Kommentar zur Gewalt in London Warum Drill Musik ein Hilfeschrei der britischen Jugend ist
In Großbritannien kommen gerade viele Jugendliche durch Messerstechereien um. Politiker geben der Drill Musik die Schuld, wegen ihrer gewaltverherrlichenden Texte. Aber kann Musik wirklich Schuld an der Gewalt in Großstädten sein?
In einem der erfolgreichsten Drill Musikvideos auf Youtube stehen um die 20 Männer vor der Kamera und rappen übersetzt: "Männer reden nicht, sie rauben einen aus." Das Video hat fast 15 Millionen Klicks – und eine klare Message: Don’t fuck with us.
Drill-Songs wie "Robbery" von Abra Cadabra sind gerade der Shit in England – vor allem in London. Eigentlich kommt Drill Musik aus Chicago, sie klingt trappig und zeichnet sich vor allem durch eine Sache aus: krass gewaltverherrlichende Texte. Fast in jedem Song wird genau beschrieben, wie und wo jemand erstochen werden soll. Denn eine Waffe hat es den Rappern nämlich besonders angetan: das Messer.
"Blood on my shank, man keep it, clean it, use hot water and bleach it."
Digga D in No Hook
Drill Musik ist die Wurzel alles Bösen
Und genau da liegt das Problem: 2017 wurden in England so viele Jugendliche erstochen wie schon lange nicht mehr – 39 insgesamt. In diesem Jahr sind es allein schon in London 45.
Deswegen hagelt es jetzt Vorwürfe von Politikern. Sie sagen: Drill verherrlicht Gewalt und ist deswegen mitverantwortlich für die hohe Zahl an Messerstechereien. Es ist dieselbe Diskussion, die Anfang der 90er in den USA geführt wurde, als Gangsta-Rap groß wurde. Rap verdirbt die Jugend und soll verboten werden.
Die Schuld den brutalen Texten geben: Das ist zu einfach
Klar, die Texte der Drill-Musiker sind gewaltverherrlichend, das ist Fakt. Und gerade über die sozialen Medien erreichen die Rapper heute mehr Menschen denn je - unter denen dann auch Jugendliche sind, die sehr empfänglich für Themen wie Messerstechereien und Gewalt sind. Aber sind es wirklich Songexte und Bilder auf Instagram, die Leute dazu bewegen, andere abzustechen?
Es ist das berühmte Henne-und-Ei-Problem: Gibt es so viel Gewalt in Londons Straßen, weil sie in den Texten der Drill-Musiker so präsent ist? Oder gibt es so viele explizite Texte in der Drill-Musik, weil deren Protagonisten aus abgefuckten Vierteln kommen, in denen das Leben einfach brutal ist? Oder einfacher: Schreiben die Rapper über das, was sie tagtäglich sehen - oder sind sie Kriminelle, die ein schlechtes Vorbild für die Jugendlichen sind.
"There's definitely something about the impact of social media in terms of people being able to go from slightly angry with each other to fight very quickly, it makes violence faster, it makes it harder for people to cool down."
Cressida Dick, Polizei London
Ein Hilfeschrei der britischen Jugend
Was man den Rappern auf jeden Fall vorwerfen kann, ist, dass sie sich nicht gegen die Gewalt stellen, sondern sie auch noch glorifizieren. Aber Fakt ist auch, dass die Realität in manchen Londoner Vierteln so aussieht: wenige bis gar keine Jobs, kaum Sozialhilfe, wenig Polizei auf den Straßen und vor allem keine Perspektive für junge Menschen. Dazu kommen noch die sozialen Medien, die genau diese Jugendlichen vernetzen - und fertig ist eine gefährliche Mischung, die meistens zu genau einem führt: Gewalt.
Eigentlich ist Drill-Musik eine Art der Jugendlichen zu sagen: Hey, uns geht’s hier ziemlich dreckig. Und das ist das eigentliche Problem, das die Politiker in Angriff nehmen sollten: Jungen Leuten eine Perspektive geben – anstatt die Schuld einer Musikrichtung in die Schuhe zu schieben.
Sendung: Plattenbau, 08.05.2018 - ab 19.00 Uhr