Antisemitismus im Deutschrap "Ich kann gegen diese Flut nicht ankommen"
Ben Salomo hat die legendäre “Rap am Mittwoch“-Reihe mitgegründet. Der Rapszene, in der er mehr als 20 Jahre aktiv war, kehrt der Israeli jetzt den Rücken. Er hat uns erzählt, was ihn zu diesem Schritt gebracht hat.
PULS: Du hast der Berliner Morgenpost gesagt: "Ich ziehe mich aus der deutschen Rap-Szene zurück" - was genau bedeutet das?
Ben Salomo: Das bedeutet, dass ich mit “Rap am Mittwoch” aufhören werde, und dass ich keine Lust mehr habe, mich innerhalb der Rapszene zu bewegen - solange diese antisemitischen Vorkommnisse, Veröffentlichungen und Videobeiträge vieler Rapper nicht intensiv thematisiert und aufgearbeitet werden. Solange ich mich nicht damit identifizieren kann, werde ich mich aus der Rapszene raushalten. Das heißt nicht, dass ich nicht für mich selber Musik machen werde, die sich nicht im Deutschrap-Genre bewegt.
Ich wollte ein Zeichen setzen und habe das ja auch schon öfter thematisiert: Solche Tendenzen sind im deutschen HipHop und in der deutschen Gesellschaft auch für mich alltäglich geworden. Die HipHop-Welt war früher mal ein freier Raum. Als ich angefangen habe, ging es wirklich nicht darum, woher man kam, es war wirklich Multi-Kulti. Aber das hat sich verändert. Es kommt immer mehr Ideologie hinein, vor allem kommt unter dem Deckmantel der Israelkritik viel Antisemitismus in die Szene hinein. Und irgendwann fühlte ich mich einfach nicht mehr wohl. Als ich Vater geworden bin, haben sich die Prioritäten verändert - es ist wichtig, dass ich mit guter Laune nach Hause komme. Für mich und meine Familie.
Gab es einen bestimmten Vorfall, der dich zu diesem Schritt bewogen hat?
Nein. Diesen Schritt habe ich schon länger geplant. Damit an die Öffentlichkeit gehen wollte ich eigentlich nicht, aber dann wurde ich direkt von der Morgenpost angesprochen.
Tut es weh, einer Szene den Rücken kehren zu müssen?
Natürlich. Ich habe die Hälfte meines Lebens dieser Kultur gewidmet und muss jetzt feststellen, dass sie mich und meinen Background in vielerlei Hinsicht ablehnt, obwohl ich soviel zu dieser Kultur beigetragen habe. Ich habe versucht, innerhalb dieser Kultur viele Vorurteile abzubauen, indem ich den Menschen gesagt habe: “Schau mal, dieses Bild was du vom reichen Weltbeherrscher-Juden hast und auf die ganze jüdische Bevölkerung münzt, existiert gar nicht.” Und das hat auch in weiten Teilen geklappt. Aber gegen diese Übermacht an großen Rappern mit Millionen von Followern und fanatischen Fans, die die kleinen Fortschritte, die ich mache, wieder zunichte machen mit neuen Verschwörungstheorien und Ressentiments - gegen diese Flut kann ich weder als Künstler noch als Einzelperson ankommen.
Und wenn dann noch außerhalb der Rapszene so ein Schweigen gegenüber dem Thema existiert, wenn ein deutscher Außenminister sagt, Israel sei ein Apartheitsstaat, wenn Israel-Fahnen verbrannt werden… dann kann man sich doch nicht mehr wohl fühlen. Nicht nur in der Rap-Szene, sondern auch darüber hinaus.
Was für eine Rolle spielen denn die Medien bei dieser Diskussion?
Die HipHop-Medien, da arbeiten keine wirklichen Journalisten. Das sind eher Promoter. Die sind mehr oder weniger daran interessiert, bekannte Rapper vor die Kamera zu kriegen, um sie einen Anteil an deren Fanbase zu haben und damit dann ihr Geld zu verdienen. Kritische Fragen werden nicht gestellt. Wenn sie gestellt werden würden, dann hätten Rapper irgendwann keine Lust mehr, da hin zu gehen - und diese Medien würden ihren eigenen Ast absägen.
Medien, die von außerhalb kommen, werden oft von Leuten innerhalb der Szene weggedrängt mit der Argumentation, dass sie von Battle-Rap keine Ahnung haben. Aber das ist eigentlich nur ein Vorwand. Die verstecken sich hinter dem Deckmantel der Kunstfreiheit, eigentlich geht es aber nur um Provokation und Populismus. Man darf nicht vergessen: das, was diese Leute rappen, ist auch ganz oft das, was sie denken. Und das denken sie ja nicht erst seit gestern, sondern das ist in ihnen gewachsen - durch Bücher, durch Freunde, durch die Medien die sie konsumiert haben, religiöse und familiäre Einflüsse. Und da wurde von staatlicher oder schulischer Seite nie dagegengewirkt.
Die Art, wie Leute heutzutage Nachrichten und Informationen konsumieren, spielt wahrscheinlich auch eine Rolle...
Wenn man 13, 14 Jahre alt ist, egal welchen Hintergrund man hat, und dann einen Rapper hört, der was von Bankenverschwörung und Rothschild-Theorie singt, dann fragen die sich: was ist damit gemeint? Und dann müssen diese Kids einfach nur ihr Smartphone anmachen und im Netz nach “Rothschild” suchen. Und schon bekommen sie ganz krasse Propaganda-Videos vorgeschlagen - und YouTube schlägt dann ja immer mehr ähnliche Videos vor. Und ein Kind, das vorher neutral war, kommt da mit einem Gedankengut raus, das nicht mehr so einfach loszuwerden ist. Auch, weil der Rapper ihm den Ansatz gegeben hat - jemand, dem er vertraut, und wo er vielleicht keine Grenze zieht zwischen Person und Kunstfigur. Das wird als real wahrgenommen. Und dessen Stichworte werden zusammen mit diesen Videos zu einer Art “geheimes Wissen”, von dem die Kids glauben, sie hätten es sich selber zusammenrecherchiert.
Wäre eine Stimme wie deine - eines israelischstämmigen deutschen Rappers - in so einer Zeit, in der Antisemitismus so ein großes Thema ist, nicht gerade besonders wichtig?
Es kann sein, dass Leute das schade finden, dass ich mich jetzt zurückziehe. Aber dann hat es ja auch was bewirkt: wenn die Leute sagen “Schade, dass Ben Salomo nicht mehr in der Rapszene ist. Warum ist das denn so?”. Die sollten dann mal ein bisschen darüber nachdenken und vielleicht entsteht dann ja auch irgendetwas. Vielleicht wird dann ja mal ein bisschen innerhalb der Rap-Welt diskutiert.
Sendung: Filter, 19.04.2018 - ab 15.00 Uhr