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Die Chefs des Atomic Café im Interview "Rock'n'Roll wird abgeschafft"

Das Atomic Café macht zu - nach 18 Jahren. Im Interview sprechen die Betreiber des legendären Münchner Clubs Roland Schunk und Christian Heine über die goldene Atomic-Ära, den Plan für den letzten Abend - und darüber, wie es jetzt weitergeht.

Von: Christina Wolf & Matthias Scherer

Stand: 04.12.2014 | Archiv

Atomic Café München | Bild: Atomic Café / SONIC GmbH

Vor rund drei Wochen stand auf einmal fest, woran viele nicht mehr geglaubt haben: Noch dieses Jahr ist endgültig Schluss mit dem Atomic Café. Zwar nicht wie geplant schon am 6. Dezember, sondern mit kleinem Aufschub - aber trotzdem: Das Haus in der Neuturmstraße in München wurde an Investoren verkauft und die beiden Betreiber Roland Schunk und Christian Heine müssen den Club nach der Jahreswende leer an die Vermieter übergeben. Nach fast 18 Jahren.

Christian Heine und Roland Schunk beim Interview im PULS-Studio

Höchste Zeit also für eine Rückschau. Auf die Anfänge und die Goldene Ära (oder besser: die Goldenen Äras) des Atomic Café, auf Subkultur in München, Katastrophentourismus und die Schwierigkeiten, die sich in zwei gemeinsamen Jahrzehnten als Clubchefs ergeben. Und natürlich haben wir auch gefragt, wie es bei Roland und Christian jetzt weitergeht.

PULS: Eigentlich sollte am 6. Dezember die letzte Party im Atomic Café steigen. Jetzt hat sich aber doch noch mal etwas geändert...

Christian: Ja, wir haben erst heute eine Vereinbarung unterschrieben und jetzt kann ich die frohe frohe Botschaft offiziell verkünden: Wir dürfen noch bis Silvester machen. Eigentlich hatten wir uns schon damit abgefunden, dass nichts mehr geht. Dann kam letzte Woche ein Anruf von den Vermietern, dass sie es sich anders überlegt haben - wahrscheinlich, weil man keine Handwerker bekommen hat, nochmal gut dastehen wollte oder warum auch immer. Auf jeden Fall können wir unser Programm jetzt noch bis Silvester durchziehen. Darüber sind wir alle sehr glücklich.

Kommt vielleicht auch noch ein Anruf, dass es bis zum 31.12.2017 weitergeht?

Christian: Das ist ausgeschlossen. Wir haben selbst schon die Handwerker bestellt und müssen am 2. Januar die Sachen aus dem Club raustragen, die wir noch brauchen. Das Stadtmuseum bekommt auch ein paar Exponate - und dann kommen die Männer mit dem Bagger.

In München jammern viele und sind traurig über das Ende des Atomic Café - aber wie geht es eigentlich euch, die ihr so viele Jahre in diesen Club investiert habt?

Roland: Ich konnte mich jetzt drei Jahre an den Gedanken gewöhnen. Es kommt also durch die immer weiteren Verlängerungen nicht superüberraschend. Wir haben ja schon vor einem Jahr einen Gerichtsprozess gewonnen, der uns ein weiteres Jahr geschenkt hat. Ich habe selbst in den letzten sechs Wochen an fast jedem Abend gedacht "Das ist jetzt das letzte Mal der und der DJ". Das macht natürlich schon sehr melancholisch.

Wenn ihr auf die letzten 18 Jahre zurückschaut: Würdet ihr irgendetwas anders machen?

Christoph Leich von Die Sterne im Atomic Café München | Bild: Atomic Café / SONIC GmbH

Drummer Christoph Leich von den Sternen bei einem Auftritt im Atomic Café

Christian: Ja, ich hätte in großem Stil Merchandise-Artikel herstellen sollen. (lacht) T-Shirts, Plakate... in der Richtung hätte man bestimmt mehr machen können. Aber wir waren immer so beschäftigt mit dem aktuellen Programm.
Roland: Ein paar Dinge gab es ja, es gab zweimal T-Shirts und Feuerzeuge.
Christian: Und wir haben eine Zeit lang unser Label betrieben und hatten da einen ganz guten Output mit insgesamt acht Compilations. Aber T-Shirts fehlen mir. Es ärgert mich maßlos, dass wir nicht bei jeder Gelegenheit geile T-Shirts gemacht haben.
Roland: Also ich hätte noch 15 Stück daheim, in allen Farben...

Das Atomic ist ja für viele etwas sehr Besonderes. Die Münchner Band Exclusive hat in ihren Anfängen den Song "Atomic! Atomic!" gemacht, die Band Atomic hat sich nach euch benannt - wie erklärt ihr euch die Legende vom Atomic Café?

Im Atomic Café ist die Liebe zur Ästhetik vegangener Jahrzehnte nicht zu übersehen

Christian: Ich glaube, das lag daran, dass wir als Nicht-Gastronomen an das Thema herangegangen sind, sondern beide aus der Grafik kommen. Roland und ich hatten beide eine Sixties- und Retro-Affinität, bei mir kommt auch noch Indie dazu. Wir haben das Ganze als Clubnight in einer Bar um die Ecke gestartet. 1997 konnten wir dann einen eigenen Laden aufmachen. Wir haben ein konsequentes Corporate Design durchgezogen: Der Look, die Musik - das war alles nicht unbedingt nach kommerziellen Gesichtspunkten gestaltet, sondern nur danach, worauf wir Bock hatten. Das fanden viele Leute gut.

Wie war denn die Clublandschaft in München vor dem Atomic Cafe?

Typische Szene auf der Atomic-Tanzfläche

Christian: Es gab in den 80er-Jahren das legendäre Tanzlokal Größenwahn - und generell war die Subkulturszene viel stärker damals. Da war jeder in einer Jugendgang, als Popper, Rocker, Mod, Psychobilly, Rockabilly, whatever. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Damals hat man eisenhart sein Ding durchgezogen und sich auch dafür auf der Straße geschlagen, wenn es sein musste. Und wir haben dann halt wieder das Retro-Fass aufgemacht. Damals war die Clublandschaft ganz stark dominiert von Techno und House. Es gab keine Läden mehr, wo handgemachter Sound gespielt wurde, Rock’n’Roll, Sixties-Sound oder auch Indie. Das war ein völliges Nischenthema, und die Leute haben es dankbar angenommen.

Jetzt mal ganz unbescheiden: Habt ihr München mit dem Atomic Café verändert?

Nicht die besagte erste Pressemitteilung, sondern von 2000 - aber nicht minder interessant

Christian: Klar, wir haben’s erfunden! (lacht) Ich weiß nicht, ob ihr unsere großspurige Pressemitteilung von 1996 mal gelesen habt? Damals haben wir behauptet, man wird später mal über das Atomic Café sagen, dass es schuld an der Kulturrevolution der späten Neunziger war.

Und? Würdet ihr das jetzt so stehen lassen?

Roland: Also der Christian hat sicher Indie erfunden und ich die Sixties. (lacht)

Man hat in den letzten Jahren auch immer wieder mitbekommen, dass euer Verhältnis zueinander nicht immer konfliktlos war. Wie schaut ihr jetzt auf eure gemeinsame Zeit als Atomic-Chefs zurück?

Roland: Man ist schon stolz auf das, was man zusammen geleistet hat - wie ein altes Ehepaar.
Christian: Das mit dem alten Ehepaar höre ich gar nicht gerne, denn das war ja bei uns vom ersten Tag an so.
Roland: Ja, aber im Laufe der Jahre wurde es schon manchmal schwierig, meistens wegen Druck von außen - ein Abend funktioniert nicht mehr oder Probleme mit dem Vermieter zum Beispiel.
Christian: Für den Roland endet gute Musik halt 1972 und ich musste immer um meine Indie-Sachen kämpfen...
Roland: ...1982! (lacht)
Christian: Bist ja richtig tolerant geworden auf deine alten Tage...

Werdet ihr euch vermissen?

Christian: Fünf Jahre erstmal nicht. (lacht) Aber dann bestimmt.
Roland: Aber die Stadt ist ja auch nicht so groß, dass man sich nicht mal über den Weg läuft, ohne eine gemeinsame Firma zu haben.

Das Atomic Café gibt es seit fast 18 Jahren. Gab es für euch eigentlich etwas wie die "Goldene Ära" eures Clubs?

Roland, Christian und Kollegen (v.l.) irgendwann Ende der 90er vor dem Atomic Café

Christian: Es gab angeblich eine "Goldene Ära" und die bezieht sich auf den Britpop, das war ja so ein Phänomen der Neunziger und wir waren eine Art Tempel des Britpop. Das zog sich so etwa fünf, sechs Jahre. Es ist aber nicht so, dass damals dreimal so viele Leute ins Atomic gegangen wären wie heute. Wir haben ja eh jede Halbwertszeit überstanden, die so ein Club so normalerweise hat. Ich glaube, am allervollsten ist es momentan - so eine Art Katastrophentourismus. Wir hatten aber kontinuierlich gute Besucherzahlen, von eingeschworenen Fans bis zu Leuten, die extra für das Atomic angereist kamen. Dadurch, dass viele Bands bei uns gespielt haben, die später berühmt geworden sind, sind wir doch relativ bekannt geworden. All die Jahre hindurch gab es etwa 120 Konzerte pro Jahr, ohne Durchhänger.

Apropos Katastrophentourismus: Diese letzte Phase jetzt ist wahrscheinlich auch etwas Besonderes...

Christian: Das Schöne ist, dass so ziemlich jeder, der bei uns gearbeitet hat, jetzt nochmal vorbeikommt. Gerade ist jeder Abend wie Weihnachten.

Man könnte ja denken, das Atomic Café muss in den 18 Jahren eine wahnsinnige Goldgrube gewesen sein. Hättet ihr nicht einfach den ganzen Laden kaufen können?

Christian: Leider nicht. Mit unseren Konzerten verdienen wir kein Geld, Geld verdient man nur mit der Party danach. Du musst den Laden schon immer ordentlich unter Strom halten, um die laufenden Kosten überhaupt zu decken. Wir konnten uns zum Beispiel nie leisten, mal vier Wochen zu schließen, um zu renovieren.

Also hätte man das Aus nicht abwenden können?

Roland: Doch, die Stadt hätte das Haus kaufen können. Oder unsere Vermieter hätten unsere Mäzene sein und uns drin behalten können.
Christian: Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn uns das Kulturreferat jeden Monat etwas überwiesen hätte. Ich habe es auch mehrmals versucht, aber dort hat man uns immer gesagt: "Macht doch mal was Besonderes". Das ist schon schade. In Hamburg ist mehr passiert, als das Molotow schließen musste.

Seit der Termin eurer Schließung feststeht, kleben an der Atomic-Tür Aufkleber in Herzform. Auf einem steht: "Ihr nehmt uns unser Wohnzimmer weg." War das die Idee eures Clubs?

Christian: An einen Rückzugsort haben wir eigentlich nicht gedacht. Es war eigentlich ganz flach: Geil, hier ist ein Raum, den wir bespielen und anmalen und in dem wir Platten auflegen können!
Roland: Es war eher ein Update. Die Sixties-Szene hat sich vorher Jahre lang im Schnellingers oder in der Südstadt getroffen, denen hat ein Laden zum Partymachen gefehlt. Die Indie-Leute waren im Strom, das war von der Akustik her auch nicht immer ideal. Es ging darum, der Szene, die es ja gab, einen Partyort zu geben.

Seht ihr bei irgendeinem bestehenden Laden in München das Potenzial, die Nachfolge des Atomic Café anzutreten?

Christian: Das ist eine schwierige Frage. Das Atomic Café hat natürlich viele Vorteile gegenüber anderen Clubs. Der Raum ist einfach perfekt - von der Größe her, von der Aufteilung her, von der Atmosphäre her, vom Licht her. Das ist schwer nachzumachen. Wir haben ja selbst das gleiche Problem: Wir können das Atomic nirgendwo anders reproduzieren.

…die Antwort ist also Nein?

Christian: Richtig. (lacht)

Wie endet denn das Atomic Café? Holt man dann morgens die Axt raus und hackt alles klein? Oder liegt man sich in den Armen und weint?

Pete Doherty bei einem Geheimkonzert mit den Babyshambles im Atomic Café 2006

Roland: Ich glaube, die Leute werden am letzten Abend schon sehr sentimental sein. Ganz am Ende, also morgens um zehn wahrscheinlich, wird auf jeden Fall die Express Brass Band einen Trauermarsch spielen und wir laufen durch die Maximilianstraße.
Christian: Ich gebe den Laden auf jeden Fall nicht dafür frei, ihn zu Kleinholz zu verarbeiten! Das geht auch gar nicht, weil wir dem Münchner Stadtmuseum Teile der Einrichtung versprochen haben.
Roland: Und der Rest landet bei uns im Keller oder in der Küche von irgendeinem Stammgast. Eine Abrissparty wird es nicht geben. Wer meint, er muss eine Lampe aus der Wand reißen, den ziehe ich morgens noch persönlich am Nasenring aus dem Club!
Christian: Es ist übrigens auch noch nicht erlaubt, Streifen aus dem Glitzervorhang zu schneiden!

Wie geht es denn mit euch und dem Nachtleben weiter? Habt ihr noch Bock?

Christian: Also ich habe nicht wirklich Lust, noch weitere Jahre bis morgens in Clubs zu sitzen und mich volllaufen zu lassen. Das hab ich weiß Gott oft genug getan. Aber ich hätte schon Lust, weiter Konzerte und Parties zu veranstalten.

Ist schon etwas Konkretes in Planung?

Christian: Nein. In München ist es unglaublich schwierig, überhaupt einen geeigneten Raum zu finden, wo man unser Konzept weiterführen könnte. Rock'n'Roll wird ja abgeschafft hier in der Stadt. Früher gab es in Schwabing 120 Clubs mit Livebühne. Inzwischen gibt es noch einen - und der wird demnächst abgerissen. Club ist schmutzig, Club macht Lärm, Club muss weg. Das ist der Trend in München.

Und bei dir, Roland?

Roland: Also mein Plan A ist nicht, weiter in der Gastronomie oder im Nachtleben tätig zu sein. Das heißt nicht, dass ich nicht ab und zu mal irgendwo auflegen werde oder vielleicht auch mal eine lustige Party organisiere. Aber ich habe jetzt ein kleines Kind, das ist ein Jahr alt - das passt alles nicht so wahnsinnig gut zusammen. Wenn ich weggehe, gehe ich nämlich richtig weg, komme morgens um halb acht nach Hause und bin voll besoffen. Das ist nicht gerade familienförderlich. Das auf ein, zwei Mal im Monat zu reduzieren - von 15 Mal - ist wahrscheinlich sinnvoll.


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Knobelix, Freitag, 05.Dezember 2014, 15:19 Uhr

2. Nach 18 Jahren eine Legende?

Bei einer Laufzeit von gerade einmal 18 Jahren Begriffe wie "goldene Ära" oder"legendär" in den Mund zu nehmen, ist schon etwas skurril. Aber ich gönn' es der Jugend, der 18 Jahre wie eine halbe Ewigkeit erscheinen - keine Angst, das ändert sich im Alter :-)

Antworten

Suspicious Character, Donnerstag, 04.Dezember 2014, 22:48 Uhr

1. Bild «Typische Atomic-Gänger, irgendwann in den ersten Jahren des Clubs»

Das Bild mit dem Titel «Typische Atomic-Gänger, irgendwann in den ersten Jahren des Clubs» zeigt meines Erachtens nach drei Mitglieder der Band Lo-Fi Karajan (LFK) und ist deswegen wohl eher um 2005 entstanden denn in den "ersten Jahren des Clubs". Die Auftritten von denen waren gut damals. Wie Berlin, nur in München, und ungleich besser.

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