"Despacito" und Co. Warum Frauen im Pop heute immer noch Huren oder Heilige sind
2017 wurde viel über Emanzipation gesprochen. Die erfolgreichsten Songs des Jahres machen aber klar: In der Popmusik ist wenig davon angekommen. Männer singen immer noch über Frauen – und was sie mit ihnen anstellen wollen.
Die sieben Nummer-1-Hits der deutschen Single-Charts dieses Jahres sind von Männern geschrieben, sechs davon auch von Männern gesungen – und alle handeln von Frauen. Ob Ed Sheerans "Shape Of You", "Was du Liebe nennst" von BAUSA oder die Sommerhits "Despacito" und "Señorita": die erfolgreichsten Popsongs Deutschlands 2017 erzählen aus männlicher Perspektive über Frauen – und was Mann mit ihren Körpern machen möchte.
"Ich check' deine Instastory und like jedes Bild von dir,
Add mich bei Snapchat, schick deinen Ex weg,
Bist du bei mir, hau' ich dich direkt weg."
KayOne - Señorita
"Ich möchte dein Haar tanzen sehen,
Ich möchte dein Rhythmus sein,
Zeig meinem Mund,
Deine liebsten Stellen."
Luis Fonsi & Daddy Yankee - Despacito
Maria oder Magdalena
Wie selbstverständlich stehen Frauen in diesen Männerfantasien assoziativ für Sex und Reproduktion. Die "Señorita", "die Kleine", das "Shawty" oder das "Baby" ist der pure Sex. Der Mann muss ihren Körper sofort jetzt, hier am Strand von Puerto Rico ("Despacito") oder auf der Tanzfläche der Kneipe ("Shape Of You") besitzen. Frauen treten oft nur als fleischgewordene Sehnsüchte eines Mannes auf, als hypersexualisierte Figuren, die sich männliche Autoren für ihre Aufreißer-Prosa ausgedacht haben:
"Es wird Zeit! Für was? Wieder paar Mütter zu ficken!"
Kollegah & Farid Bang - Sturmmaske auf (Intro)
Die weiblichen Nebenfiguren bekommen in den Nummer-1-Hits dieses Jahres klare Rollen und Funktionen zugewiesen. Wie der biblische Dualismus von Heiliger und Hure, Maria und Magdalena, arbeiten die Songs mit klassischen Zuweisungen. Es gibt entweder die exotische, nymphomanische Schönheit, die es von einem starken Ritter zu erobern gilt. Oder die alleinerziehende, hart arbeitende Mutter. Kurz um: Sünde oder Sühne.
"She works at nights, by the water
She's gone astray, so far away
From her father's daughter
She just wants a life for her baby
All on her own, no one will come."
Clean Bandit - Rockabye
Wenn nicht Schönheit besungen wird, dann die pseudo-einfühlsame Working-Class-Schmonzette von der verlassenen, einsamen Mutter, die wie eine Hyäne kämpft, um ihre Kinder durchzubekommen – Erin Brokovich für die Großraumdisko. Mehr ist nicht, Hure oder Heilige. Das bestimmen zu können ist Macht. In Deutschland setzten Acts wie SXTN, Haiyti oder Gurr den langen Kampf von Rolemodels wie Madonna oder den Rrriot-Girls 2017 fort und entwickeln unabhängige, kluge und vielschichtige Frauenfiguren.
Alles dirty, alles holy
Popmusik liefert den Menschen Modelle, wie ihr Zusammenleben aussehen könnte. Ohne David Bowie oder Björk würde die Welt heute ganz gewiss ein langweiligerer Ort sein. Sie bildet aber immer auch Strömungen ab, die in einer Gesellschaft vorherrschen. So sagt diese Liste der meistverkauften Songs des Jahres auch eine Menge darüber aus, wie die deutsche Gesellschaft Frauen immer noch wahrnimmt.
Da es in den Best-Of-2017-Compilations nur wenige weibliche Selbstbeschreibung wie die von SXTN gibt, entscheiden Kay One, Ed Sheeran und Co. darüber, wie Frauen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Diese Songs erschaffen aus einer Machtposition die Rollen und Erwartungen, mit denen Frauen konfrontiert werden: dirty Huren oder heilige Mütter. Und am besten eigentlich beides.
"Du verdammte Hure, das ist dein Lied
Dein Lied ganz allein
Das kannst du all deinen Freunden zeigen."
Kraftklub - Dein Lied
Sendung: Plattenbau vom 23.11.2017 ab 19 Uhr