"Das ist Alpha. Die 10 Boss-Gebote" Wir haben das Kollegah-Buch gelesen, damit ihr es nicht müsst
Antisemitismus, Homophobie, Sexismus. Trotz massiver Kritik bleibt Kollegah einer der erfolgreichsten Rapper Deutschlands. Und was macht man, wenn man ganz oben steht? Man schreibt ein Buch. Wir haben uns für euch durch den Selbsthilfe-Ratgeber vom Boss gequält.
Kollegah hat ein Buch geschrieben. Der Typ, der seit Jahren wegen homophober und frauenfeindlicher Songlyrics in der Kritik steht, dem antisemitische Sichtweisen unterstellt werden und der mit seinem Auschwitz-Vergleich beim Echo 2018 sogar für die Abschaffung des Preises gesorgt hatte, hat einen Selbsthilfe-Ratgeber geschrieben, mit dem man sich vom "Lauch" zum "Boss" hocharbeiten können soll. Passend dazu hat er jetzt auch noch einen Song released, der den Inhalt seines Werks dramaturgisch untermauert.
Kollegah meint das also wirklich ernst. Dann meinen wir unsere Rezension des Buches eben auch ernst.
Auf 256 Seiten zum Alpha-Boss
Bevor wir in die Tiefen der lebensverändernden Weisheiten Kollegahs eintauchen, lassen wir aber am besten den Autor selbst ein paar Worte zu seinen literarischen Ergüssen verlieren:
"Es ist ein selbstbewusstes MÄNNER-Buch in einer vermehrt androgyn gewordenen Gesellschaft und sowas schmeckt den verweichlichten Pressepussys selten."
– Kollegah im Kapitel ‚Ansage‘
Stimmt. Ein Buch für echte Männer und all diejenigen, die es werden wollen. Gleichzeitig ein Dorn im Auge aller Journalisten. Mehr Testosteron und Medienkritik in einem Selbsthilfebuch geht kaum.
Aber nun zum Inhalt: Wie bereits der Klappentext verrät, ist das Werk im typischen "Kollegah-Sound" geschrieben. Konkret bedeutet das, dass der Ratgeber nicht nur auf komplexe Satzstrukturen verzichtet, sondern auch Ausdrücke wie "Pimpschelle", "Lappen" oder "skinny-fatter TOTALLAUCH" beinhaltet. Wirkt irgendwie wie ein Drill-Instructor, der einem frontal ins Gesicht brüllt. Das ist auch konsequent, denn Ziel des Lesers ist ja, durch das Einhalten der "10 Boss-Gebote" vom Lauch zum Alpha und schließlich bis zum Boss aufzusteigen. Für alle, die jetzt nur Bahnhof verstehen, hier eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Kollegah-Jargon:
Ein sogenannter Lauch zeichnet sich vorwiegend durch sein körperlich und finanziell defizitäres Erscheinungsbild aus. Oder einfacher: Jeder, der nicht Boss oder Alpha ist, ist ein Lauch. Über dem Lauch steht der Alpha. Diese Spezies Mann hat die "10 Boss-Gebote" zwar bereits verinnerlicht, jedoch noch nicht erfolgreich in sein Leben integriert. Der Boss hingegen lebt ein finanziell unabhängiges und erfolgreiches Leben strikt nach und vor allem dank der "10 Boss-Gebote".
Auch Frauen können Boss sein. Haha. Not!
Auf den ersten Blick wirken ein paar der Faustregeln tatsächlich nicht verkehrt: Du sollst deinen Geist bilden! Du sollst dir realistische Ziele stecken! Du sollst auf dein Geld achten! Nimm keine Drogen! Finger weg von Kriminalität!
Auch Sätze, wie "Ein Alpha macht sein persönliches Glück von keinem Menschen abhängig, auch nicht von Frauen", kommen nicht unbedingt verkehrt daher. Diese emanzipierte Grundhaltung verliert jedoch jegliche Glaubwürdigkeit, wenn dem Leser gleich im nächsten Abschnitt erklärt wird:
"Heute sind Frauen natürlich selbstständig genug, um sich selbst zu ernähren. Wenn sie Hunger haben, dann fahren sie zu Aldi oder bestellen beim Chinesen."
- Kollegah im Unterkapitel ‚Frauen wollen Bosse‘
Spätestens hier wird klar: Kollegah hat es nicht geschafft, ein Buch ohne frauenfeindliche Inhalte zu schreiben. Ganz im Gegenteil. Wenn Kollegah den Männern raten will, nicht gleich den Kopf zu verlieren, sobald Frauen sie interessant finden, macht er das so:
"Eine sexy Frau, die dir im Taxi einen bläst, verdient wohl kaum, dass du ihr ein Appartement kaufst."
– Kollegah im Kapitel ‚Du sollst auf dein Geld achten!‘
Sagen wir's mal so: Das ist lupenreiner Sexismus. Da hilft es auch nicht, dass Kollegah betont, auch Frauen könnten Boss sein.
Verblüffende Ansichten zum Thema Toleranz
Im Unterkapitel "Gib nur aus, was du hast" wird zwar erklärt – wer hätte es gedacht – dass man mit seinem Geld haushalten soll. Allerdings passiert das am Beispiel eines "Proll-Kollegen (meist mit Migrationshintergrund), der im neuesten BMW rumcruist, ihn aber abends vor seiner 20-Quadratmeter-Bruchbude mit leerem Kühlschrank parkt". Dabei hat Kollegah doch einen ganzen Abschnitt in seinem Buch dem Thema "Toleranz" gewidmet. Darin ist zu lesen:
"Ich muss es eigentlich nicht erwähnen, aber genauso wie mit Weltanschauung und Religion verhält es sich natürlich mit Hautfarbe, Ethnie, Rasse und Geschlecht. Befreie dich von allen Vorurteilen und begegne jedem Menschen als Individuum".
Was war noch gleich mit dem Proll-Kollegen mit Migrationshintergrund und Frauen im Allgemeinen?
Der auf den ersten Blick so korrekt daherkommende Anti-Diskriminierungs-Kanon hat außerdem eine entscheidende Lücke - und die lautet sexuelle Orientierung. Die gehört selbstredend auch zu den Dingen, gegen die man seine Vorurteile abbauen sollte. Das hat der Autor aber wohl im Eifer des Gefechts vergessen.
Vermutlich sind aber weder Frauen noch Homosexuelle potenzielle Zielgruppe des Ratgebers – sondern Kids. Umso trauriger, dass sie die kruden Ansichten von Kollegah jetzt nicht nur mitrappen, sondern auch nachlesen können.
Sendung: Plattenbau, 20.09.2018 - ab 19.00 Uhr