Interview mit Zukunftsforscherin Lena Papasabbas So klingt Pop in 30 Jahren
Fliegende Autos, Sex-Roboter, Essen aus dem Drucker: Für die Zukunft der Menschheit gibt es so einige Visionen. Wie wird sich aber Popmusik entwickeln? Wie klingt Pop 2048? Wir haben die Zukunftsforscherin Lena Papasabbas gefragt.
Die gebürtige Fränkin Lena Papasabbas hat einen coolen Job: Sie ist Zukunfstforscherin und arbeitet bei einem der renommiertesten Think-Tanks Europas, dem Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main. Dort versucht sie herauszufinden, welche Trends unsere Gegenwart prägen und welche Rückschlüsse sich daraus für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft schließen lassen.
PULS: Lena Papasabbas, hören wir im Jahr 2048 überhaupt noch Musik?
Ja, auf jeden Fall! Das Musik-Hören ist eine anthropologische Konstante, etwas Urmenschliches. Die Menschen fanden immer Wege, Musik zu hören, Musik zu machen und natürlich auch zu tanzen. Bevor es Tonträger gab, war die einzige Möglichkeit Musik zu hören, sie selbst zu machen, also wenn sie live performt wurde. Schallplatten, CDs und das Radio haben das alles verändert. Heute hat jeder ein Smartphone und wir können überall und immer Musik hören, in der Bahn, bei der Arbeit, beim Sport. Es gibt also kein Anzeichen, dass Musik verschwinden wird. Ganz im Gegenteil, wir haben heute mehr Möglichkeiten als je zuvor und hören sogar so viel Musik wie noch nie.
Wie wird sich das in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Streaming wird das entscheidende Prinzip sein: Dienste wie Spotify oder iTunes werden bestimmen, wie wir Musik hören. Es gibt zwar immer noch CDs, da sind wir in Deutschland sehr langsam, aber dieser Markt wird sich erledigen in den nächsten Jahrzehnten. Die Vorteile von Musik-Streaming sind eben einfach überwältigend.
Nun müssen sich aber auch diese Dienste weiterentwickeln: Die Kuration wird deshalb noch wichtiger werden. Anbieter wie Spotify, SoundCloud oder iTunes werden Playlisten kuratieren, die uns in allen Lebenslagen begleiten werden. Ein Beispiel: Es könnte Playlisten geben, die uns die richtige Musik zum Joggen serviert. Mit den Daten, die die Plattform über unser Nutzungsverhalten gesammelt hat, stellt sie uns eine Playlist aus Musik zusammen, die man ganz sicher mögen wird. Mit den Daten, die Sensoren aus dem Handy liefern, können sie sogar Musik vorschlagen, die gerade jetzt zu unserem Herzschlag passt und uns beim Joggen vorantreibt. Dann bekommt man in Zukunft Beats, die zu der Herzfrequenz stimmig sind.
Klingt ein bisschen wie in einem Science-Fiction-Film...
Zu Musik-Streaming muss man an diesem Punkt aber sagen, dass genau die Plattformen überleben werden, die dem User die Freiheit belassen, eigene Playlisten zusammenzustellen und sich selbst Musik auszusuchen. Also nicht ganz wie in solchen dystopischen Visionen. Am Ende kann kein Algorithmus exakt den Geschmack einer Person treffen.
Man kann virtuelle Musik aus dem Smartphone heute überall und an jedem Ort hören. Nun kann man Musik - ganz ursprünglich - ja auch live hören. Wie werden Konzerte 2048 sein?
Es ist sehr interessant, dass wir sehr viel Musik virtuell hören, aber gleichzeitig der Eventmarkt explodiert. Das Live-Event, das Selber-Vor-Ort-Sein, das gemeinsame Erleben hat Musik schon immer ausgemacht. Dieser Aspekt von Konzerten wird in Zukunft noch wichtiger werden. Man will diese Erlebnisse, diese gemeinsamen Erfahrungen, die Eventisierung von Musik.
Was können neue Technologien da verändern?
Einige Entwicklungen in der Zukunft könnten auch diese Grenze zwischen virtueller und realer Musikerfahrung vermischen: Ein Beispiel ist das Virtual-Reality-Konzert "TheWave". Jede Woche tritt da ein bekannter Musiker oder DJ in einem virtuellen Raum auf und entscheidet, ob das Konzert in einer Unterwasserwelt oder einem virtuellen Orbit stattfindet. Fans können sich einloggen und am PC mit ihrer VR-Brille in die Cyber-Konzerthalle eintreten und dem DJ-Set zuhören.
Wie wird denn dieser DJ in dreißig Jahren aussehen? Wie sieht überhaupt der Musiker der Zukunft aus?
Die Möglichkeit elektronische Musik zu produzieren, hat dazu geführt, dass das Musikbusiness sehr viel zugänglicher wurde. Das bedeutet, dass so viele Leute wie noch nie in der Menschheitsgeschichte heute Musik machen können. Jeder kann sich mit einem YouTube-Tutorial das Gitarre-Spielen beibringen oder für wenig Geld auf Ebay ein Instrument kaufen. Früher war ein Instrument zu lernen etwas für eine gebildete Schicht mit Geld, das löst sich heute auf und wird sich noch weiter demokratisieren in der Zukunft. Heute kann jeder seinen Track auf SoundCloud stellen und ist sofort Konkurrenz für diese alte Industrie. Neue Player werden die Alten angreifen.
Auch finanziell spielt das eine Rolle: Seit Neuestem kann man als Künstler seine Musik über Spotify vertreiben und ist nicht mehr auf die GEMA angewiesen. Ein System wie die GEMA ist schlicht nicht mehr zeitgemäß und muss sich modernisieren - oder sie wird ersetzt werden.
Wenn jeder Musik machen kann, ist dann 2048 auch jeder ein Star?
Diese Demokratisierung von Musik verändert sicher, wie "Stars" entstehen und wie wir sie wahrnehmen. Als Gegentrend zur Globalisierung wird es vermutlich eine Entwicklung zu Regionalisierung von Stardom geben. Man findet eben die Band aus der eigenen Stadt richtig, richtig gut und ist Fan. Ein internationaler Superstar - der dann vielleicht nicht mehr aus den USA, sondern aus Indien oder Brasilien kommt - könnte einem zu unpersönlich, zu weit weg sein. Entscheidend ist heute - wie auch in der Zukunft - Authenzitität. In einer so mediengemachten Welt wird ein Wert wie "Echtheit" ein hohes Gut sein. Die, die gut aussehen und gut singen, gibt es tausendfach, das langweilt fast schon eher. Kurzum: Man wird mehr Auswahl haben im Jahr 2048 und mehr Möglichkeiten, selbst berühmt zu werden und Bekanntheit zu erlangen.
Wie wird sich die Musik selbst verändern?
Erste Hinweise, wie sich eine fortschreitende Globalisierung auf Musik auswirken könnte, wie sich Musik der Zukunft anhört, kann man heute schon in Nigeria finden. Hier gibt es einen der am schnellsten wachsenden Musikmärkte der Welt. Das führt dazu, dass amerikanische Mainstream-Rapper mit nigerianischen Musikern kooperieren, um in diesem neuen Markt Fuß zu fassen. Dabei entstehen neue Genres und Sound-Kombination, die man so nicht erwarten hätte können. Das gilt auch für den lateinamerikanischen Cumbia, der heute von westlicher House-Musik entdeckt wird. Das ist eine Entwicklung, die sich in Zukunft fortsetzen wird. Westliche und nicht-westliche Musik werden immer weiter fusionieren: Gerade Musik aus Asien, einem der größten Märkte der Welt, wird bis 2048 auch hier in Europa ankommen und sich mit bekannten Sounds mischen.
Wie könnte denn die Nummer-1-Single 2048 aussehen?
Das wäre natürlich schön zu wissen. Ein Trend, den man momentan auch in anderen Lebensbereichen findet, ist die Entschleunigung. Wie in "Slow Food" oder "Slow Architecture" könnte sich auch Popmusik verlangsamen und beruhigen. Es gibt heute schon "Slow Raves", die ganz anders wie klassische Techno-Parties, mit viel geringerer BPM-Zahl ablaufen und nun eben viel langsamere Musik spielen. Das könnte ein Hinweis für die Zukunft sein.
Ein anderer Trend ist es, Musik immer lauter zu machen. Pop-Singles werden heute so laut produziert wie nie und gerade in Streaming-Diensten versuchen Produzenten sich mit der Lautstärke zu überbieten. Das tut der Qualität der Stücke selbst leider nicht immer gut. Daraus könnte beim User der Wunsch entstehen, Musik wieder echter, leiser und ehrlicher zu produzieren. Ich sehe einen Trend zu weniger technologisierter, standartisierter Musik.
Vor einigen Woche ist das erste Album erschienen, das von einer künstlichen Intelligenz geschrieben wurde. Machen Roboter die Musik der Zukunft?
Haben Sie das Album mal gehört (lacht)? Maschinen und Computerprogramme können heute Musik natürlich schon ganz gut nach ihren Patterns und mathematischen Mustern schreiben. Sie helfen heute Musikern schon beim Produzieren und Schreiben von Musik. Ich muss als Musiker nicht mehr wissen, was eine Tonart ist, das können Programme für mich vorentscheiden. Und dennoch: Um etwas zu schaffen, das mich berührt, braucht es ein irrationales, subjektives Element. Maschinenmusik klingt bisher - und wird bestimmt auch in Zukunft - niemals so gut klingen, wie Musik, an der Menschen beteiligt sind. Künstliche Intelligenz kann niemals so kreativ sein, wie ein Mensch kreativ sein kann.
Sendung: Filter, 28.02.2018 - ab 15.00 Uhr