten in Haft und deren Angehörigen zugutekommen sollen.
"Möge Allah ihn aus den Ketten der Ungläubigen befreien", heißt es zum Beispiel in einer Botschaft für einen Hassprediger, der für den Dschihad rekrutiert haben soll und 2016 in Österreich zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Auch das Logo von "Niwelt", ein Sprachorgan der Terrormiliz IS, postet das Netzwerk, dessen Facebook-Mitglieder in ganz Deutschland verstreut sind. Dazwischen immer wieder Kinderzeichnungen oder Videos mit Kindern, die für das Engagement für verurteilte Islamisten eingesetzt werden sollen.
Frauen übernehmen Verantwortung
Die Reporter des Bayerischen Rundfunks konnten über das Facebook-Netzwerk eine Frau identifizieren, die einst aus Bayern mit ihren Kindern ins Dschihad-Gebiet ausreiste und dann wieder nach Deutschland zurückkehrte. Sie lebt derzeit mit einem Mann zusammen, der sich in der Islamisten-Szene als Propagandist einen Namen gemacht hat. Die Frau will sich auf Anfrage im Bayerischen Rundfunk nicht äußern. Auch die Macher von "Aseerun Spendengruppe" und "Free our Sisters" schweigen auf unsere Anfrage.
Was steckt hinter Frauennetzwerken wie diesen? Recherchen zeigen: Innerhalb der salafistisch-dschihadistischen Szene übernehmen zunehmend auch Frauen Verantwortung. Denn viele Männer sind aus dem Kampf in Syrien oder dem Irak nicht zurückgekehrt, sind immer noch freiwillig vor Ort oder sitzen in Haft. Deshalb mangelt es an männlichen Führungspersonen.
Der Insider
Die Reporter des Bayerischen Rundfunks haben Kontakt zu einem Insider, der sich vor einigen Jahr selbst als Jugendlicher radikalisiert hat. Inzwischen will er sich nach eigenen Angaben von der Szene lösen. Noch gilt er als islamistischer Gefährder, gehört also zu jener Personengruppe, denen die Behörden eine Straftat vom erheblichen Ausmaß zutrauen – zum Beispiel einen Anschlag. Im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk wird klar: Der junge Mann kennt sich ganz offensichtlich mit der Gefangenenhilfe und der Instrumentalisierung von Kindern aus.
Genau verfolgt hat er die Entwicklung der Salafisten-Gruppe Millatu Ibrahim, die sich unter Führung von späteren IS-Terroristen, wie dem vermutlich getöteten Deso Dogg alias Denis Cuspert, selbst offensiv für Gleichgesinnte in Haft eingesetzt hat. 2012 wurde Millatu Ibrahim vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verboten. Denn die Salafisten-Gruppe, so Friedrich 2012, rufe "zum Kampf gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung auf". Der Gefährder vergleicht das jetzige Frauennetzwerk mit der Gruppe "Millatu Ibrahim". Er berichtet, dass Kinder auf Seiten wie Free our Sisters oder Aseerun Spendengruppe gezielt in die Propaganda eingebunden würden.
"Kinder, die sind immer ein Anreiz für Personen zu spenden. Das weiß das Netzwerk."
Gefährder im BR-Interview
Die Rollen der nächsten Salafisten- und Dschihadisten Generation sieht der Gefährder klar definiert:
"Die Kinder werden in die Fußstapfen der Eltern treten. Die Mädchen werden in die Gefangenenhilfe gehen, einige der Jungs gehen in den Kampf."
Gefährder im BR-Interview
LKA-Mitarbeiter besorgt
Rund 290 Kinder und Jugendliche sind laut Verfassungsschutzverbund mit ihren deutschen Müttern ins Dschihad-Gebiet Syrien/Irak gereist oder dort geboren. Eine Zahl über in Deutschland salafistisch erzogener Kinder, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, gibt es nicht.
Mitarbeiter des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) sind besorgt, weil Präventionsarbeit in einem radikalen Umfeld kaum erfolgreich sein kann. Holger Schmidt vom Kompetenzzentrum Deradikalisierung im BLKA berichtet:
"Wenn die Person selber, Teil der Familie ist und von den eigenen Eltern indoktriniert wird, muss man auch realistisch sein, was die Erfolgsaussichten anbelangt. Selbst bei intensiver Beratung, wenn sie es zweimal in der Woche schaffen, sich zwei, drei Stunden mit der Person zu beschäftigen, dann verbleiben immer noch hunderte von Stunden, die sie innerhalb der Familie verbringt. Dann zu glauben, dass man eine Art Zugang bekommt, ist illusorisch."
Holger Schmidt, Kompetenzzentrum Deradikalisierung im BLKA
An bayerischen Schulen fallen radikalisierte Kinder mittlerweile auf. "Kopf ab Kuffar", "Christen ans Kreuz", "dreckiger Jude", solche Beschimpfungen sind auf Schulhöfen keine Seltenheit, wie Lehrer dem Bayerischen Rundfunk berichten. Auch Gewaltvideos der Terrormiliz IS würden unter salafistischen Schülern die Runde machen.
Präventionsmaßnahmen
Im Schnitt vier Mal pro Tag melden sich Lehrer und Kindergärtner aus ganz Deutschland bei der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Erzieher benötigen Rat, wie sie mit solch extremen Situationen umgehen sollen. Schon im Kindesalter würden westliche Werte wie Toleranz oder Religionsfreiheit abgelehnt. Es ist davon auszugehen, dass sich einige Bildungseinrichtungen aus Angst vor Stigmatisierung nicht an Beratungsstellen wenden.
Die neue Präventionsmaßnahme "ReThink", die vom bayerischen Sozialministerium finanziert wird, setzt deshalb in der Schule an. Dort werden in Schulklassen typische Situationen, die im Alltag von muslimischen Kindern und Jugendlichen, etwa die Kontaktanbahnung von Salafisten, vorkommen können, ab Mai dieses Jahres nachgespielt. Es würden Gegenstrategien entwickelt, sagt der Psychologe Ahmad Mansour, der gemeinsam mit seinem Team "ReThink" anbietet.