"Könnt ihr uns hören?" Deutschrap kriegt das Buch, das er verdient
Die Journalisten Jan Wehn und Davide Bortot haben aus hunderten von Interviews mit Rappern wie Sido, Haiyti oder Casper ein Buch zusammengestellt, das die Entwicklung von Deutschrap nachzeichnet – vom Underground bis ins Fußballstadion. Wir haben mit ihnen über das Buch gesprochen.
PULS: Wie viel sollte man über HipHop wissen, damit man das Buch lesen kann?
Davide Bortot: Wir haben uns bemüht, das Buch so aufzubauen, dass es selbst Leute mit einem minimalen Interesse für Musik, Popkultur, Jugendkultur und Hip-Hop verstehen können. Es kommen kaum Personen vor, die man nicht kennt. Wir haben auch versucht, Ausdrücke zu vermeiden, die nicht allgemein verständlich sind. Das war eigentlich von Anfang an unser Ziel: Wir wollten ein Buch machen, das sowohl für die vollen Nerds als auch für Quereinsteiger funktioniert.
Jan Wehn: Man fängt an, das Buch zu lesen und es ist so, wie wenn man in eine Unterhaltung einsteigt. Wir haben deshalb auch nicht alle Dinge erklärt, weil es das Ganze sicherlich irgendwie ein bisschen steifer gemacht hätte. Genau das wollten wir nicht.
Davide Bortot: Vieles kann man sich auch aus dem Kontext erschließen. Ich erinnere mich, dass ich als 13-Jähriger vielleicht 20 Prozent in der Spex verstanden habe. Genau das hat mich aber gereizt, mehr darüber herauszufinden. Solche Momente wird es sicherlich in unserem Buch auch geben. Aber ich denke, man kriegt auf jeden Fall einen sehr guten Eindruck, wer diese Leute sind und was sie antreibt.
In ihrem Buch "Der Klang der Familie – Berlin, Techno und die Wende" haben Felix Denk und Sven von Thülen Gespräche mit Leuten aus der Techno-Szene von damals geführt. War das eine Inspiration?
Jan Wehn
Jan Wehn: Das Buch war, neben "Verschwende deine Jugend" von Jürgen Teipel, eine ganz klare Inspiration. Wir fanden es einfach ein schönes Format. Und es hat sich für mich auch vermessen angefühlt, ein Buch über die Szene zu schreiben. Als es mit HipHop losging, war ich noch viel zu klein, um alles mitzubekommen. Ich fand es interessanter, die Leute selbst erzählen zu lassen, die es damals aus nächster Nähe mitbekommen haben. Da wollte ich kein theoretisches Konstrukt darüber bauen.
Davide Bortot: Ich glaube auch, dass sich die Oral History für Rap anbietet. Im Rap geht es ja darum, einen bestimmten Punkt auf eine bestimmte Art und Weise zu vertreten. Wir wollten die Leute selber zu Wort kommen lassen, weil man durch Wortwahl und Reaktion viel über die Persönlichkeit lernt. Das ist letzten Endes nicht anders als bei einem Rap Text.
Jan Wehn: Die Herausforderung war, eine gewisse Dramaturgie hinzubekommen und das Ganze selbsterklärend und lesbar zu machen. Unser Anspruch war, dass man das von vorne bis hinten lesen kann, ohne zwischendurch rauszukommen.
Gibt’s denn Entwicklungen, Songs oder Alben, die ihr durch die Arbeit an diesem Buch jetzt anders bewertet als früher?
Jan Wehn: Für mich auf jeden Fall "Kopfnicker" von Massive Töne und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr "Fenster zum Hof" von Stieber Twins. Die Platten sind ja 96/97 rausgekommen, da war ich gerade zehn. Zu dem Zeitpunkt klangen die für mich so ein bisschen altbacken. Ich habe erst lange danach verstanden, dass diese beiden Alben damals tatsächlich schon wahnsinnig weit vorne waren. Im Buch wird klar, dass die beiden Alben dem deutschen Rap auf klanglicher und inhaltlicher Ebene eine Identität gegeben haben. Es war schön, im Buch von vielen Rappern noch mal zu hören, was für eine Relevanz diese Alben eigentlich damals schon gehabt haben.
Wenn ihr mit jüngeren Rappern gesprochen habt: Wie groß ist da das Bewusstsein für die Ursprünge von HipHop in Deutschland?
Davide Bortot
Davide Bortot: Die erste deutschsprachige Rapmusik ist fast 30 Jahre her. Das heißt, es gibt Leute, die seit vielen Jahren erfolgreich Musik machen und damals noch nicht geboren waren. Es ist also völlig nachvollziehbar, dass die damit nichts anfangen können. Andererseits hat man dann Phänomene wie RIN, die sich sehr wohl auf bestimmte Dinge aus den 90ern beziehen - obwohl er von den Leuten als totale Wachablösung empfunden wird, die nichts mit dem zu tun haben, was sie gemacht haben. Das fand ich faszinierend und das war auch ein bisschen das Anliegen unseres Buches. Wir wollten zeigen, dass es diese Verbindung von den 80ern bis ins Heute gibt.
Jan Wehn: Einerseits gibt es großen Respekt von jüngeren Leuten gegenüber der alten Generation. RIN zum Beispiel erwähnt, dass Lakmann One einer der besten Rapper dieses Landes ist. Es gibt auch Leute wie LGoony, die Songs gehört haben, die der YouTube Algorithmus ihnen ausgespuckt hat. Die sind dann auf Sachen gestoßen, die ganz anders klingen als das, was sie selbst machen: Morlock Dilemma, Hiob, Audio88 und so weiter. Gleichzeitig beobachte ich auch immer wieder, dass den älteren Rappern sehr wenig Respekt entgegengebracht wird. Casper und Marteria erzählen das im Buch sehr anschaulich. Es gibt wirklich eine Verbindung zu den Achtzigern, aber trotzdem immer wieder das Verlangen, sich davon abzugrenzen.
Davide Bortot: Bei Rap geht’s auch um Zuspitzung. Das heißt, die Kombination aus Wettbewerbscharakter, dem Wunsch nach Erfolg und der Zuspitzung führt oft automatisch dazu, dass man das Alte eigentlich ablehnen muss. Das gehört irgendwie dazu. Man würde sich wünschen, dass die Rapper auch die Leistungen ihrer Vorgänger anerkennen, zumindest wenn sie selbst älter sind - aber wenn ein 19-Jähriger sagt, er findet Fanta4 und Advanced Chemistry gut, dann weiß ich nicht, ob das die Kultur voranbringt.
Wie lange meint ihr, wird Rap noch die wichtigste Jugendkultur in Deutschland bleiben? Wenn Rap Mainstream ist, wird er irgendwann seinen Reiz als Counterculture verlieren.
Davide Bortot: Ich glaube, als Gegenkultur hat Rap ohnehin schon längst ausgedient. Was ihn trotzdem immer wieder relevant machen wird, ist die Haltung. Beim HipHop geht es darum, sich das zu nehmen, was man geil findet und es zu etwas Neuem, Eigenem zusammenzubauen. Wenn man HipHop so versteht, bedeutet das auch, dass sich Rapmusik in zwei Jahren schon wieder ganz anders anhören kann. Sie kann ganz andere Haltungen transportieren und Ästhetiken prägen. Was den Erfolg anbelangt, denke ich, dass HipHop etabliert genug ist, als dass er jemals wieder verschwinden würde. Es werden andere Sachen kommen und größere Bedeutung erlangen, das ist schon absolut richtig und wichtig. Man hat ja gerade sowas wie eine Monokultur, es gibt nur noch Rap in den Charts, in der Werbung, überall.
Vielen Leuten ist das ja gar nicht mal bewusst. Wenn man sich in der U-Bahn mal umguckt, wie viele da Sneakers tragen, ohne wirklich zu wissen, warum das so ist. Dass das jemals anders war, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Das läuft auf so einer subtilen Ebene ab. Aber wenn man einfach über angesagte Musik spricht, dann ist für einen 15-jährigen, der sich seine popkulturelle Identität grad zusammenbaut, HipHop momentan einfach das Ding. Ich denke schon, dass das wieder anders wird. Wahrscheinlich wird genau das den Raum lassen, wo sich Hip-Hop wieder neu erfinden und weiterentwickeln kann.
Jan Wehn: Ich finde man kann sagen, dass jetzt gerade das stattfindet, was sich die Leute Mitte, Ende der 90er gewünscht haben: Eine Akzeptanz für die Kultur und für die Musik. Die Selbstverständlichkeit, dass es HipHop auch bei Jan Böhmermann gibt oder dass man seine Hose so oder so trägt. Dieses Verständnis für Rap, diese Akzeptanz ist auf jeden Fall vorhanden und das ist schon mal eine gute Grundvoraussetzung, weil das lange Jahre gefehlt hat.
Davide Bortot: Vieles, was jetzt selbstverständlich ist und vieles von dem Erfolg kam ja auch aus der Renitenz heraus. Das war auch total wichtig, dass die Leute in den 90ern aus einer Außenseiterposition kamen, um das alles so formulieren zu können. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie sich die Musik in zehn Jahren anhören wird. Die neuen Rapper heute kommen ja aus einer ganz anderen Perspektive. Es ist eben keine Underdog-Musik mehr, es ist die Norm.
Welche Künstler*innen habt ihr fürs Buch angefragt, die ihr nicht bekommen habt oder wo es nicht geklappt hat?
Jan Wehn: Money Boy ist zum Beispiel so jemand gewesen. Wir finden beide, dass er essenziell für den heutigen Rap ist. Das hat wegen der Terminfindung nicht geklappt, was natürlich schade ist. Bushido hatte tatsächlich auch andere Sachen im Kopf, kann man sich aber sicherlich denken, wenn man schaut, was das letzte Jahr los war. Fler hat auch nicht mitgemacht. Wir haben ein dreistündiges Interview geführt und am Ende hat er dann doch die Freigabe zurückgezogen, weil ihm das Format nicht so gut gefallen hat.
Davide Bortot: Das traurigste für mich ist, dass Torch, als jemand, der ganz am Anfang dieser Erzählung steht, nicht dabei ist. Auch für das Ende dieser Erzählung hätten wir Ufo361 und Capital Bra gerne dabeigehabt. Beide sind nicht unbedingt Fans von Interviews. Man muss aber auch sagen, dass der große Erfolg von Capital Bra erst kam, als wir mit dem Buch schon fertig waren.
Sendung: Plattenbau, 25.02.2019 - ab 19.00 Uhr