Interview mit Akne Kid Joe "Man hat uns unterstellt, dass wir von der Regierung manipuliert wären"
Die Punkband Akne Kid Joe aus Nürnberg ist bekannt für ihre systemkritische Einstellung. Momentan steht sie aber hinter den Corona-Maßnahmen der Regierung – und stellt fest, dass auch viele aus der linken Szene empfänglich für Verschwörungstheorien sind.
Wie bekämpft man das System in Zeiten von Corona? Diese Frage hat sich auch die Nürnberger Punkband Akne Kid Joe gestellt. Ihre Antwort: In diesem Fall gar nicht. Denn gerade wenn viele Menschenleben durch ein Virus bedroht sind, ist es für die Band selbstverständlich, sich solidarisch zu zeigen und sich an die Regeln zu halten – auch wenn es sie selbst finanziell hart trifft. Als sie merkten, dass immer mehr Leute aus ihrem erweiterten Bekanntenkreis nicht der gleichen Meinung sind, haben sie einen Post bei Facebook abgesetzt, der kurz darauf viral ging.
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Akne Kid Joe
Hallo wir sinds, die Systemlinge von AKJ. Was für ein Dilemma das alles. Da haben wir uns als Punks über Jahre hinweg an...Gepostet von Akne Kid Joe am Montag, 4. Mai 2020
Eine Woche später wurde der Post bereits fast 10.000 mal geteilt. Wir haben mit Sänger und Gitarrist Matthias Schmid über seinen Text gesprochen.
PULS: Was hat euch dazu motiviert, diesen Post abzusetzen?
Matthias Schmid: Wir haben festgestellt, dass auch bei uns im Bekanntenkreis immer mehr Menschen empfänglich sind für Verschwörungstheorien und sonstige Absurditäten rund um das Thema Corona. Das hat uns ziemlich fassungslos gemacht, weil das Thema für uns immer relativ weit weg schien. Dann hab ich bei einem Kumpel gesehen, dass der ziemlich absurde Theorien verbreitet und sich voll der großen Aufklärung um die "Corona-Lüge" verschrieben hat.
Ich hab dann versucht, eine Diskussion mit ihm zu führen, aber relativ schnell gemerkt, dass ich da gegen eine Wand renne. Wir haben uns zwar respektvoll ausgetauscht, weil wir uns ja auch schon länger kennen, aber meine Argumente wurden immer recht schnell ausgekontert, indem er mir unterstellt hat, dass ich von der Regierung manipuliert wäre. Ich hab ihm dann versucht zu erklären, wo die Gefahr bei solchen Verschwörungstheorien liegt, insbesondere auch in der Schnittmenge zur extremen Rechten. Aber dann ist irgendwann auch das Zitat gefallen, dass man nicht jeder kritischen Stimme gleich einen Aluhut aufsetzen kann.
Das hat mich ziemlich genervt, weil ich mich schon als halbwegs reflektiert und kritischen Beobachter der Politik gesehen habe und mir auch nicht erzählen lassen will, dass ich so ein blindes, höriges Schlaf-Schaf sei, nur weil ich die Gefahren dieser Pandemie nicht bagatellisiere. Also hab ich mir den Frust ein wenig von der Seele geschrieben und dieses Statement verfasst, das ja dann doch relativ viral ging.
Wieso glaubst du, ist der Post so oft geteilt worden?
Ich denke, dass es gerade vielen so geht wie mir nach meiner Diskussion mit meinem Kumpel. Immer mehr Leute müssen irgendwie mit Verschwörungstheorien in der Familie oder dem erweiterten Freundeskreis umgehen. Was besonders schön war an diesem Post: Wir haben es damit geschafft, aus der eigenen Filterblase heraus zu kommen. Der Post wurde zum Beispiel auch von einem Korrespondenten der ARD geteilt. Daran sieht man, dass dieses Thema auch in der Mitte unserer Gesellschaft für Diskussionsbedarf sorgt.
Was uns ein bisschen gewundert hat, war, dass wir so viel Zuspruch bekommen haben, obwohl der Post teilweise auch schon recht punkig formuliert war. Das haben ja teilweise auch irgendwelche Muttis abgefeiert, obwohl die ja sonst keinerlei Berührungspunkte zu einer Punkband hätten. Vielleicht war die Gossensprache aber auch der Grund, warum das ganze so authentisch rüberkam. Da haben sich bestimmt viele gedacht: Oh schau, die Krawallmacher setzen sich auch mal für was Konstruktives ein.
Inwiefern ähneln sich eurer Meinung nach die Motive der Menschen aus der Punkszene, die gegen jegliche Form von staatlicher Autorität sind (also zum Beispiel auch gegen die neue Maskenpflicht), mit denen der AfD-nahen, rechten Ken-Jebsen-Fans?
Die eine Sache hat mit der anderen überhaupt nichts zu tun. Linke Kritik am Staat hat eigentlich immer zum Ziel, soziale Gerechtigkeit in den Fokus zu rücken und die Politik da in die Mangel zu nehmen, wo sie sowas sabotiert. Zum Beispiel wenn Geflüchtete in Lager gesperrt werden oder man sie ertrinken lässt. Oder wenn Arbeitslose durch ein total unfaires Hartz-IV-System malträtiert werden. Oder wenn die Politik auf dem rechten Auge blind zu sein scheint.
Bei Corona geht’s aber darum, dass Menschenleben durch ein Virus in Gefahr sind – und die Eindämmung dieser Pandemie sollte größte Priorität haben. Das ist gerade völlig unabhängig von den eben genannten Beispielen zu betrachten. Die ganzen Verschwörungs-Demos und rechtspopulistische Kritik an den Maßnahmen hat mit den linken Protesten überhaupt nichts gemeinsam. Die Menschen, die gerade auf Corona-Demos gehen, denen ist Solidarität und soziale Gerechtigkeit komplett egal. Denen geht’s nur um sich selbst. Das ist der große Unterschied.
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Akne Kid Joe - What AfD thinks we do… (Official Video)
Bei manchen Menschen steckt sicherlich auch Existenzangst hinter ihrem Ärger gegenüber den Verordnungen. Was würdet ihr denen sagen?
Wie auch schon in unserem Statement geschrieben, können wir uns auf jeden Fall mit diesen Menschen einigen, dass die bedrohten Existenzen eine riesige Tragödie sind. Wir sind ja teilweise auch selbst betroffen. Der Peter ist als Tätowierer komplett selbstständig, ich bin teilweise selbstständig und mein Hauptjob ist in einem großen Kultur- und Konzertbetrieb. Also wird auch bei uns die Kohle knapp. Auch wir fänden es schöner, wenn Corona und die damit verbundenen Maßnahmen einfach nicht da wären. Aber es gibt Corona halt – und nur weil einen das stört, kann man das auch nicht wegignorieren und dadurch in Kauf nehmen, dass sehr viele Menschen sterben.
Wer jetzt unbedingt die wirtschaftlichen Folgen mit der gesundheitlichen Bedrohung aufrechnen will, der kann das tun. Aber ich finde das asozial. Natürlich muss man solche Ängste ernst nehmen, aber es gibt einfach gerade keine Alternative, die allen Menschen gerecht wird.
Ich hätte gedacht, dass eine Pandemie die Gesellschaft einen könnte: Wir passen alle aufeinander auf, und weil die Bedrohung ein Virus ist, gibt es auch keine menschlichen Feindbilder, gegen die sich die Leute wenden können. Wieso glaubst du entwickelt sich die Stimmung trotzdem gerade in so eine Richtung?
Das war am Anfang tatsächlich die große Hoffnung: Dass das Ganze die Menschheit zusammen bringt, dass Solidarität zum Eckpfeiler der Gesellschaft wird. Mittlerweile habe ich Angst, dass sich die Gesellschaft noch viel mehr spaltet, als sie es ohnehin schon in den letzten Jahren getan hat. Ich habe letztens irgendwo gehört, dass für viele Menschen die Situation keinen Sinn ergibt. Das ist ein Virus, und das ist einfach da. Und weil viele Menschen mit dieser Sinnlosigkeit nicht umgehen können, suchen sie Erklärungen dafür – egal, wie hanebüchen die sind. Das fand ich ziemlich schlau und erklärt ganz gut, wieso sich die Situation so absurd entwickelt hat. Es gab ursprünglich natürlich keine menschlichen Feindbilder, das stimmt schon. Aber die Menschen, die die Situation nicht hinnehmen wollen, erfinden sich diese Feindbilder einfach. Da stecken dann angeblich Bill Gates oder Professor Drosten oder Frau Merkel oder was weiß ich dahinter und die haben dieses Virus dann in die Welt gesetzt.
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Akne Kid Joe - Die zündende Idee (Official Video)
Habt ihr Bilder von den Hygiene-Demos gesehen? In München waren zum Beispiel über 3.000 Leute vor Ort und haben gegen die Corona-Schutzmaßnahmen demonstriert...
Ja, die haben wir gesehen und waren fassungslos. Dass so viele Menschen auf alle Hygienemaßnahmen pfeifen, sich auch teilweise mit hochrangigen Leuten aus der Neonazi-Szene auf die Straße gestellt und "Wir sind das Volk" gerufen haben, das macht einem schon Angst. Was total absurd ist: Die Polizei hat einfach viel zu wenig eingegriffen. Bei vielen linken Demos wird nicht lange gezögert, bis der Wasserwerfer anrollt. Wenn am 1. Mai in Nürnberg plötzlich 2.000 Menschen in Gostenhof gestanden wären, da hätte die Polizei nicht lange zugeschaut. Ich will der Polizei in Nürnberg keinen riesigen Vorwurf machen, weil ich glaube, dass die bei dieser Impfgegner-Demo zahlenmäßig total unterbesetzt waren und das für die Polizisten auch ein Gesundheitsrisiko ist, wenn die 2.000 Vollidioten einkassieren müssen, die alle keine Maske tragen.
Was ich aber noch viel krasser fand, war das Beispiel aus Stuttgart: Dort wurde eine Demo ursprünglich für 50.000 Menschen angemeldet, die Stadt hat das dann auf 10.000 begrenzt. Ich dachte nur: Hackt’s eigentlich?! Wie erklärt man das den ganzen Menschen, die ihre Geschäfte geschlossen halten müssen, dass man da einfach 10.000 Spinner auf engstem Raum demonstrieren lässt?
Die Polizei Stuttgart sprach dann davon, dass die Sicherheitsabstände eigentlich weitestgehend eingehalten worden sind und das alles friedlich ablief. Als ich die Bilder von dort gesehen habe, bin ich mir echt verarscht vorgekommen. Da war Festivalstimmung am Cannstatter Wasen, Leute hatten ihre Campingstühle mitgebracht und ihre "Corona ist eine Lüge"-Transparente hochgehalten. Dass die Polizei sowas laufen lässt, ist ein Riesenskandal. Und dass das ganze vorab auch noch genehmigt wurde, ist ein noch viel größerer Skandal.
Sendung: Plattenbau am 12.05.2020 - ab 19.00 Uhr